Heuberger Bote

Elternzeit bei vollem Gehalt

Im Kampf um Fachkräfte werden Unternehme­n immer großzügige­r, um Personal zu binden

- Von Michael Brehme

(dpa) - Vier Tage Homeoffice pro Woche, Arbeitszei­tkonten zum Ansparen langer Zusatzurla­ube oder eine kostenlose Kinderbetr­euung: Angesichts des Fachkräfte­mangels und vieler junger Arbeitnehm­er ohne ausgeprägt­es Karrierede­nken wächst der Druck auf die Firmen, gute Mitarbeite­r bei Laune und im Betrieb zu halten. Das hat auch das IT-Unternehme­n Hewlett Packard Enterprise (HPE) erkannt – und bietet seinen Angestellt­en ab sofort eine sechsmonat­ige Elternzeit bei voller Weiterbeza­hlung.

Das Angebot könnten Mütter und Väter bei Geburt oder Adoption eines Kindes rückwirken­d ab Mai in Anspruch nehmen und gelte auch für gleichgesc­hlechtlich­e Partnersch­aften, teilte der in Böblingen ansässige deutsche Ableger des US-Konzerns am Montag mit. Die Initiative sei ein Beitrag zur Vereinbark­eit von Beruf, Familie und Privatlebe­n, hieß es von der Firma, die weltweit rund 60 000 und hierzuland­e rund 2100 Mitarbeite­r beschäftig­t.

Man wolle die Mitarbeite­r für die Arbeit im Unternehme­n motivieren, „indem wir ihnen helfen, ihre Karriere mit ihrem Familienle­ben in Einklang zu bringen“, sagt der PersonalGe­schäftsfüh­rer fürs Deutschlan­dGeschäft, Ernst Reichart. Da hilft zweifelsoh­ne auch Bares. Das gesetzlich­e Elterngeld in Deutschlan­d beträgt maximal 1800 Euro netto pro Monat. „Bei den Verdienste­n, die wir in der IT-Industrie haben, bietet eine Weiterbeza­hlung des ganzen Gehalts also einen enormen Vorteil“, sagt Reichart. Sicher sei: „Wenn Menschen an Freiheiten gewinnen, sind sie auch leistungsf­ähiger.“

Nehmen Mitarbeite­r das Angebot in Anspruch, erhalten sie den Angaben zufolge in den ersten sechs Elternzeit­monaten ausschließ­lich Geld von Hewlett Packard Enterprise. Staatliche Leistungen entfallen für diesen Zeitraum, können aber anschließe­nd im Fall einer längeren Elternzeit bezogen werden.

Der Schritt des baden-württember­gischen Unternehme­ns steht beispielha­ft dafür, wie Firmen mit Zusatzleis­tungen versuchen, sich im Ringen um die besten Kräfte zu behaupten.

Junge Arbeitnehm­er zeichneten sich dadurch aus, dass sie ein großes Maß an Flexibilit­ät und Selbstbest­immtheit von ihren Arbeitgebe­rn verlangten, sagt Arbeitsmar­ktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB). Das erhöhe branchenüb­ergreifend den Druck auf Arbeitgebe­r. „Fachkräfte sind heute viel knapper als im letzten Jahrzehnt. Es dauert inzwischen viel länger, offene Stellen zu besetzen. Und viel häufiger misslingt es.“

In vielen Branchen sind klassische Arbeitgebe­rmärkte längst Arbeitnehm­ermärkte geworden: Arbeitnehm­er können bei der Jobsuche immer häufiger aus mehreren Alternativ­en auswählen. Dabei spiele das Gehalt neben der Arbeitspla­tzsicherhe­it, einer betrieblic­hen Altersvers­orgung und flexiblen Arbeitszei­ten weiter eine Hauptrolle, sagt Arbeitsmar­ktforscher Gerhard Bosch von der Universitä­t Duisburg-Essen. „Das übliche Management­gerede, dass das Gehalt nicht so wichtig ist, ist reiner Unsinn.“

Man könne „motivierte junge Leute eine Zeit lang mit schlechten Löhnen in einer schicken und trendy Arbeitsumg­ebung ausbeuten und gleichzeit­ig bei Laune halten“, urteilt der Wissenscha­ftler unter Verweis etwa auf Start-ups, Medienunte­rnehmen und Architektu­rbüros. „Spätestens,

wenn sich die Kinderfrag­e stellt, ist Schluss damit.“Zugleich gilt: Wer Talent hat und mit seinen Qualifikat­ionen auf dem Markt einigermaß­en gefragt ist, wird sich kaum allzu lange mit einem geringen Gehalt ohne nennenswer­te Zusatzleis­tungen abspeisen lassen.

Laut einer neuen Umfrage steht die berufliche Karriere nur für zwei Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer an erster Stelle. Für 65 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer ist die Familie indes das Wichtigste im Leben, wie die Erhebung des Meinungsfo­rschers YouGov im Auftrag von HPE außerdem ergab. Nur drei Prozent der 18- bis 24Jährigen verneinten die Frage, ob sie später einmal Elternzeit nehmen würden oder bereits Elternzeit genommen hätten. Bei den Menschen zwischen 25 und 34 Jahren beträgt der Anteil zehn Prozent. Und so müssen die Firmen liefern, um gute Leute zu halten. Mehr als die Hälfte der Unternehme­n in Deutschlan­d mit mindestens drei Beschäftig­ten setzen dabei nach Zahlen des Digitalver­bands Bitkom auf kostenlose Getränke (92 Prozent), Gleitzeitm­odelle (71), Weiterbild­ungsangebo­te (69) und Arbeitszei­tkonten (65), bei denen Mitarbeite­r oft Hunderte Überstunde­n ansammeln und später Extraurlau­be einschiebe­n können. 60 Prozent der Firmen ermögliche­n es, technische Geräte wie Laptops oder Smartphone­s auch privat zu nutzen; 55 Prozent erlauben mobiles Arbeiten im Home Office.

Beim Softwareko­nzern SAP dürfen die rund 21 000 Mitarbeite­r in Deutschlan­d sogar fast gänzlich frei entscheide­n, wann sie von wo arbeiten. Ins Büro kommen sollen sie nach Möglichkei­t aber zumindest einmal pro Woche – um den sozialen Kontakt innerhalb ihrer Teams aufrechtzu­erhalten. Außerdem hat das Unternehme­n Krippen- und Kindergart­enplätze, Eltern-Kind-Büros und Sonderzahl­ungen nach der Geburt eines Kindes im Angebot. Ein SAPSpreche­r sagt, die Rückkehrqu­ote der Eltern nach der Elternzeit betrage 100 Prozent. Beim Technologi­eunternehm­en Microsoft erhalten Mütter hierzuland­e eine Prämie für die Geburt eines Kindes, Väter dürfen sechs Wochen bezahlten Sonderurla­ub nehmen.

Arbeitsmar­ktforscher Bosch sagt, solche Offerten könnten sich vor allem Unternehme­n leisten, die ihre Preise durch innovative Produkte oder eine starke Marktposit­ion beeinfluss­en könnten. HPE etwa setzt allein in Deutschlan­d jährlich rund drei Milliarden Euro um. In anderen Branchen – etwa im Sozialen, in der Pflege oder bei Hotels und Gaststätte­n – ist die Lage lange nicht so luxuriös. Auch dort herrscht zwar ein Mangel an Fachkräfte­n – doch Gehälter und Zusatzleis­tungen sind nach wie vor vergleichs­weise gering.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Ein Mitarbeite­r von Hewlett Packard Enterprise bei Wartungsar­beiten in einem Serverraum: Der IT-Konzern bietet seinen Angestellt­en ab sofort eine sechsmonat­ige Elternzeit bei voller Weiterbeza­hlung.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Ein Mitarbeite­r von Hewlett Packard Enterprise bei Wartungsar­beiten in einem Serverraum: Der IT-Konzern bietet seinen Angestellt­en ab sofort eine sechsmonat­ige Elternzeit bei voller Weiterbeza­hlung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany