Auswege aus der Pflegekosten-Falle
Heimplätze werden immer teurer, besonders in Baden-Württemberg – Wie eine Reform aussehen könnte
- Was sprunghaft steigende Kosten für Pflegebedürftige bedeuten, weiß Klaus Hommel genau. Die Mutter des 67-jährigen Brandenburgers zahlte 2017 noch 1200 Euro für ihren Heimplatz zu, mittlerweile sind es 1800 Euro. Diese Erfahrung deckt sich mit den Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft. Demnach stiegen die Eigenanteile bundesweit allein von 2018 auf 2019 um 17 Prozent.
In absoluten Zahlen ist es in Baden-Württemberg besonders teuer. Hier mussten Pflegebedürftige für ihren Heimplatz im ersten Quartal 1994 Euro selbst zahlen – für die eigentliche Pflege, Unterkunft und Verpflegung sowie für Investitionskosten. Auf den Eigenanteil für die Pflege entfielen 925 Euro. Am günstigsten ist ein Heimplatz in Thüringen (1221 Euro, davon 274 Pflege). Klaus Hommel jedenfalls hat zusammen mit anderen Angehörigen der Initiative „Eigenanteile der Pflegekosten in Seniorenheimen senken“Tausende Unterschriften gesammelt und dem Gesundheitsausschuss des Bundestags übergeben. „Substanziell passiert ist aber nichts.“Deshalb saß Hommel am Montag neben Vertretern der Gewerkschaft Verdi, von Diakonie und Arbeiterwohlfahrt (AWO) in der Bundespressekonferenz, um eine grundlegende Reform der Pflegefinanzierung zu fordern.
Wie könnte die aussehen? Professor Heinz Rothgang von der Uni Bremen wirbt dafür, die Finanzbelastung umzudrehen. Bisher ist die Pflegeversicherung nur eine Teilkostenversicherung. Sie übernimmt einen Basisbetrag. Alles, was darüber liegt, ist vom Pflegebedürftigen selbst beziehungsweise von Angehörigen oder dem Sozialamt zu bezahlen. Und das wird immer mehr – auch deshalb, weil Pflegekräfte endlich besser vergütet werden. Stattdessen solle der Pflegebedürftige einen Basisbetrag übernehmen und den Rest Pflege- sowie Krankenversicherung und Steuerzahler. Er nennt das „Sockel-Spitze-Tausch“.
Für ein solches Modell hatte sich bereits vor mehreren Monaten Baden-Württembergs Sozialminister
Manfred Lucha (Grüne) ausgesprochen. Bei einem Treffen der Gesundheitsminister der Länder mit ihrem Berliner Amtskollegen Jens Spahn (CDU) in der vergangenen Woche sei das Thema erneut zur Sprache gekommen, außerdem stehe es beim nächsten Treffen der Gesundheitsministerkonferenz auf der Tagesordnung, sagte ein Sprecher von Lucha am Montag.
Am besten wäre es, sagt VerdiVorstandsmitglied Sylvia Bühler, eine Vollversicherung einzuführen, die die Pflege komplett finanziere. „Mit der derzeitigen Regierung ist das aber sicher nicht hinzubekommen.“Insofern wäre für Verdi ein Sockel-Spitze-Tausch ein erster Schritt. Das sieht AWO-Chef Wolfgang Stadler genauso. Man müsse handeln und die Eigenbeiträge zumindest einfrieren. Wie viel eine Pflegebürgerversicherung kosten würde, wollten verdi und die Verbände nicht konkret beziffern. Loheide sprach sich für einen Finanzierungsmix aus gegebenenfalls höheren Beiträgen zur Pflegeversicherung, Abgaben auf Mietund Kapitaleinnahmen sowie eventuell einem Steuerzuschuss aus.
Gesundheitsminister Spahn will zunächst eine Debatte über das Problem führen, sein Ministerium plant bundesweit Veranstaltungen. Darauf müsse „eine Entscheidung folgen, die klar macht: Es wird planbarer und verlässlicher, wie viel eine Familie an Eigenanteilen einbringen muss“. Vorschläge dazu will er im ersten Halbjahr 2020 vorlegen.