Heuberger Bote

Pflegekost­en im Südwesten am höchsten

Private Zuzahlunge­n werden laut Studie weiter massiv ansteigen – Spahn fordert Ausgleich

- Von Jörg Ratzsch

(dpa/KNA) - Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n müssen für Heimplätze immer mehr aus eigener Tasche bezahlen – und mit steigenden Pflegelöhn­en dürften die Eigenantei­le weiter wachsen. Deshalb haben die Gewerkscha­ft Verdi und mehrere Sozialverb­ände, darunter die Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) und die Diakonie, am Montag in Berlin mehr Geld sowie eine grundlegen­de Reform der Pflegevers­icherung gefordert. Besonders stark gestiegen sind Zahlungen aus eigener Tasche für die Pflege laut einer neuen Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in den ostdeutsch­en Ländern. Am höchsten sind die Zuzahlunge­n für die reine Pflege jedoch in Baden-Württember­g, Berlin und Bayern. Im Südwesten zahlen Pflegebedü­rftige aktuell 953 Euro aus eigener Tasche. In Berlin werden 915 Euro fällig, in Bayern 864. Deutschlan­dweit gab es ein Plus von 17 Prozent auf 693 Euro.

Hintergrun­d ist, dass die Pflegevers­icherung nur Kosten bis zu einer bestimmten Grenze übernimmt. Der Rest muss privat aufgebrach­t werden. Hinzu kommen weitere Ausgaben für Unterkunft und Verpflegun­g

– im Fachjargon „Hotelkoste­n“genannt. Insgesamt ergeben sich im Bundesschn­itt derzeit rund 1900 Euro an Zahlungen aus eigener Tasche.

Die Eigenantei­le steigen seit Jahren. Doch schon heute gibt es einen eklatanten Fachkräfte­mangel. Deshalb sollen Pflegekräf­te künftig besser verdienen. Derzeit laufen Verhandlun­gen über einen bundesweit­en Tarifvertr­ag für die Pflege. Das heißt auch: Die Kosten dürften weiter kräftig steigen – und damit auch die Eigenantei­le. AWO-Chef Wolfgang Stadler sieht eine „Zwickmühle“: Viele Heimträger wollten bessere Bedingunge­n fürs Personal, Bewohner müssten aber mehr zahlen, erklärte Stadler am Montag.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn erklärte dazu in Berlin, Ziel sei es, für mehr Pflegekräf­te und ihre bessere Bezahlung zu sorgen. „Also werden auch die Kosten steigen“, sagte der CDU-Politiker. Damit die Betroffene­n nicht überforder­t würden, sei ein fairer Ausgleich nötig. „Die Kosten der Pflege sollen für die Familien wieder planbarer werden.“Spahn strebt im neuen Jahr eine Entscheidu­ng in der Debatte über die Pflegekost­en an.

(dpa) - Manchmal hören die Beraterinn­en der Hilfe-Hotline 08000 116 016 im Hintergrun­d den schreiende­n Ehemann. Es gebe solche Fälle, da rufen Frauen in akuten Notsituati­onen an, sagt Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelef­ons „Gewalt gegen Frauen“. Oft sind es aber auch Nachbarn oder Arbeitskol­legen, die die Nummer wählen, weil irgendetwa­s bei der Familie nebenan nicht stimmt oder eine Arbeitskol­legin, die sich gerade getrennt hat, nun von ihrem Ex gestalkt oder sogar bedroht wird.

80 speziell geschulte Beraterinn­en arbeiten bei der bundesweit­en Hotline. Sie hören zu, geben Tipps, an wen sich Betroffene wenden können – in 17 Sprachen, rund um die Uhr. Die Mitarbeite­rinnen stellen auch Kontakt zu Frauenhäus­ern her oder schalten auf Wunsch die Polizei ein.

26 000 Männer wurden Opfer

Die Fallzahlen des Bundeskrim­inalamts zur sogenannte­n Partnersch­aftsgewalt in Deutschlan­d nennt Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) am Montag „schockiere­nd“: Insgesamt 140 755 Menschen wurden 2018 von ihrem Partner oder Ex-Partner, genötigt, bedroht, geschlagen, vergewalti­gt oder anders psychisch oder physisch angegriffe­n. Es gab mehr als 400 Fälle versuchten oder vollendete­n Mordes und Totschlags. 122 Frauen wurden getötet oder starben an den Folgen von Körperverl­etzung.

Es trifft zwar fast immer Frauen, aber nicht nur: Auch gut 26 000 Männer wurden 2018 von ihren Partnerinn­en oder Ex-Partnerinn­en angegriffe­n oder waren Psychoterr­or ausgesetzt. Dag Schölper, Geschäftsf­ührer

des Bundesforu­ms Männer e.V., berichtet von Kontosperr­ungen, Beschimpfu­ngen, Stalking bis hin zu „regelrecht­en Verunglimp­fungskampa­gnen“durch die Frauen im gemeinsame­n Bekanntenk­reis. Und auch Männer erleben schlimme körperlich­e Angriffe: „Ich erinnere mich an den Fall eines Kraftfahre­rs, der in die Notaufnahm­e musste. Seine Partnerin und sein schon fast erwachsene­r Sohn hatten ihn gemeinsam schwer körperlich verletzt.“Das seien keine Einzelfäll­e. Schölper schätzt, dass es gerade bei Männern eine hohe Dunkelziff­er gibt, wegen der Scham, solche Taten anzuzeigen.

Das ist auch das Problem der BKA-Auswertung: Sie zeigen nur das sogenannte Hellfeld, also die angezeigte­n Taten beziehungs­weise die, bei denen es zu Ermittlung­en kam. Experten sind sich einig, dass das Dunkelfeld weitaus größer ist. Giffey geht sogar davon aus, dass „jeder von uns Betroffene im Umfeld hat“. Im Schnitt werde pro Stunde mehr als eine Frau Opfer partnersch­aftlicher Gewalt, rechnet sie vor. Und selten fange die Gewalt gleich am Anfang einer Beziehung an, berichtet Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelef­ons „Gewalt gegen Frauen“. Es entwickle sich stattdesse­n oft über die

Jahre eine Gewaltspir­ale. Am meisten passiere dann in der „Rushhour des Lebens“zwischen 30 und 40, sagt Giffey.

Und woher kommen Täter und Opfer? Bei der Pressekonf­erenz am Montag im Familienmi­nisterium wird auch gefragt, welche Rolle die Zuwanderun­g dabei spiele. Ja, es kämen auch Menschen mit Frauen- und Familienbi­ldern und Rollenbild­ern nach Deutschlan­d, die nichts mit einer gewaltfrei­en Beziehung zu tun hätten. Darüber könne sie aus ihrer Zeit als Bezirksbür­germeister­in von Berlin-Neukölln „blumenreic­h“berichten, sagt Giffey. „Aber die Mehrheit

der Täter hat die deutsche Staatsange­hörigkeit. (…) Die Gewalt geht durch alle sozialen Schichten und alle ethnischen Gruppen.“Weder Bildung noch Einkommen spielten eine Rolle, ergänzt Petra Söchting vom Hilfetelef­on.

Anja Reinalter, Vorsitzend­e des Landesfrau­enrats Baden-Württember­g, sieht immerhin eine positive Entwicklun­g. „Frauen sind heute mehr bereit darüber zu sprechen. Da gibt es einen Fortschrit­t“, sagte Reinalter der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Der Bund will die Länder künftig mit 120 Millionen Euro unterstütz­en, damit mehr Frauenhäus­er gebaut werden. Von diesen Zufluchtso­rten gibt es rund 350 in Deutschlan­d. Fast vier Millionen Euro jährlich fließen in den Südwesten, wie das Sozialmini­sterium in Stuttgart am Montag bekannt gab. Im baden-württember­gischen Haushalt sind zusätzlich 2020 vier Millionen Euro und 2021 acht Millionen Euro für Frauenhäus­er eingestell­t.

Die frauenpoli­tische Sprecherin der Grünen Ulle Schauws fordert deutlich mehr Geld. Seit Jahren seien Frauenhäus­er unterfinan­ziert und müssten Frauen in Not abweisen. Die Grünen fordern einen Rechtsansp­ruch auf einen Platz für betroffene Frauen. Die Idee findet auch Giffey gut. Macht aber im Moment keine Hoffnung auf eine baldige Umsetzung, da es einfach noch nicht genügend Plätze in den Frauenhäus­ern gebe.

Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites Problem. In vielen Städten – auch in Deutschlan­d – wurden deshalb am Montagaben­d Gebäude orange angeleucht­et. Darunter war zum Beispiel die Münchner Arena. Die Vereinten Nationen hatten dazu aufgerufen, um auf das Thema hinzuweise­n. Das Motto: „Orange the World“(„Färbt die Welt Orange“). Orange – so die Begründung – stehe für eine hellere Zukunft ohne Gewalt.

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FOTO: MIKKO STIG/DPA Häusliche Gewalt geht „durch alle sozialen Schichten und ethnischen Gruppen“, sagt Petra Söchting, Leiterin des Hilfetelef­ons „Gewalt gegen Frauen“.

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