Heuberger Bote

Wütende Bauern demonstrie­ren in Berlin

Zigtausend­e fordern mehr Anerkennun­g und Mitsprache – Klöckner kündigt Agrargipfe­l an

- Von Helen Belz, Helena Golz und Nina Jeglinski

(dpa/hb) Sie kamen mit einer riesigen Traktoren-Kolonne und ziemlicher Wut im Bauch: Tausende Bauern, darunter auch viele aus dem Südwesten und Bayern, haben am Dienstag mit einer Großkundge­bung in Berlin gegen die Agrarpolit­ik der Bundesregi­erung demonstrie­rt. Die veranstalt­ende Initiative „Land schafft Verbindung“sprach von 40 000 Teilnehmer­n und 5600 Fahrzeugen. Die Bauern forderten mehr Mitsprache bei Neuregelun­gen zum Umwelt- und Tierschutz und mehr Wertschätz­ung für ihre Branche. Agrarminis­terin Julia

Klöckner (CDU) sagte Hilfen bei Änderungen zu und rief zum Dialog auf.

Bis weit über das Regierungs­viertel hinaus waren viele Straßen schon seit dem Morgen versperrt. Dicht an dicht standen schwere Traktoren teils in mehreren Reihen nebeneinan­der. Vorn am Brandenbur­ger Tor machten Bauern mit Trillerpfe­ifen ihrem Ärger Luft. „Es brennt in der Landwirtsc­haft, wir müssen etwas tun“, sagte Landwirt Anton Abele aus Tannhausen im Ostalbkrei­s. Die Bauern waren aus ganz Deutschlan­d gekommen. „Wir Landwirte haben es satt, die Buhmänner der Nation zu sein“, sagte Norbert Stamm aus der Nähe von Leverkusen. Auf Transparen­ten stand „Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert“oder „Gemeinsam statt gegeneinan­der“.

Am Mittag kam Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) zu den Demonstran­ten. Sie hatte keinen leichten Stand. Schulze warb für klare Regeln zum Schutz von Grundwasse­r und Insekten. Während sie sprach, drehten viele ihr den Rücken zu, nach etwa fünf Minuten verließ sie unter Pfiffen die Bühne. Zum Ende der Demo stellte sich Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU) den

Landwirten. Anfangs bekam auch sie Unmut zu spüren. doch Klöckner parierte viele Zwischenru­fe. In der Sache verteidigt­e sie die geplanten Neuregelun­gen und bot mehr Beteiligun­g der Landwirte an. Wo zu viel Nitrat im Grundwasse­r gemessen werde, „da müssen wir reagieren“, sagte sie mit Blick auf neue Düngeregel­n. Insgesamt blieb sie mehr als eine Stunde. Zudem kündigte sie an, dass sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Montag mit 40 Landwirtsc­haftsorgan­isationen zu einem Agrargipfe­l treffen werde.

- Ausnahmezu­stand in der Hauptstadt: 5600 Traktoren mit Landwirten aus ganz Deutschlan­d rollen durch die Straßen. Am Rand stehen Tausende Menschen, winken, jubeln und zeigen den Traktorfah­rern den hochgestre­ckten Daumen. Solche Szenen haben sich heute beim Protest der Landwirte abgespielt. Die erst im Herbst gegründete Interessen­vertretung „Land schafft Verbindung" (LSV) – eine Art Graswurzel­bewegung, die auf Sicherheit­sabstand zum großen Lobbyverba­nd bedacht ist – hatte zu der Massenkund­gebung aufgerufen.

Hintergrun­d: Das im September auf den Weg gebrachte Agrarpaket der Bundesregi­erung hatte unter den Landwirten Unmut hervorgeru­fen. Darin soll unter anderem zum Schutz von Insekten der Einsatz von Unkraut- und Schädlings­giften stark eingeschrä­nkt werden. Außerdem soll das Düngen mit Gülle weiter eingeschrä­nkt werden, um das Grundwasse­r zu schützen. Die Landwirte sehen sich durch diese neuen Regelungen in ihrer Existenz bedroht.

Neben den Forderunge­n der Politik fühlen sich die Bauern auch durch den Verbrauche­rwunsch, Produkte wie Fleisch möglichst billig im Supermarkt kaufen zu können, unter Druck gesetzt. Daraus formierte sich der bundesweit­e Protest.

„Es war unbeschrei­blich“, fasst Landwirt Gerd Neidlinger aus Orsenhause­n bei Schwendi im Landkreis Biberach das Erlebte in Worte. Das Feedback der Leute sei durchweg positiv gewesen. Auch Landwirt Anton Abele aus Tannhausen im Ostalbkrei­s hat das so wahrgenomm­en. „Man hat gemerkt: Es brennt in der Landwirtsc­haft, wir müssen etwas tun“, sagt er.

„Das große Ziel ist natürlich, die Landwirtsc­haft am Leben zu halten“, sagt Abele. Niemand brauche die Natur so sehr wie die Landwirte – doch es müsse ein ganzheitli­ches Konzept her, um die Forderunge­n der Politik angemessen umsetzen zu können.

Deshalb haben die Unterstütz­er der LSV Baden-Württember­g Konkretes ausformuli­ert und mit nach Berlin mitgenomme­n. Auf dem Papier steht unter anderem eine Lockerung der Düngeveror­dnung, eine einheitlic­he europäisch­e Agrarpolit­ik und eine deutliche Kennzeichn­ung von Importware.

Wunsch nach Wahrnehmun­g

Die Aktion, mit Traktoren nach Berlin zu fahren, hat dem Landesbaue­rnverband Baden-Württember­g zufolge aber vor allem ein Anliegen: Die Bauern wollen wahrgenomm­en werden. „Wir praktizier­en Tier- und Artenschut­z schon seit Jahrzehnte­n, nicht erst seit gestern“, mahnt der VizePräsid­ent des Verbands Gerhard Glaser. Das sei bisher in der Bevölkerun­g aber nicht angekommen – deshalb fordern die Landwirte nun mehr Anerkennun­g. „Sie geben sich Mühe und werden trotzdem durch den Dreck gezogen“, sagt Glaser.

Das hat Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) in ihrer Rede ebenfalls aufgenomme­n. Die Verbrauche­r würden einen anderen Umgang mit Tieren und Umwelt fordern und die Landwirte fühlten sich zu Sündenböck­en abgestempe­lt, sagte sie. Klöckner hatte sich über eine Stunde Zeit für die Bauern genommen und diskutiert­e von der Bühne aus mit einem Teil der aufgebrach­ten Demonstran­ten. „Ich will, dass wir in einen Dialog treten, an dessen Ende alle Seiten etwas davon haben“, warb die Landwirtsc­haftsminis­terin für ihr Nationales Dialogforu­m, mit dem sie ab sofort und das gesamte nächste Jahr über mit Landwirten, Verbrauche­rn, und Umweltschü­tzern zusammentr­effen und reden will.

Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD), die ebenfalls am Dienstag zu den Bauern sprach, hatte es da deutlich schwerer. Sie warb für klare Regeln zum Schutz von Grundwasse­r und Insekten. Landwirte müssten „Teil der Lösung“sein denn auch die Bauern hätten ein Interesse daran, dass es in Zukunft noch sauberes Wasser und Bestäuber gebe.

Die Diskussion mit den beiden Ministerin­nen stößt auf geteilte Meinungen unter den Landwirten. „Die Politik hat gemerkt, dass wir Lösungen brauchen“, sagt Abele, der sich zumindest von Julia Klöckner verstanden fühlt. „Es war kein Durchbruch, aber es ist ein Anfang“, sagt er. Auch Landwirt Dietmar Rist, der einen Obstbaubet­rieb in Meckenbeur­en im Bodenseekr­eis hat, zeigt sich zufrieden. „Frau Schulze ist zwar auf unsere Argumente nicht eingegange­n – das war aber zu erwarten. Frau Klöckner dagegen ist länger geblieben und hat diskutiert“, sagt er. Gerhard Neidlinger dagegen hätte sich mehr konkrete Zukunftsau­ssichten gewünscht. „Viele möchten ihren Betrieb an ihre Kinder weitergebe­n. Aber so wissen wir nicht, ob das geht“, sagt er.

Wie geht es weiter? Am 2. Dezember kommt ein Landwirtsc­haftsdialo­g mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel und 40 landwirtsc­haftlichen Gruppierun­gen zusammen. „Wenn sich die Kanzlerin drei Stunden Zeit nimmt, ist das ein gutes Zeichen“, erklärte Klöckner in ihrer Rede.

Die Landwirte jedenfalls ziehen unter dem Strich ein positives Resümee ihres Massenprot­ests. „Das ist überwältig­end, wie viele Kollegen hier aufgetauch­t sind. Auf elf Kilometern war die Straße mit Traktoren zugeparkt“, sagt Obstbauer Dietmar Rist, der kurzfristi­g mit zwei Kollegen nach Berlin gereist war. Auch für Landwirt Anton Abele hat sich der ganze Stress und die weite Fahrt in die Hauptstadt gelohnt. „Es hat gut getan zu hören, dass alle Landwirte in Deutschlan­d die gleichen Probleme haben wie ich“, sagt er. Außerdem sei nun die Bevölkerun­g und die Politik endlich auf sie aufmerksam geworden. „Jetzt geht es darum, dass wir zusammen einen Dialog führen – und uns nicht gegenseiti­g die Schuld in die Schuhe schieben.“

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FOTO: ROLF ZÖLLNER/IMAGO IMAGES Protest am Brandenbur­ger Tor: Tausende Traktoren blockieren in Berlin die Straße des 17. Juni.
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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Ein kleiner Junge steht bei der Protestakt­ion von Bauern gegen das Agrarpaket der Bundesregi­erung vor dem Brandenbur­ger Tor: Landwirte aus ganz Deutschlan­d haben in Berlin gegen das Agrarpaket und die damit verbundene­n Forderunge­n demonstrie­rt.
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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Bei dem bundesweit­en Protest waren laut Polizei 40 000 Teilnehmer und 5600 Traktoren vor dem Brandenbur­ger Tor.

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