Gewalt ist keine Privatsache
Kein Zweifel – im Vergleich zu vielen Ländern auf dem afrikanischen Kontinent, in Lateinamerika oder Asien ist Europa für Frauen ein Ort der Freiheit und der Selbstbestimmung. In Reykjavik, Ravensburg und Rimini können die meisten Frauen so leben, wie sie es möchten. Sie entscheiden selbst, welchen Beruf sie ausüben. Sie heiraten, wen sie wollen, sie trennen sich von ihrem Partner, wenn sie wollen – die Gerichte regeln die Details. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist sogar im Grundgesetz verankert, mit dem Auftrag an den Staat, Nachteile zu beseitigen.
In der Theorie ist also alles aufs Beste geregelt. In der häuslichen Praxis offensichtlich nicht, wie die von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) vorgestellten Zahlen zur Gewalt gegen Frauen nahelegen. Aufs Jahr gerechnet wurde 2018 an jedem dritten Tag eine Frau in Deutschland von ihrem Partner getötet. Dazu kommen mehr als 140 000 Fälle von Vergewaltigungen, Körperverletzungen und anderen Formen der Gewalt. Ein Randproblem ist dies nicht. Doch nur, wenn es die Brutalität eines Angreifers in die Schlagzeilen schafft, wird es auch wahrgenommen. Das macht es den Tätern leicht. Solange sie bestimmte Grenzen nicht überschreiten, agieren sie im Schutz der eigenen vier Wände. Ihnen hilft die gesellschaftliche Toleranz, vielleicht sogar Ignoranz, bei sogenannten Familienangelegenheiten.
Gegen diese Formen der Gewalt vorzugehen, ist nicht einfach, weil sie eben die Privatsphäre betreffen. Frauenhäuser mit mehr Geld zu unterstützen, ist sinnvoll, hilft aber nur denjenigen, die bereits zum Opfer wurden. Zur Prävention braucht es mehr – in erster Linie eine Gesellschaft, die Gewalt entschieden ächtet. Und das geht jeden an: Eltern und Lehrer, die Kinder gleichberechtigt erziehen und sie so stark machen. Den Gesetzgeber, der es von Hasskriminalität betroffenen Frauen leichter machen sollte, juristisch gegen die Täter vorzugehen. Aber auch alle anderen, die auf der Straße, am Arbeitsplatz oder im Internet gefordert sind, Beleidigungen und Übergriffe nicht unkommentiert stehen zu lassen.