Gefühle in Farben übersetzt
Gemälde von Paula Modersohn-Becker im Buchheim-Museum zu sehen
(KNA) - „Früh schon, in Paris, nahm sie die Lehre Cezannes auf und gab klar gebaute und erfühlte Form, als die Brückemaler ihrer Stilmittel noch recht ungewiss waren.“So würdigt Lothar Günther Buchheim 1956 in seiner großen Monografie über die Künstlergruppe „Brücke“die Leistung von Paula ModersohnBecker (1876-1907). Damit war der Sammler seiner Zeit weit voraus. Denn diese Auffassung von der Bedeutung der Malerin für die Entwicklung der modernen Kunst in Deutschland hat sich erst in den vergangenen fünf Jahren nach und nach durchgesetzt.
In Buchheims Museum in Bernried am Starnberger See sind nun 33 Gemälde der Künstlerin im Zusammenhang mit Arbeiten von Kollegen zu sehen. An ihnen lässt sich schlüssig ablesen, wie sehr die Malerin ihr Werk im intensiven Dialog mit den zeitgenössischen Künstlern und der Kunstgeschichte entwickelt hat. Gut zehn Jahre bevor die „Brücke“-Künstler um 1910 als Hauptvertreter des deutschen Expressionismus anerkannt wurden, hatte Modersohn-Becker dessen wesentliche Charakteristika gedanklich und malerisch schon vorweggenommen.
Zwar sind ihre Farben eher erdig gedämpft und die Übergänge in den Bildern nicht so kontrastreich-expressiv, aber heute besteht kein Zweifel mehr, dass sie die Erste war, die die Anregungen der internationalen Avantgarde von Paris nach Deutschland gebracht hat. Kein Künstler und schon gar keine Künstlerin vor ihr hat die Bild-Komposition derart deutlich von der Wirklichkeitstreue befreit, hat Farben und Formen so konsequent zu Sinnbildern für Gedanken,
Gefühle und Lebenseinstellungen verdichtet wie sie. Im Sinne der Vereinfachung und Reduktion der Motive ist sie die Begründerin des deutschen Expressionismus – und damit der Moderne in Deutschland.
Folgerichtig zeigt die Schau Werke ihrer „Brücke“-Kollegen ErnstLudwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rotluff, Otto Mueller und Emil Nolde. Daneben sind Bilder von Künstlern zu sehen, mit denen sie sich auseinandergesetzt hat. Dazu gehören die Schwedin Jeanna Bauck und Max Liebermann, der das deutsche Kunstgeschehen nach 1900 dominierte. Vor allem schätzte sie Camille Corot als Hauptvertreter der Schule von Barbizon, Paul Cezanne mit seinem strukturierten Bildaufbau, Auguste Rodin mit seinen Aktdarstellungen, und Vincent van Gogh, dem sie sich in den Malmitteln besonders verbunden fühlte.
Ihr Urteil über die Kunst im wilhelminischen Kaiserreich fiel dagegen wenig schmeichelhaft aus: „Wir in Deutschland sind noch lange nicht genug losgelöst, stehen nicht über den Dingen und kleben noch zu viel an der Vergangenheit. Die ganze deutsche Kunst steckt noch zu sehr im Konventionellen.“Kein Wunder also, dass die 23-jährige Paula Becker in der Neujahrsnacht 1900 mit dem Zug zu ihrer ersten Parisreise aufbrach, die man durchaus als Flucht vor der Rückständigkeit der Malerei deuten kann, wie sie in ihrer Heimat im 19. Jahrhundert üblich war.
1903 reiste die Malerin zum zweiten Mal nach Paris. Da war sie schon zwei Jahre mit dem Künstler-Kollegen Otto Modersohn verheiratet, den sie in der Künstlerkolonie Worpswede kennen- und liebengelernt hatte. In Künstlerehen war es damals üblich, dass die Frauen ihre Karriere aufgaben. Nicht so Paula: Sie entwickelte sich in ihrer Kunst weiter, reiste noch zweimal nach Paris (1905 und 1906) und war sogar bereit, das Familienleben für ein freies Künstlerdasein aufzugeben und sich von ihrem Mann zu trennen, dem ihre Autonomie gar nicht passte.
Als der Gatte im September 1906 auf ihre Bitte hin doch nach Paris kam, fanden sie wieder zusammen und kehrten nach Worpswede zurück. Paula wurde schwanger, was sie aber nicht daran hinderte, wie besessen zu malen: Bilder mit farbsatten und starken Konturlinien und vereinfachten Formen. Als im November 1907 Tochter Mathilde geboren wurde starb Paula 18 Tage später völlig überraschend an einer Embolie, mit nur 31 Jahren. Müßig, darüber zu spekulieren, ob sie eine der größten deutschen Malerinnen geworden wäre, wenn das Schicksal ihr ein längeres Leben vergönnt hätte.