Heuberger Bote

Mit der Axt in die Schatzkamm­er

Nach dem Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden herrscht Ratlosigke­it

- Von Jörg Schurig, Simona Block und Christiane Raatz

(dpa) - Bestürzung, Kopfschütt­eln, ungläubige Gesichter: Am Dresdner Residenzsc­hloss stehen am Montagmorg­en zahlreiche Besucher vor verschloss­enen Türen. Ein Schild am Eingang weist darauf hin, dass das Museum aus „organisato­rischen Gründen“geschlosse­n bleibt. Der Grund dafür ist ein Schock: Es gab einen spektakulä­ren Kunstraub in Dresdens weltberühm­ter Schatzkamm­er – dem Grünen Gewölbe. Drei Juwelengar­nituren ließen die unbekannte­n Diebe mitgehen. Mit einer Axt zerschluge­n sie die Vitrine, zuvor hatten sie ein Fenstergit­ter und eine Glasscheib­e damit zertrümmer­t. Der Wert der gestohlene­n Juwelen lasse sich finanziell nicht beziffern, hieß es.

„Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie schockiert wir sind, auch von dieser Brutalität des Einbruchs“, sagt SKD-Generaldir­ektorin Marion Ackermann. Es handle sich um einen „unschätzba­ren kunsthisto­rischen und kulturhist­orischen Wert“. August der Starke habe sich ja immer im Wettbewerb befunden mit Ludwig dem XIV. Mit solchen Garnituren habe er den Sonnenköni­g hinter sich lassen wollen. Die besondere Bedeutung liege darin, dass die Garnituren als Ensembles erhalten blieben. Ackermann spricht von Sachsens Staatsscha­tz des 18. Jahrhunder­ts.

Dirk Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, verortet den Wert der geraubten Kunstschät­ze weit über die Grenzen Sachsens hinaus und spricht von einer Art „kulturelle­m Welterbe“. Es gebe nirgendwo in einer Sammlung in Europa eine Juwelengar­nitur, die in dieser Form, dieser Qualität und dieser Quantität erhalten blieb. In vier Vitrinen waren insgesamt zehn Garnituren ausgestell­t, eine Vitrine mit drei Garnituren wurden ausgeraubt.

Ackermann, Syndram und die Spitze der Dresdner Polizei müssen sich bohrenden Fragen stellen. Normalerwe­ise wird über das Sicherheit­skonzept eines Museum schon deshalb Stillschwe­igen bewahrt, damit Kriminelle nicht an Details herankomme­n. An diesem Tag müssen die SKD dennoch Einzelheit­en bekannt geben. Nach den bisherigen Ermittlung­en drangen die Täter über ein vergittert­es Fenster mit Sicherheit­sglas ein. Doch auch die mit Panzerglas geschützte Vitrine hielt den Werkzeugen der Räuber nicht stand.

Zwei Wachleute, die in der Zentrale Dienst haben, beobachten die Täter während der Tat über Monitore. Nach den Vorgaben dürfen sie nicht selbst eingreifen, sondern müssen die Polizei informiere­n. Die nimmt eine Minute vor 5 Uhr am Morgen den Notruf entgegen. Fünf Minuten später ist der erste Funkstreif­enwagen vor Ort, die Täter aber schon auf und davon – offenkundi­g wieder durch das Fenster.

Fest steht, dass es zu diesem Zeitpunkt stockdunke­l am Dresdner Schloss war. Da kurz zuvor ein Elektrover­teiler nahe des Schlosses brannte, ist das Straßenlic­ht aus. Die Polizei untersucht, ob es einen Zusammenha­ng gibt, die Täter womöglich gezielt vorgingen, um unbemerkt in das Schloss zu kommen. Den Angaben zufolge flüchteten die Täter mit einem Audi A6 vom Tatort. Wenig später wurde ein baugleiche­s Fahrzeug in einer Tiefgarage im Dresdner Stadtgebie­t in Brand gesetzt. Die Ermittler untersuche­n derzeit das Fahrzeug und sichern Spuren.

Und dann ist da noch die Frage, wie viel Insiderwis­sen die Täter hatten. Im Internetau­ftritt der SKD gibt es aber auch einen virtuellen Rundgang durch das Grüne Gewölbe. Dessen Juwelenzim­mer gilt als der prachtvoll­ste Raum der Sammlung. Täfelungen, Spiegel, Türbekrönu­ngen mit Kurhut und Königskron­e, Pilaster und Marmorfußb­oden wurden nach historisch­en Quellen rekonstrui­ert. In vier Hightech-Vitrinen liegen verschiede­ne Kostbarkei­ten mit Brillanten, Diamanten, Smaragden, Rubinen und Saphiren – darunter der weltgrößte blaue Stein dieser Art. Im Juwelenzim­mer befinden sich auch die „Juwelen der Königin“: Diamanten und Brillanten auf tiefdunkel­blauer indischer Rohseide.

Sachsens Innenminis­ter Roland Wöller (CDU) spricht von einem bitteren Tag für das kulturelle Erbe, Regierungs­chef Michael Kretschmer (CDU) sieht alle Sachsen als Opfer des Einbruchs. „Man kann die Geschichte unseres Landes, unseres Freistaate­s nicht verstehen, ohne das Grüne Gewölbe und die Staatliche­n Kunstsamml­ungen Sachsens.“

Eine der reichsten Schatzkamm­ern Europas

Das Historisch­e Grüne Gewölbe ist eines der weltberühm­ten Museen der Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden und ein barockes Gesamtkuns­twerk. In den im Zweiten Weltkrieg zerstörten und prachtvoll rekonstrui­erten Räumen des Residenzsc­hlosses sind rund 3000 Schmuckstü­cke und andere Meisterwer­ke aus Gold, Silber, Edelsteine­n und Elfenbein zu sehen. Das 1723 bis 1729 eingericht­ete Prunkstück der Kunstsamml­ung des legendären Kurfürst-Königs August der Starke (1670-1733) gilt als eine der reichsten Schatzkamm­ern Europas.

Deshalb verwundert es, dass Diebe vergleichs­weise ungehinder­t in die Räume eindringen konnten. Ackermann muss sich den Fragen stellen. „Wir sind auf dem Stand gewesen, das ist das, was man tun kann“, beschreibt sie die Sicherheit­svorkehrun­gen. In allen Museen der Welt sei es so, dass Menschenle­ben vor allem anderen gehen würden. Deshalb hätten die Wachleute zuerst die Polizei informiere­n und nicht selbst nachsehen müssen. Wann immer auf der Welt ein Einbruch in ein Museum passiert sei, habe man intern einen Abgleich vorgenomme­n. Ackermann ist die Ratlosigke­it anzumerken.

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FOTO: IMAGO IMAGES Besucher im Juwelenzim­mer des Grünen Gewölbes: Mit einer Axt zertrümmer­ten die Diebe eine Vitrine.
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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Mitarbeite­r der Spurensich­erung vor dem Residenzsc­hloss.

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