Wütende Bauern demonstrieren in Berlin
Zigtausende fordern mehr Anerkennung und Mitsprache – Klöckner kündigt Agrargipfel an
(dpa/hb) Sie kamen mit einer riesigen Traktoren-Kolonne und ziemlicher Wut im Bauch: Tausende Bauern, darunter auch viele aus dem Südwesten und Bayern, haben am Dienstag mit einer Großkundgebung in Berlin gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung demonstriert. Die veranstaltende Initiative „Land schafft Verbindung“sprach von 40 000 Teilnehmern und 5600 Fahrzeugen. Die Bauern forderten mehr Mitsprache bei Neuregelungen zum Umwelt- und Tierschutz und mehr Wertschätzung für ihre Branche. Agrarministerin Julia
Klöckner (CDU) sagte Hilfen bei Änderungen zu und rief zum Dialog auf.
Bis weit über das Regierungsviertel hinaus waren viele Straßen schon seit dem Morgen versperrt. Dicht an dicht standen schwere Traktoren teils in mehreren Reihen nebeneinander. Vorn am Brandenburger Tor machten Bauern mit Trillerpfeifen ihrem Ärger Luft. „Es brennt in der Landwirtschaft, wir müssen etwas tun“, sagte Landwirt Anton Abele aus Tannhausen im Ostalbkreis. Die Bauern waren aus ganz Deutschland gekommen. „Wir Landwirte haben es satt, die Buhmänner der Nation zu sein“, sagte Norbert Stamm aus der Nähe von Leverkusen. Auf Transparenten stand „Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert“oder „Gemeinsam statt gegeneinander“.
Am Mittag kam Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zu den Demonstranten. Sie hatte keinen leichten Stand. Schulze warb für klare Regeln zum Schutz von Grundwasser und Insekten. Während sie sprach, drehten viele ihr den Rücken zu, nach etwa fünf Minuten verließ sie unter Pfiffen die Bühne. Zum Ende der Demo stellte sich Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) den
Landwirten. Anfangs bekam auch sie Unmut zu spüren. doch Klöckner parierte viele Zwischenrufe. In der Sache verteidigte sie die geplanten Neuregelungen und bot mehr Beteiligung der Landwirte an. Wo zu viel Nitrat im Grundwasser gemessen werde, „da müssen wir reagieren“, sagte sie mit Blick auf neue Düngeregeln. Insgesamt blieb sie mehr als eine Stunde. Zudem kündigte sie an, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag mit 40 Landwirtschaftsorganisationen zu einem Agrargipfel treffen werde.
- Ausnahmezustand in der Hauptstadt: 5600 Traktoren mit Landwirten aus ganz Deutschland rollen durch die Straßen. Am Rand stehen Tausende Menschen, winken, jubeln und zeigen den Traktorfahrern den hochgestreckten Daumen. Solche Szenen haben sich heute beim Protest der Landwirte abgespielt. Die erst im Herbst gegründete Interessenvertretung „Land schafft Verbindung" (LSV) – eine Art Graswurzelbewegung, die auf Sicherheitsabstand zum großen Lobbyverband bedacht ist – hatte zu der Massenkundgebung aufgerufen.
Hintergrund: Das im September auf den Weg gebrachte Agrarpaket der Bundesregierung hatte unter den Landwirten Unmut hervorgerufen. Darin soll unter anderem zum Schutz von Insekten der Einsatz von Unkraut- und Schädlingsgiften stark eingeschränkt werden. Außerdem soll das Düngen mit Gülle weiter eingeschränkt werden, um das Grundwasser zu schützen. Die Landwirte sehen sich durch diese neuen Regelungen in ihrer Existenz bedroht.
Neben den Forderungen der Politik fühlen sich die Bauern auch durch den Verbraucherwunsch, Produkte wie Fleisch möglichst billig im Supermarkt kaufen zu können, unter Druck gesetzt. Daraus formierte sich der bundesweite Protest.
„Es war unbeschreiblich“, fasst Landwirt Gerd Neidlinger aus Orsenhausen bei Schwendi im Landkreis Biberach das Erlebte in Worte. Das Feedback der Leute sei durchweg positiv gewesen. Auch Landwirt Anton Abele aus Tannhausen im Ostalbkreis hat das so wahrgenommen. „Man hat gemerkt: Es brennt in der Landwirtschaft, wir müssen etwas tun“, sagt er.
„Das große Ziel ist natürlich, die Landwirtschaft am Leben zu halten“, sagt Abele. Niemand brauche die Natur so sehr wie die Landwirte – doch es müsse ein ganzheitliches Konzept her, um die Forderungen der Politik angemessen umsetzen zu können.
Deshalb haben die Unterstützer der LSV Baden-Württemberg Konkretes ausformuliert und mit nach Berlin mitgenommen. Auf dem Papier steht unter anderem eine Lockerung der Düngeverordnung, eine einheitliche europäische Agrarpolitik und eine deutliche Kennzeichnung von Importware.
Wunsch nach Wahrnehmung
Die Aktion, mit Traktoren nach Berlin zu fahren, hat dem Landesbauernverband Baden-Württemberg zufolge aber vor allem ein Anliegen: Die Bauern wollen wahrgenommen werden. „Wir praktizieren Tier- und Artenschutz schon seit Jahrzehnten, nicht erst seit gestern“, mahnt der VizePräsident des Verbands Gerhard Glaser. Das sei bisher in der Bevölkerung aber nicht angekommen – deshalb fordern die Landwirte nun mehr Anerkennung. „Sie geben sich Mühe und werden trotzdem durch den Dreck gezogen“, sagt Glaser.
Das hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) in ihrer Rede ebenfalls aufgenommen. Die Verbraucher würden einen anderen Umgang mit Tieren und Umwelt fordern und die Landwirte fühlten sich zu Sündenböcken abgestempelt, sagte sie. Klöckner hatte sich über eine Stunde Zeit für die Bauern genommen und diskutierte von der Bühne aus mit einem Teil der aufgebrachten Demonstranten. „Ich will, dass wir in einen Dialog treten, an dessen Ende alle Seiten etwas davon haben“, warb die Landwirtschaftsministerin für ihr Nationales Dialogforum, mit dem sie ab sofort und das gesamte nächste Jahr über mit Landwirten, Verbrauchern, und Umweltschützern zusammentreffen und reden will.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), die ebenfalls am Dienstag zu den Bauern sprach, hatte es da deutlich schwerer. Sie warb für klare Regeln zum Schutz von Grundwasser und Insekten. Landwirte müssten „Teil der Lösung“sein denn auch die Bauern hätten ein Interesse daran, dass es in Zukunft noch sauberes Wasser und Bestäuber gebe.
Die Diskussion mit den beiden Ministerinnen stößt auf geteilte Meinungen unter den Landwirten. „Die Politik hat gemerkt, dass wir Lösungen brauchen“, sagt Abele, der sich zumindest von Julia Klöckner verstanden fühlt. „Es war kein Durchbruch, aber es ist ein Anfang“, sagt er. Auch Landwirt Dietmar Rist, der einen Obstbaubetrieb in Meckenbeuren im Bodenseekreis hat, zeigt sich zufrieden. „Frau Schulze ist zwar auf unsere Argumente nicht eingegangen – das war aber zu erwarten. Frau Klöckner dagegen ist länger geblieben und hat diskutiert“, sagt er. Gerhard Neidlinger dagegen hätte sich mehr konkrete Zukunftsaussichten gewünscht. „Viele möchten ihren Betrieb an ihre Kinder weitergeben. Aber so wissen wir nicht, ob das geht“, sagt er.
Wie geht es weiter? Am 2. Dezember kommt ein Landwirtschaftsdialog mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und 40 landwirtschaftlichen Gruppierungen zusammen. „Wenn sich die Kanzlerin drei Stunden Zeit nimmt, ist das ein gutes Zeichen“, erklärte Klöckner in ihrer Rede.
Die Landwirte jedenfalls ziehen unter dem Strich ein positives Resümee ihres Massenprotests. „Das ist überwältigend, wie viele Kollegen hier aufgetaucht sind. Auf elf Kilometern war die Straße mit Traktoren zugeparkt“, sagt Obstbauer Dietmar Rist, der kurzfristig mit zwei Kollegen nach Berlin gereist war. Auch für Landwirt Anton Abele hat sich der ganze Stress und die weite Fahrt in die Hauptstadt gelohnt. „Es hat gut getan zu hören, dass alle Landwirte in Deutschland die gleichen Probleme haben wie ich“, sagt er. Außerdem sei nun die Bevölkerung und die Politik endlich auf sie aufmerksam geworden. „Jetzt geht es darum, dass wir zusammen einen Dialog führen – und uns nicht gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben.“