Noch keine Spur von den Dresdner Juwelendieben
Der Kunstfahnder Christopher A. Marinello rät den Ermittlern zu hartem Vorgehen gegen die Juwelendiebe von Dresden
(dpa/AFP) - Die Juwelendiebe von Dresden haben weniger Beute gemacht als befürchtet. „Es sind zum Glück noch mehr Stücke da, als wir gedacht haben“, sagte Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), am Dienstag nach Besichtigung der Vitrine. Von den Tätern fehlt bisher jede Spur. Die Ermittler fanden jedoch das ausgebrannte Fluchtauto der Täter. Auch der Ausfall der Straßenbeleuchtung am Schloss gehe auf ihr Konto. Die Täter waren am Montag ins Residenzschloss eingebrochen, ohne vom Wachdienst behelligt zu werden. Die SKD-Leitung verteidigte die Zurückhaltung der Wachleute. Sie hätten sich auch wegen der Brutalität der Einbrecher entschieden, nicht zum Tatort zu gehen. Weltweit zeigten sich Experten schockiert über die Vorgehensweise der Täter.
D er Juwelenraub von Dresden schockeirt Laien und Kunstexperten gleichermaßen. Christopher A. Marinello, Gründer der Art Recovery Group, ist auf die Wiederbeschaffung von gestohlenen Kunstwerken spezialisiert und gilt als einer der weltweit führenden Köpfe auf diesem Gebiet. Im Interview mit Daniel Drescher spricht der Italo-Amerikaner darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass die Juwelen wieder auftauchen, was die Polizei tun sollte und wie sich Museen in Zukunft schützen sollten.
Mr. Marinello, was denken Sie über den Fall in Dresden? Und wurden Sie vielleicht sogar schon vom Museum dort kontaktiert?
Nein, noch nicht. Aber ich habe einige Tipps bekommen, wer dahinterstecken könnte. Diese Informationen werde ich an die Ermittler weitergeben. Mehr kann ich dazu nicht sagen, weil die Ermittlungen laufen.
Glauben Sie, dass man diese Juwelen jemals wiedersehen wird?
Das hoffe ich. Aber dafür müsste der Fall schnell gelöst werden. Mit jeder Stunde, die vergeht, schwindet die Chance, dass die Juwelen intakt bleiben. Bilder der Stücke wurden veröffentlicht, die Diebe wissen, dass dalungsbehörden
gesucht wird. Ihr erster Impuls wird sein, den Diebstahl zu verschleiern, indem Gold eingeschmolzen wird und die Steine umgeschliffen werden.
Welche anderen Optionen haben die Diebe noch, diese Stücke zu Geld zu machen?
Bei den Stücken handelt es sich um bekannte Kunstgegenstände. Die Diebe könnten sie möglicherweise für einen Bruchteil ihres Wertes in der Unterwelt gegen Drogen oder Waffen eintauschen. Es könnte auch sein, dass sie als „Freifahrtschein“benutzt werden: Wenn ein Krimineller im Gefängnis landet, könnte er versuchen, sein Wissen um den Aufenthaltsort der Juwelen auszunutzen, um ein geringeres Strafmaß auszuhandeln. Das kam schon vor und es wird wieder passieren. Dafür müssten die Stücke intakt bleiben. Aber wenn man sich das Überwachungsvideo ansieht und wie diese Barbaren auf die Vitrine einschlagen, um an die Juwelen zu kommen, muss man den Eindruck haben, dass es sich nicht um raffinierte Diebe handelt. Es ist schrecklich und hat nichts mit dieser romantisierenden Hollywood-Vorstellung von Kunstdieben zu tun. Es sind schreckliche Menschen, die ihre eigene Mutter bestehlen würden.
Wer könnte hinter so einem Verbrechen stecken? Und ist es in der Vergangenheit gelungen, die Auftraggeber zu fassen?
Heutzutage gibt es zwar überall CCTV (Englisch für „ Closed Circuit Television“, Überwachungskamerasysteme – Anm. d. Red), aber trotzdem ist es nicht möglich, diese Leute zu identifizieren. Wir machen im Dunklen Fotos von nichts. Es bräuchte technisch ausgereiftere Methoden, um solche Verbrechen aufzuklären.
Die Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, sagte, man habe in punkto Sicherheitsmaßnahmen das getan, was man tun könne. Wie sehen Sie das?
Es ist noch zu früh um die Sicherheitsmaßnahmen in Dresden zu beurteilen. Da die Zeit drängt, sollten sich die Zuständigen jetzt auf die Wiederbeschaffung konzentrieren. Die Polizei sollte nach außen kommunizieren, dass sie die Verbrecher fassen wird. Und sie sollte den Verbrechern androhen: Falls die Objekte zerstört sind, wird die Strafe zehnmal so hoch ausfallen als wenn sie die Juwelen zurückgeben werden. Zudem sollte sich die deutsche Polizei mit den Carabinieri in Italien und anderen internationalen Ermittnach vernetzen. Es gibt keine Zeit zu verlieren.
Wird die Aufklärung des Verbrechens schwieriger, weil es Juwelen sind, die man leicht aus den Fassungen brechen und umschleifen kann?
In all den Jahren, in denen ich gestohlene Kunstgegenstände im Wert von 400 Millionen Euro wiederbeschafft habe, sind nur wenige Juwelierarbeiten intakt geblieben. Ein gebildeter Krimineller wird zwar kapieren, dass ein Schmuckstück wertvoller ist als ein Brocken Gold oder Diamanten. Aber wenn man gesehen hat, wie diese Idioten die Vitrine zertrümmern, wird mir bange.
Wie arbeiten Sie mit der Art Recovery Group bei der Wiederbeschaffung von gestohlenen Kunstwerken?
Wir arbeiten nach strengen ethischen und rechtlichen Standards. Wir zahlen kein Geld an Kriminelle. Das kann man nicht über jeden Kunstdetektiv sagen, der in diesem Bereich arbeitet. Wir haben gute Beziehungen zur Polizei und fungieren manchmal als Mittelsmänner. Aber wie gesagt, wir zahlen kein Lösegeld und wenn eine Versicherung involviert ist und eine Belohnung angeboten wird, ermöglichen wir die Zahlung
nur an Menschen, die nichts mit dem Diebstahl zu tun haben. In Dresden waren die Stücke allerdings gar nicht versichert. Unsere Spezialität liegt darin, kreative Wege zu finden, die Kunstwerke wiederzubeschaffen. Auch Nazi-Raubkunst ist ein wichtiges Thema für uns.
Welche Empfehlung würden Sie Museen und Kunstsammlungen geben?
Unglücklicherweise befinden sich unsere Museen im Belagerungszustand. Das meine ich ganz ernst. Wir haben eine Reihe von Juwelendiebstählen gesehen, in Venedig, in Stockholm. Gangs nehmen unsere Museen wegen ihres Goldes und ihrer Schmuckstücke ins Visier. Deshalb müssen sich unsere Museen in Banktresore verwandeln. Es geht nicht anders. Glauben wir, dass diese Kriminellen den ideellen Wert der Kunstwerke zu schätzen wissen? Nein, die Geschichte ist denen doch völlig egal. Ihnen geht es um Gold, das sind Barbaren. Und die muss man fernhalten.
Der Präsident des Deutschen Museumsbundes, Eckart Köhne, sagte zu Dresden: „Wir sind eben kein Banksafe. Und das bringt ein gewisses Risiko mit sich.“Aber es muss sich wohl etwas tun, oder?
Ja, man kann solche Kostbarkeiten nicht herzeigen wie in Dresden. Schauen Sie sich die Kronjuwelen im Tower von London an: Nur so können sich solche Schätze schützen. Es gibt Gangs da draußen, die das Weltkulturerbe stehlen wollen, um sich die Taschen zu füllen.
Der amerikanische Ex-Juwelendieb Larry Lawton, der inzwischen als Sicherheitsberater der Polizei arbeitet, sagte im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, manche Versicherungen zahlten lieber zehn Millionen Euro an die Verbrecher, wenn sie das Diebesgut wieder herausrücken, als eine Versicherungssumme von 100 Millionen Euro. Kennen Sie solche Fälle?
Meine Kunden sind Versicherungen, die kein Geld an Kriminelle zahlen. Verbrecher sollten sich keine Hoffnungen machen, dass sie auf diese Art an Geld kommen.