Saugefährlich
Die gefürchtete Afrikanische Schweinepest ist näher an Deutschland gerückt – Beim Bekämpfen der Seuche liegt der Fokus auf Wildschweinen
MOCHENWANGEN - Erst raschelt es im Gebüsch. Dann flitzt etwas Schwarzes durchs Unterholz: Aha, ein Wildschwein, hochgeschreckt durch umherstreifende Jagdhunde. Die Büchse ist rasch hochgenommen, das Tier erreicht eine Schneise – zwei Schüsse, es liegt tot im Wald. Am Ende der Drückjagd im ausgedehnten Altdorfer Wald bei der oberschwäbischen Stadt Weingarten werden 14 erlegte Sauen gezählt. Rund 50 Jäger waren für die Veranstaltung auf Hochständen positioniert. Jeder der Schwarzwildschützen kann sich nun seine eigenen Gedanken zum Ereignis machen. Freude über Weidmannsheil, also den guten Schuss. Vielleicht gibt es aber auch tiefer gehende Überlegungen. Etwa Hilfe für die Bauernschaft, weil wachsende Schwarzwildbestände seit Jahren verstärkt zu Schäden auf Wiesen und Äcker führen, wenn die Sauen dort Nahrung suchen. Oder es geht einem das Thema Afrikanische Schweinepest durch den Kopf – und damit eine ganz aktuelle und höchst brisante Entwicklung.
Die durch ein Virus hervorgerufene, für die Tiere meist tödlich verlaufende Seuche rückt weiter in Richtung Deutschland vor. Dieser Tage ist bekannt geworden, dass auf der polnischen Oderseite 18 Fälle festgestellt worden sind. Gerade mal 80 Kilometer seien es von dort noch in die Bundesrepublik. Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, hat deshalb einmal mehr apokalyptisch klingende Warnungen ausgestoßen: „Wir sind in großer Sorge.“Ein Seuchenausbruch auf deutschem Boden hätte wegen dann einsetzenden Exportbeschränkungen von Schweinefleisch „massive wirtschaftliche Konsequenzen“. Der Bauernverband rechnet mit einem möglichen Milliardenschaden für die Züchter.
Nun liegt die Hochburg der deutschen Schweine-Industrie im Norden, in erster Linie in Niedersachsen. Bekannt für Massenställe ist vor allem der Landkreis Cloppenburg. Alles weit weg von Süddeutschland könnte man sagen. Aber auch hier existieren Zuchtbetriebe. Zudem erinnert Marijan Gogic, Forstamtsleiter im Ravensburger Landratsamt, an den Aufwand zur möglichen Seuchenbekämpfung. Zu seinem Verantwortungsbereich gehört auch der Staatsforstanteil des Altdorfer Waldes. Zur Drückjagd ist er extra am frühen Morgen hinaus zum Jagdtreffpunkt unweit des Dorfes Mochenwangen gekommen. „Würde in einem solchen Waldgebiet Schweinepest festgestellt, müsste es weiträumig abgesperrt werden“, sagt der langjährige Waldexperte.
Was darunter zu verstehen ist, mag man sich landläufig noch gar nicht richtig vorstellen: ein Betretungsverbot auf Wochen oder Monate hinaus, kilometerlange Zäune. Wo kleine Siedlungen erreicht werden müssen, wären Hygiene-Schleusen nötig. Fußgänger wie Fahrzeuge müssten beim Passieren mit einer entsprechenden Flüssigkeit desinfiziert werden. Wofür Wannen, Schläuche und Vorratsbehälter aufgestellt würden. Innerhalb des Sperrkreises käme es zu einer scharfen Bejagung. Wie so etwas geht, haben jüngst die Tschechen im Ostzipfel ihres Landes vorgemacht – sogar erfolgreich. Der Pestausbruch konnte eingedämmt werden. Selbst Scharfschützen des Militärs kamen dabei zum Einsatz. Dies alles zeigt: Schweinepest ist kein Kinderspiel. So hat beispielsweise Dänemark angefangen, einen 70 Kilometer langen Zaun von der Ost- zur Nordsee zu ziehen. Und dies alles nur, um infizierte Sauen vom eigenen Staatsgebiet fernzuhalten.
Hierzu muss noch bemerkt werden: Der Fokus liegt in der Tat auf Wildsauen als Pestverbreiter. Hausschweine können zwar ebenso infiziert werden. Doch die Zuchtanstalten gleichen Hochsicherheitsbereichen. Dass die Pest dort eindringt, hält der Bauernverband für eher unwahrscheinlich. Sein Problem liegt beim Verkauf. Das Virus schadet dem Menschen zwar nicht. Es mag dem Verbraucher aber ekelig erscheinen. Das heißt, selbst wenn gesetzlich eine Verarbeitung innerhalb der EU vorstellbar ist, wird dabei höchstens Ramschware herauskommen. Im weiteren geht ein spürbarer Teil der Schweineprodukte in Länder außerhalb der EU. Als größter Abnehmer hat sich China entwickelt. Das rote Reich verlautbart jedoch, es kaufe nirgends ein, wo es Schweinepestfälle gibt. Wie es die Ironie so will, gehört China in der Zwischenzeit zu den am meisten vom Virus betroffenen Ländern.
Neu ist der Erreger nicht. Historisch betrachtet gab es immer wieder Ausbrüche der Krankheit – üblicherweise jedoch örtlich begrenzt. Zuletzt war dies vor rund zehn Jahren so. Die Schweinepest war im Kaukasus-Raum festgestellt worden, genauer gesagt in georgischen Landstrichen am Gebirgsrand. Innerhalb weniger Jahre suchte sie weite Regionen in ganz Osteuropa heim. Wie Seuchenexperten festgestellt haben, geschah dies entlang von Fernhandelsrouten, den Straßen der Spediteure. Die Erklärung dafür: weggeworfene, vom Virus belastete Vesperreste der Fahrer. Schnappt eine Wildsau zu, ist die weitere Verbreitung gesichert.
Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, besser bekannt als Friedrich-Loeffler-Institut, untermauert die These. „Das Risiko einer Einschleppung durch Erzeugnisse aus Schweinefleisch, die von infizierten Tieren stammen oder kontaminiert sind, entlang des Fernstraßennetzes durch Fahrzeuge oder Personen wird im Sinne eines ,worst case scenario’ unverändert als hoch bewertet“, schreibt es auf seiner Webseite. Es folgt der Hinweis auf einen Pestausbruch in den belgischen Ardennen vor einem Jahr, bisher die einzige betroffene Lokalität in Westeuropa. Ein solcher großer Sprung des Virus von Osteuropa her könne letztlich nur durch ein menschliches
„Wir sind in großer Sorge.“
Bernhard Krüsken, Generalsekretär Deutscher Bauernverband, über die Schweinepest
Verbreiten erklärt werden. Wer sich auf Rastplätzen in deutschen Schwarzwildgegenden genauer umschaut, wird inzwischen immer wieder Warnschilder finden. Darauf steht, Fernfahrer sollen bitte keine Essensreste ins Gebüsch werfen. Gelesen werden können die Hinweise auf Deutsch, Englisch, Russisch, Ukrainisch, Polnisch und Rumänisch. Oft genug sind solche Pausenorte für Fernfahrer auch bereits umzäunt. Die Sau soll keine Chance haben, vielleicht doch noch einen Zipfel osteuropäische Schweinewurst zu ergattern. Doch solche Maßnahmen scheinen eher einen begleitenden Faktor zu haben. Als zentrale Vorbeugung gilt das Vermindern der Schwarzwildbestände.
Wärmere Winter, ein durch den Klimawandel wachsendes Nahrungsangebot sowie ein zwischenzeitlich zunehmender Maisanbau haben die Sauenzahl seit 1990 kräftig steigen lassen. Die Logik bei der Seuchenprophylaxe ist in diesem Zusammenhang simpel: viele Schweine, viele Verbreitungsmöglichkeiten. Offenbar auch ein Alptraum für die Landesregierung in Stuttgart. Weshalb Landwirtschaftsminister Peter Hauk kurz und bündig erklärt: „Unser Ziel ist es, den Seucheneintrag nach Baden-Württemberg bestmöglich zu verhindern.“
In diesem Zusammenhang hat sich der CDU-Politiker unter anderem dafür starkgemacht, dass sich Jäger bei Bedarf mit behördlicher Genehmigung Nachtzieltechnik anschaffen dürfen. Über Jahrzehnte hinweg ging so etwas gar nicht. So stellte sich das Bundeskriminalamt quer. Es befürchtete nächtliche Anschläge von irgendwelchen Dunkelmännern.
Die Landesregierung verfolgt ebenso die Idee, Saufänge wie in historischen Zeiten einzurichten. Die Schweine werden hierzu in ein Gatter gelockt und dort getötet. Als aussichtsreichstes Instrument gelten aber momentan bei Strategen im Hauk-Ministerium wie auch beim Landesjagdverband noch weiträumige Drückjagden – so wie jene im Altdorfer Wald. Er ist traditionell als Schwarzwildgebiet bekannt. Dass die Bäume aber bei solchen Aktionen nicht in den Himmel wachsen, zeigt das Verhältnis von erlegten Sauen (14) und Schützen (50). Sie haben am Schluss auch bedeutend mehr Rehe als Wildschweine erlegt. Jagdleiter Stephan Grösch meint dann auch, in dichten Wäldern wie dem Altdorfer Forst sei „es besonders schwer, das Schwarzwild aus seinen Einständen herauszubekommen“. Also aus der Deckung. Gleichzeitig sei der organisatorische Aufwand für solche Jagden hoch – schon was die Teilnehmerzahl angehe.
Im Gespräch mit anderen Schützen kristallisiert sich bei der Sauenbejagung schließlich doch noch so etwas wie des Jägers Traum heraus: das Kreisen der Tiere. Kurz erklärt, ist hierfür Schnee nötig. In ihm hinterlässt Schwarzwild deutliche Fährten. Es lässt sich so feststellen, wo die Schweine sind. Die Ecke wird umstellt. Hunde oder Treiber bringen das Wild zum Laufen. Das Problem dabei: Der Schnee kommt schon lange nicht mehr zuverlässig.