Die besten elf für die beste Elf
Der VfB Stuttgart hat sein Mittelfeld gefunden, Mario Gomez wähnt seine Mannschaft auf dem richtigen Weg
- Eine Stunde nach dem Sieg gegen den KSC, den er aus historischen Gründen gar nicht leiden kann, machte sich Mario Gomez auf, im VIP-Bereich vor den Sponsoren des VfB Rede und Antwort zu stehen. Immer ein anderer Stuttgarter wird dort nach Heimspielen befragt, aber bei keinem ist das Gesagte so lehrreich, ehrlich und authentisch wie bei diesem 34-jährigen Routinier, der nichts mehr zu verlieren hat, weil er alles schon gewonnen hat. Mario Gomez ist natürlich in die Jahre gekommen, beim 3:0 gegen den KSC rieb er sich vorne ergebnislos auf, vom „kicker“erhielt er für seinen persönlichen Abnutzungskampf die ziemlich harte Note 5. Aber das war dem gebürtigen Riedlinger egal, von den Journalisten verabschiedete er sich mit einem Lächeln und einem knappen „Genießt den Derbysieg“, und vor den Gönnern holte er dann zu einer Art Regierungserklärung aus.
„Es ist nicht so eine losgelöste Stimmung, wie ich sie eigentlich erwartet hätte“, sagte Gomez dort, er erkenne immer noch „viele Fragezeichen in den Gesichtern“. Deshalb müsse er eins betonen, erklärte der Ex-Nationalspieler. Er habe dieser Tage einen Podcast mit HSV-Trainer Dieter Hecking gehört, der vom großen Umbruch seiner Mannschaft sprach und davon, dass Hamburg deshalb absolut im Soll sei. „Da dachte ich mir: Hamburg ist nur drei Punkte vor uns, wir haben sie aus dem Pokal geschossen. Wir hatten zwanzig Neuzugänge und zwanzig Abgänge und haben zehn 20-Jährige aus dem Ausland, die zuvor noch nie ein Spiel in
Deuschland gemacht haben. Wir hatten doch einen viel größeren Umbruch, wir haben viel mehr Erwartungshaltung und mehr Druck. Und bei uns soll alles Scheiße sein? Das verstehe ich nicht. Wir sind erst recht im Soll.“
Tatsächlich hat jener VfB Stuttgart, der sich im August aufmachte, wieder in die Bundesliga aufzusteigen, mit dem VfB, der im Mai abstieg, so gut wie nichts mehr gemeinsam – außer dem Namen und dem Stadion. Personell blieb kein Stein auf dem anderen – nicht in der Mannschaft, nicht in der Führung, und schon gar nicht auf dem Trainerposten, auf dem mit Tim Walter
ein Mann am Schalthebel sitzt, der taktisch einen eher außergalaktischen Fußball spielen lässt. All diese neuen Menschen aber brauchen naturgemäß Zeit, um sich zu finden, und erst langsam, nach vier Monaten Versuch und Irrtum, ist Walter im Begriff, von den 30 Spielern, die er zur Auswahl hat, seine besten elf zu finden.
Wie zum Kuckuck soll man auch herausfinden, wer zu wem passt, wenn ein herausragender Mann wie Wataru Endo bisher noch gar nicht spielte, weil er wochenlang verletzt war? Gegen Karlsruhe mutierte der 20-malige japanische Nationalspieler sofort zum Rückhalt seiner Mannschaft in der Defensivzentrale. Vor allem seine Zweikampfquote (68 Prozent) und Kopfballstärke beeindruckten, Endo ist ja nur 1,78 Meter groß. Auch Orel Mangala scheint die Form des Vorjahrs wiederzufinden, als er beim HSV zu einem der besten Zweitligaspieler reifte, für den andere Clubs schon zweistellige Millionenbeträge boten. Der 23-Jährige war in der Offensive der Dreh- und Angelpunkt, schoss selbst das 2:0 und bereitete das 3:0 vor. Auch der Argentinier Santiago Ascacibar blüht erkennbar wieder auf, seit klar ist, dass er a) in Stuttgart bleibt und dort b) auch Vater werden wird. Es war das überragende Mittelfeld, das Stuttgart letztlich den souveränen Sieg über den badischen Rivalen ermöglichte – inklusive dem Linksaußen Philipp Förster –, und es wäre äußerst unlogisch, würden die vier Matchwinner im nächsten Derby in Sandhausen nicht gesetzt sein.
Mario Gomez, einer der letzten Mohikaner aus der Gilde des alten VfB, dürfte dagegen weiter um seinen Platz bangen. Viel wichtiger aber ist ihm die Mannschaft. „ Wir hatten eine schlechte Phase mit vier Niederlagen, aber wenn wir glauben, dass wir eine gute Mannschaft sind, dann werden wir einige Spiele haben wie heute“, sagte er. „Mein Appell an die Jungs ist immer, dass wir positiv bleiben und lachen. Wenn wir uns auf den Druck einlassen, wird es eine schwierige Saison“, sprach Stuttgarts heimlicher Anführer.
Und dann bat Gomez die Öffentlichkeit noch um ein wenig Barmherzigkeit – respektive weniger Kaltblütigkeit: „Immer höre ich nur, dass wir das meiste Geld haben und was welcher Spieler verdient. Auch bei mir heißt es immer gleich, der kriegt doch soundsoviele Millionen. Aber dafür können wir nichts, das ist das System Fußball. Auch bei uns läuft es nicht immer perfekt, auch wir sind nur Menschen. Keiner will hier verlieren.“
Die VfB-Geschichte gibt Gomez recht. Wenn es so einfach wäre, dass man bei Fußballern oben Geld reinwirft, um unten Leistung herauszuholen, wären die Teams von 1984, 1992 und 2007 (mit Gomez im Sturm), die am Sonntag vor Anpfiff nochmals von den Fans gefeiert wurden, wohl niemals Deutscher Meister geworden.
„Wir sind erst recht im Soll.“