Pflegekosten im Südwesten am höchsten
Private Zuzahlungen werden laut Studie weiter massiv ansteigen – Spahn fordert Ausgleich
(dpa/KNA) - Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen für Heimplätze immer mehr aus eigener Tasche bezahlen – und mit steigenden Pflegelöhnen dürften die Eigenanteile weiter wachsen. Deshalb haben die Gewerkschaft Verdi und mehrere Sozialverbände, darunter die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und die Diakonie, am Montag in Berlin mehr Geld sowie eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung gefordert. Besonders stark gestiegen sind Zahlungen aus eigener Tasche für die Pflege laut einer neuen Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in den ostdeutschen Ländern. Am höchsten sind die Zuzahlungen für die reine Pflege jedoch in Baden-Württemberg, Berlin und Bayern. Im Südwesten zahlen Pflegebedürftige aktuell 953 Euro aus eigener Tasche. In Berlin werden 915 Euro fällig, in Bayern 864. Deutschlandweit gab es ein Plus von 17 Prozent auf 693 Euro.
Hintergrund ist, dass die Pflegeversicherung nur Kosten bis zu einer bestimmten Grenze übernimmt. Der Rest muss privat aufgebracht werden. Hinzu kommen weitere Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung
– im Fachjargon „Hotelkosten“genannt. Insgesamt ergeben sich im Bundesschnitt derzeit rund 1900 Euro an Zahlungen aus eigener Tasche.
Die Eigenanteile steigen seit Jahren. Doch schon heute gibt es einen eklatanten Fachkräftemangel. Deshalb sollen Pflegekräfte künftig besser verdienen. Derzeit laufen Verhandlungen über einen bundesweiten Tarifvertrag für die Pflege. Das heißt auch: Die Kosten dürften weiter kräftig steigen – und damit auch die Eigenanteile. AWO-Chef Wolfgang Stadler sieht eine „Zwickmühle“: Viele Heimträger wollten bessere Bedingungen fürs Personal, Bewohner müssten aber mehr zahlen, erklärte Stadler am Montag.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärte dazu in Berlin, Ziel sei es, für mehr Pflegekräfte und ihre bessere Bezahlung zu sorgen. „Also werden auch die Kosten steigen“, sagte der CDU-Politiker. Damit die Betroffenen nicht überfordert würden, sei ein fairer Ausgleich nötig. „Die Kosten der Pflege sollen für die Familien wieder planbarer werden.“Spahn strebt im neuen Jahr eine Entscheidung in der Debatte über die Pflegekosten an.
(dpa) - Manchmal hören die Beraterinnen der Hilfe-Hotline 08000 116 016 im Hintergrund den schreienden Ehemann. Es gebe solche Fälle, da rufen Frauen in akuten Notsituationen an, sagt Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“. Oft sind es aber auch Nachbarn oder Arbeitskollegen, die die Nummer wählen, weil irgendetwas bei der Familie nebenan nicht stimmt oder eine Arbeitskollegin, die sich gerade getrennt hat, nun von ihrem Ex gestalkt oder sogar bedroht wird.
80 speziell geschulte Beraterinnen arbeiten bei der bundesweiten Hotline. Sie hören zu, geben Tipps, an wen sich Betroffene wenden können – in 17 Sprachen, rund um die Uhr. Die Mitarbeiterinnen stellen auch Kontakt zu Frauenhäusern her oder schalten auf Wunsch die Polizei ein.
26 000 Männer wurden Opfer
Die Fallzahlen des Bundeskriminalamts zur sogenannten Partnerschaftsgewalt in Deutschland nennt Familienministerin Franziska Giffey (SPD) am Montag „schockierend“: Insgesamt 140 755 Menschen wurden 2018 von ihrem Partner oder Ex-Partner, genötigt, bedroht, geschlagen, vergewaltigt oder anders psychisch oder physisch angegriffen. Es gab mehr als 400 Fälle versuchten oder vollendeten Mordes und Totschlags. 122 Frauen wurden getötet oder starben an den Folgen von Körperverletzung.
Es trifft zwar fast immer Frauen, aber nicht nur: Auch gut 26 000 Männer wurden 2018 von ihren Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen angegriffen oder waren Psychoterror ausgesetzt. Dag Schölper, Geschäftsführer
des Bundesforums Männer e.V., berichtet von Kontosperrungen, Beschimpfungen, Stalking bis hin zu „regelrechten Verunglimpfungskampagnen“durch die Frauen im gemeinsamen Bekanntenkreis. Und auch Männer erleben schlimme körperliche Angriffe: „Ich erinnere mich an den Fall eines Kraftfahrers, der in die Notaufnahme musste. Seine Partnerin und sein schon fast erwachsener Sohn hatten ihn gemeinsam schwer körperlich verletzt.“Das seien keine Einzelfälle. Schölper schätzt, dass es gerade bei Männern eine hohe Dunkelziffer gibt, wegen der Scham, solche Taten anzuzeigen.
Das ist auch das Problem der BKA-Auswertung: Sie zeigen nur das sogenannte Hellfeld, also die angezeigten Taten beziehungsweise die, bei denen es zu Ermittlungen kam. Experten sind sich einig, dass das Dunkelfeld weitaus größer ist. Giffey geht sogar davon aus, dass „jeder von uns Betroffene im Umfeld hat“. Im Schnitt werde pro Stunde mehr als eine Frau Opfer partnerschaftlicher Gewalt, rechnet sie vor. Und selten fange die Gewalt gleich am Anfang einer Beziehung an, berichtet Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“. Es entwickle sich stattdessen oft über die
Jahre eine Gewaltspirale. Am meisten passiere dann in der „Rushhour des Lebens“zwischen 30 und 40, sagt Giffey.
Und woher kommen Täter und Opfer? Bei der Pressekonferenz am Montag im Familienministerium wird auch gefragt, welche Rolle die Zuwanderung dabei spiele. Ja, es kämen auch Menschen mit Frauen- und Familienbildern und Rollenbildern nach Deutschland, die nichts mit einer gewaltfreien Beziehung zu tun hätten. Darüber könne sie aus ihrer Zeit als Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln „blumenreich“berichten, sagt Giffey. „Aber die Mehrheit
der Täter hat die deutsche Staatsangehörigkeit. (…) Die Gewalt geht durch alle sozialen Schichten und alle ethnischen Gruppen.“Weder Bildung noch Einkommen spielten eine Rolle, ergänzt Petra Söchting vom Hilfetelefon.
Anja Reinalter, Vorsitzende des Landesfrauenrats Baden-Württemberg, sieht immerhin eine positive Entwicklung. „Frauen sind heute mehr bereit darüber zu sprechen. Da gibt es einen Fortschritt“, sagte Reinalter der „Schwäbischen Zeitung“.
Der Bund will die Länder künftig mit 120 Millionen Euro unterstützen, damit mehr Frauenhäuser gebaut werden. Von diesen Zufluchtsorten gibt es rund 350 in Deutschland. Fast vier Millionen Euro jährlich fließen in den Südwesten, wie das Sozialministerium in Stuttgart am Montag bekannt gab. Im baden-württembergischen Haushalt sind zusätzlich 2020 vier Millionen Euro und 2021 acht Millionen Euro für Frauenhäuser eingestellt.
Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen Ulle Schauws fordert deutlich mehr Geld. Seit Jahren seien Frauenhäuser unterfinanziert und müssten Frauen in Not abweisen. Die Grünen fordern einen Rechtsanspruch auf einen Platz für betroffene Frauen. Die Idee findet auch Giffey gut. Macht aber im Moment keine Hoffnung auf eine baldige Umsetzung, da es einfach noch nicht genügend Plätze in den Frauenhäusern gebe.
Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites Problem. In vielen Städten – auch in Deutschland – wurden deshalb am Montagabend Gebäude orange angeleuchtet. Darunter war zum Beispiel die Münchner Arena. Die Vereinten Nationen hatten dazu aufgerufen, um auf das Thema hinzuweisen. Das Motto: „Orange the World“(„Färbt die Welt Orange“). Orange – so die Begründung – stehe für eine hellere Zukunft ohne Gewalt.