Medikamentenmangel bereitet Apothekern Kopfschmerzen
Immer mehr Präparate sind nicht lieferbar - Patientenversorgung immer schwerer
- Die Vorratsschubladen sind leer, die Bestelllisten lang. Aber bei der Lieferung von Ibuprofen, Blutdruck- oder Schilddrüsenmitteln hapert es momentan deutschlandweit. Auch die Apotheken im Landkreis Tuttlingen sind betroffen. Alle beklagen: Im Laufe dieses Jahres hat sich der Medikamentenmangel immer weiter verschärft.
„Fast jedes zweite Medikament ist derzeit nicht lieferbar“, sagt Apothekerin Claudia Schwägler von der St.-Anna-Apotheke in Fridingen. Ganz so akut ist es nicht überall. Hannes Egle, Inhaber der HonbergApotheke, führt rund 8000 Medikamente in seinem Bestand. Er betreibt Filialen in Tuttlingen, Spaichingen, Aldingen und Wurmlingen. „Um die 400 Medikamente, die wir gerne hätten, können wir nicht so einfach nachbestellen.“Teils fielen Lieferungen komplett aus, teils kämen sie nur abgespeckt an. „Wenn ich 100 Stück nachbestelle, bekomme ich manchmal nur zehn“, sagt Egle. Ähnlich hoch ist die Ausfallquote bei seinem Tuttlinger Kollegen Rainer Koch von der Engel-Apotheke. Der gibt zu bedenken: „Die Frage ist, wie ich einen Lieferengpass definiere. Spricht man schon davon, wenn der Patient noch ein Alternativmedikament bekommt oder erst dann, wenn er ohne Medikament die Apotheke verlässt?“Letzteres sei bisher die Ausnahme.
Verschreibt der Arzt ein Medikament, das in einer Apotheke nicht verfügbar ist, hangeln sich Apotheker an einer Liste mit Alternativen entlang. Diese schreibt zum Beispiel vor, erst nach einem möglichst preisgünstigen Ersatzmedikament zu suchen. Aber auch das ist nicht immer lieferbar. „Vor allem beim Blutdrucksenker Candesartan gab es Lieferengpässe, nachdem viele Patienten von ihren Hausärzten vom Präparat Valsartan auf Candesartan umgestellt worden sind“, sagt Anke Beck. Sie ist Pharmazeutisch-Technische
Assistentin in der Wehinger Heuberg-Apotheke. Die Vorgabe, nach den vier billigsten Alternativpräparaten zu suchen, verstärke das Problem. In ihrer kleinen HeubergApotheke gehen für die Sucherei täglich eineinhalb Stunden drauf.
Nicht nur der logistische Aufwand erhöhe sich für die Apotheker, sagt Rainer Koch aus Tuttlingen. „Wir verbringen auch mehr Zeit mit der Beratung, wenn ein Patient auf ein anderes Medikament umgestellt werden muss.“Als letztes Glied in der Kette treffe es die Patienten am meisten. Oft müsse dann auch Rücksprache mit dem Arzt gehalten werden, ergänzt Hannes Egle von der Honberg-Apotheke. „Wenn ein Patient umgestellt wird, wird das strenger überwacht.“Lästig, sagt Apothekerin Claudia Schwägler. „Die Hausärzte sind oft überlaufen. Da muss man teils Monate auf einen Termin warten.“Und wie reagieren Patienten auf all die Umstände? „Teils ohne Verständnis, aber teils auch verständnisvoll. Der Vorteil für uns ist, dass das Thema MedikamentenEngpässe in den Medien präsent ist. Da sind die Kunden mit dem Problem schon einmal konfrontiert“, sagt Anke Beck.
Die Apotheker täten ihr Bestes, sagt Rainer Koch aus Tuttlingen. Über Ursachen könne man nur mutmaßen. „Die Produktion erfolgt justin-time und nicht auf Vorrat, dann die Lohnherstellung, die teilweise im Ausland liegt oder der Kostendruck bei den Krankenkassen: das sind alles mögliche Gründe. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.“Für Hannes Egle ist vor allem problematisch, dass es nur wenige Hersteller gibt, die in Fernost oder in den USA sitzen. „Die Qualitätsstandards in der Medizinproduktion sind hoch. Fällt eine Charge bei nur wenigen Herstellern aus, fehlt gleich eine große Menge.“
Durch die Abhängigkeit von nur wenigen Herstellern würden auch zukünftig Produktlinien ausfallen, sagt Egle. „Grundsätzlich bin ich aber optimistisch.“Für seinen Kollegen Rainer Koch ist die Versorgungslage aktuell auch noch nicht dramatisch. Aber: „Ich bin kein Hellseher.“Vor einem Jahr hätte er auch nicht gedacht, dass der Engpass heute so groß sein würde.
„Fast jedes zweite Medikament ist derzeit nicht lieferbar“,
Apothekerin Claudia Schwägler aus Fridingen