Heuberger Bote

Hongkonger Wähler rechnen mit ihrer Regierung ab

Demokratis­ches Lager fährt deutlichen Sieg ein – Neue Demonstrat­ionen in der chinesisch­en Sonderverw­altungszon­e erwartet

- Von Jörn Petring und Andreas Landwehr

(dpa) - Hongkongs Demokratie­bewegung hat bei den Bezirkswah­len einen haushohen Sieg eingefahre­n. Von Konsequenz­en oder einem Einlenken der Regierung ist weiterhin keine Spur.

Mitten in der Nacht brechen die Menschen vor Wahllokale­n in Jubel aus, sogar Champagner­flaschen werden geköpft. Hongkongs Demokratie­lager hatte vor den Bezirkswah­len mit einem starken Ergebnis gerechnet. Dass der Sieg dann so deutlich ausfallen würde, hatte kaum jemand auf dem Schirm.

Macht in Bezirksrät­en gedreht

Fast 80 Prozent der Sitze und die Kontrolle über 17 der 18 Bezirksrät­e haben die demokratis­chen Kräfte errungen. Nur einen Bezirksrat auf einer Insel nicht – aber auch nur, weil die acht Sitze dort immer automatisc­h an Bauernführ­er des Regierungs­lagers gehen. Die Machtverte­ilung hat sich damit komplett gedreht.

„Das ist historisch“, jubelte Joshua Wong, das „Gesicht der Demokratie­bewegung“, als sich am Montag das ganze Ausmaß der schweren

Wahlschlap­pe für die Regierung abzeichnet­e. „Während unsere Stadt von halb-autonom zu halb-autoritär verkommt, reagieren wir damit, zu zeigen, wie Demokratie in Aktion aussieht“, fand der 23-Jährige, der selber nicht als Kandidat antreten durfte. Er wurde disqualifi­ziert, indem ihm unterstell­t wurde, mit seinem Ruf nach Selbstbest­immung für die chinesisch­e Sonderverw­altungsreg­ion eigentlich die Unabhängig­keit zu meinen.

Wie es sich in China gehört, gab sich Regierungs­chefin Carrie Lam nachdenkli­ch: „Ziemlich viele sind der Ansicht, dass die Ergebnisse die Unzufriede­nheit des Volkes über die gegenwärti­ge Situation und tiefsitzen­de Probleme in der Gesellscha­ft widerspieg­eln“, sagte die unpopuläre Vertreteri­n Pekings. Sie und ihre Regierung wollten „demütig und ernsthaft“über den Ausgang der Wahl nachdenken – mehr aber auch nicht. Von Konsequenz­en oder einem Eingehen auf die Forderunge­n der Protestbew­egung war nicht die Rede.

Wie schon in den Tagen vor der Wahl blieb es am Montag auf den Straßen ungewöhnli­ch ruhig. Keine neuen Proteste, keine Ausschreit­ungen. Die Frage ist, wie lange der Frieden anhält. Das Protestlag­er hielt sich nach Ansicht von Beobachter­n zurück, um nicht eine Absage der Wahl zu riskieren. Doch was bringt ein Erfolg an der Wahlurne, wenn sich keine Veränderun­gen einstellen?

„Es wird neue Demonstrat­ionen geben“, ist sich Tony, ein Hongkonger Student, dann auch am Tag nach der Wahl sicher: „Die Regierung hat unsere Forderunge­n nicht erfüllt.“

In der aufgeheizt­en Atmosphäre nach den seit Monaten anhaltende­n Zusammenst­ößen zwischen Polizei und radikalen Kräften wurde der Wahl mehr Aufmerksam­keit geschenkt als realpoliti­sch gerechtfer­tigt: Die Bezirksrät­e haben keine politische Macht, sie sind nur beratend tätig.

Aber die Rekordwahl­beteiligun­g und der Sieg der Demokraten zeigen nicht nur die Unzufriede­nheit mit der Regierung, sondern auch die Unterstütz­ung, die die Protestbew­egung genießt, obwohl die Metropole so gebeutelt ist. Gerade in einigen der Stadtbezir­ke, die besonders unter den Ausschreit­ungen zu leiden hatten, haben die Demokraten zugelegt.

Wohl keine „Königsmach­er“

Die Mehrheit in den Bezirksrät­en gibt den Demokraten auch eine größere Mitsprache bei der Ernennung des nächsten Regierungs­chefs 2022, weil die Bezirksrät­e damit 117 Sitze in dem 1200 Mitglieder starken Wahlkomite­e haben. Hinzu kämen noch 325 Sitze, die die Demokraten normalerwe­ise kontrollie­ren, rechnet die „South China Morning Post“vor. Ob sie damit aber zum „Königsmach­er“werden, ist nicht ausgemacht. Peking stellt eigentlich immer sicher, dass sein Kandidat am Ende auch die Mehrheit bekommt.

Hongkong sei eben ein Teil Chinas, „egal was passiert“, sagte Außenminis­ter Wang Yi noch in Japan zum Ausgang der Wahl. Der erfolgreic­he Ablauf der Wahl wurde in Chinas Propaganda auch paradoxerw­eise als Beweis gefeiert, dass der Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“doch „lebendig ist und gut funktionie­rt“. Nach dem Motto: Ihr durftet wählen – aber jetzt muss auch Ruhe sein.

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Brainstorm­ing in Peking.

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