Mit der Axt in die Schatzkammer
Nach dem Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden herrscht Ratlosigkeit
(dpa) - Bestürzung, Kopfschütteln, ungläubige Gesichter: Am Dresdner Residenzschloss stehen am Montagmorgen zahlreiche Besucher vor verschlossenen Türen. Ein Schild am Eingang weist darauf hin, dass das Museum aus „organisatorischen Gründen“geschlossen bleibt. Der Grund dafür ist ein Schock: Es gab einen spektakulären Kunstraub in Dresdens weltberühmter Schatzkammer – dem Grünen Gewölbe. Drei Juwelengarnituren ließen die unbekannten Diebe mitgehen. Mit einer Axt zerschlugen sie die Vitrine, zuvor hatten sie ein Fenstergitter und eine Glasscheibe damit zertrümmert. Der Wert der gestohlenen Juwelen lasse sich finanziell nicht beziffern, hieß es.
„Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie schockiert wir sind, auch von dieser Brutalität des Einbruchs“, sagt SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann. Es handle sich um einen „unschätzbaren kunsthistorischen und kulturhistorischen Wert“. August der Starke habe sich ja immer im Wettbewerb befunden mit Ludwig dem XIV. Mit solchen Garnituren habe er den Sonnenkönig hinter sich lassen wollen. Die besondere Bedeutung liege darin, dass die Garnituren als Ensembles erhalten blieben. Ackermann spricht von Sachsens Staatsschatz des 18. Jahrhunderts.
Dirk Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, verortet den Wert der geraubten Kunstschätze weit über die Grenzen Sachsens hinaus und spricht von einer Art „kulturellem Welterbe“. Es gebe nirgendwo in einer Sammlung in Europa eine Juwelengarnitur, die in dieser Form, dieser Qualität und dieser Quantität erhalten blieb. In vier Vitrinen waren insgesamt zehn Garnituren ausgestellt, eine Vitrine mit drei Garnituren wurden ausgeraubt.
Ackermann, Syndram und die Spitze der Dresdner Polizei müssen sich bohrenden Fragen stellen. Normalerweise wird über das Sicherheitskonzept eines Museum schon deshalb Stillschweigen bewahrt, damit Kriminelle nicht an Details herankommen. An diesem Tag müssen die SKD dennoch Einzelheiten bekannt geben. Nach den bisherigen Ermittlungen drangen die Täter über ein vergittertes Fenster mit Sicherheitsglas ein. Doch auch die mit Panzerglas geschützte Vitrine hielt den Werkzeugen der Räuber nicht stand.
Zwei Wachleute, die in der Zentrale Dienst haben, beobachten die Täter während der Tat über Monitore. Nach den Vorgaben dürfen sie nicht selbst eingreifen, sondern müssen die Polizei informieren. Die nimmt eine Minute vor 5 Uhr am Morgen den Notruf entgegen. Fünf Minuten später ist der erste Funkstreifenwagen vor Ort, die Täter aber schon auf und davon – offenkundig wieder durch das Fenster.
Fest steht, dass es zu diesem Zeitpunkt stockdunkel am Dresdner Schloss war. Da kurz zuvor ein Elektroverteiler nahe des Schlosses brannte, ist das Straßenlicht aus. Die Polizei untersucht, ob es einen Zusammenhang gibt, die Täter womöglich gezielt vorgingen, um unbemerkt in das Schloss zu kommen. Den Angaben zufolge flüchteten die Täter mit einem Audi A6 vom Tatort. Wenig später wurde ein baugleiches Fahrzeug in einer Tiefgarage im Dresdner Stadtgebiet in Brand gesetzt. Die Ermittler untersuchen derzeit das Fahrzeug und sichern Spuren.
Und dann ist da noch die Frage, wie viel Insiderwissen die Täter hatten. Im Internetauftritt der SKD gibt es aber auch einen virtuellen Rundgang durch das Grüne Gewölbe. Dessen Juwelenzimmer gilt als der prachtvollste Raum der Sammlung. Täfelungen, Spiegel, Türbekrönungen mit Kurhut und Königskrone, Pilaster und Marmorfußboden wurden nach historischen Quellen rekonstruiert. In vier Hightech-Vitrinen liegen verschiedene Kostbarkeiten mit Brillanten, Diamanten, Smaragden, Rubinen und Saphiren – darunter der weltgrößte blaue Stein dieser Art. Im Juwelenzimmer befinden sich auch die „Juwelen der Königin“: Diamanten und Brillanten auf tiefdunkelblauer indischer Rohseide.
Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) spricht von einem bitteren Tag für das kulturelle Erbe, Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) sieht alle Sachsen als Opfer des Einbruchs. „Man kann die Geschichte unseres Landes, unseres Freistaates nicht verstehen, ohne das Grüne Gewölbe und die Staatlichen Kunstsammlungen Sachsens.“
Eine der reichsten Schatzkammern Europas
Das Historische Grüne Gewölbe ist eines der weltberühmten Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und ein barockes Gesamtkunstwerk. In den im Zweiten Weltkrieg zerstörten und prachtvoll rekonstruierten Räumen des Residenzschlosses sind rund 3000 Schmuckstücke und andere Meisterwerke aus Gold, Silber, Edelsteinen und Elfenbein zu sehen. Das 1723 bis 1729 eingerichtete Prunkstück der Kunstsammlung des legendären Kurfürst-Königs August der Starke (1670-1733) gilt als eine der reichsten Schatzkammern Europas.
Deshalb verwundert es, dass Diebe vergleichsweise ungehindert in die Räume eindringen konnten. Ackermann muss sich den Fragen stellen. „Wir sind auf dem Stand gewesen, das ist das, was man tun kann“, beschreibt sie die Sicherheitsvorkehrungen. In allen Museen der Welt sei es so, dass Menschenleben vor allem anderen gehen würden. Deshalb hätten die Wachleute zuerst die Polizei informieren und nicht selbst nachsehen müssen. Wann immer auf der Welt ein Einbruch in ein Museum passiert sei, habe man intern einen Abgleich vorgenommen. Ackermann ist die Ratlosigkeit anzumerken.