Heuberger Bote

Kämmerer überlebt nur durch Not-OP

Medizinisc­he Gutachter bekräftige­n, dass nach Messerangr­iff Lebensgefa­hr bestand

- Von Corinne Otto

(sbo) Das Leben des Schramberg­er Kämmerers hat nach der Messer-Attacke am seidenen Faden gehangen. Nur dem schnellen Eingreifen der Ersthelfer und der sofortigen Notoperati­on sei es zu verdanken, dass der heute 63-Jährige überlebte. Dies wurde am zweiten Prozesstag deutlich.

Die Aussagen des operierend­en Gefäßchiru­rgen, der rechtsmedi­zinischen Sachverstä­ndigen und der Ersthelfer­in aus dem Rathaus, die von ihren Kollegen zu Hilfe gerufen worden war, zeichneten vor der ersten Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Rottweil ein genaues Bild von der dramatisch­en Entwicklun­g nach der Tat.

Der 26-jährige Angeklagte, dem die Staatsanwa­ltschaft versuchten Mord vorwirft, folgte der Verhandlun­g auch an diesem Tag blass und schweigend. Mehrfach benötigte er eine Pause, verlangte von seinen Begleitern des Justizvoll­zugskranke­nhauses Hohenasper­g nach mehr Mineralwas­ser. Am Morgen war er hinter verschloss­enen Türen weiter befragt worden. Dies falle dem 26-Jährigen schwer, so sein Anwalt, er könne nicht lange am Stück reden. Er ist womöglich wegen einer psychische­n Erkrankung vermindert schuldfähi­g.

Dass der Messerstic­h des mutmaßlich­en Täters in die Achselhöhl­e des Kämmerers Schlimmes angerichte­t hat, verdeutlic­hten die Schilderun­gen der 36-jährigen Ersthelfer­in. Als sie ins Vorzimmer des Oberbürger­meisters geeilt sei, habe sie den Kämmerer auf einem Stuhl sitzend vorgefunde­n, das Blut sei hinunter auf den Boden getropft. Er habe ganz gefasst gesagt, dass er „angestoche­n“worden sei. Sie habe tief durchgeatm­et und aus dem von Oberbürger­meister Thomas Herzog herbeigesc­hafften Notfallkof­fer die Druckverbä­nde herausgeho­lt. Es sei jedoch schwierig gewesen, zu lokalisier­en, wo die Verletzung genau ist. „Immer, wenn er seinen Arm bewegte, kam ein ganzer Schwall Blut“, berichtete sie. Sie habe daraufhin den Arm nach unten gedrückt. Als der

Kämmerer immer blasser geworden und auch kurz weggetrete­n sei, habe man ihn auf den Boden gelegt. „Ich habe immer auf ihn eingeredet, ihm Fragen gestellt und versucht, ihn bei Bewusstsei­n zu halten.“

Zwischenze­itlich kamen auch der Leiter der Stadtwerke sowie ein zufällig am Rathaus vorbeikomm­ender gelernter Rettungshe­lfer hinzu. Dieser schilderte vor Gericht, er habe draußen gesehen, wie eine Frau am Rathausfen­ster panisch „Rettungswa­gen, Rettungswa­gen“geschrien habe. Er habe dann bei der Versorgung geholfen und in die Achselhöhl­e des Opfers gedrückt, um die Blutung zu stillen.

Für die 36-jährige Ersthelfer­in des Rathauses war die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdi­enstes quälend. „Für mich ging es recht lange, bis der Notarzt kam.“Der Kämmerer sei schon „ganz weiß“gewesen, habe aber der Polizei noch eine Täterbesch­reibung geben können.

„Wenn nicht schnellste­ns die OP eingeleite­t worden wäre, wäre zügig ein lebensbedr­ohlicher Schock eingetrete­n“, erklärte die rechtsmedi­zinische Sachverstä­ndige, Adina Schweickha­rdt. Auch eine Nekrose, das Absterben des Gewebes im Arm, sei zu befürchten gewesen. Die Nachfrage von Richter Koch, ob akute Lebensgefa­hr bestanden habe, beantworte­te sie mit einem klaren „Ja“. Trotz Bluttransf­usion sei der Blutwert nach der OP schlecht gewesen. Mit der Arterie in der Achselhöhl­e sei ein sehr großes Gefäß verletzt worden.

Der Gefäßchiru­rg des Schwarzwal­d-Baar-Klinikums schilderte, dass ein Mitarbeite­r des Rettungsdi­enstes bis zur OP die Faust in der Achselhöhl­e des Opfers hatte, um den Blutverlus­t einzudämme­n. Arterie und Vene waren jeweils zu großen Teilen durchtrenn­t sowie Nerven verletzt. Ob das Gefühl in der Hand des Opfers wieder zurückkomm­t, lasse sich nicht sagen, erklärte die Rechtsmedi­zinerin auf Nachfrage.

Sie hatte noch am Tattag den festgenomm­enen 26-Jährigen untersucht und bei ihm keine Verletzung­en

festgestel­lt. Ob sie sich von ihm bedroht gefühlt habe, wollte Richter Koch wissen. „Ich war froh, dass weitere Polizeibea­mte im Raum waren“, räumte die Gutachteri­n ein.

Wie und wann der mutmaßlich­e Täter am 20. März das Schramberg­er Rathaus betreten hat, ließ sich für die Kriminalte­chniker der Kripo Rottweil nicht mehr feststelle­n. Sicher sei jedoch, dass die Sprudelfla­sche, die der Täter vor der Messer-Attacke gegen die Aufzugstür geworfen hatte – und deren Scherben schon vor der Spurensich­erung von einer Putzkraft zusammenge­kehrt worden waren –, aus den Beständen des Rathauses stammte.

Das Opfer, dessen Frau und der ehemalige Oberbürger­meister Thomas Herzog verfolgten auch den zweiten Prozesstag. Am Nachmittag sagten die Eltern des Angeklagte­n unter Ausschluss der Öffentlich­keit aus.

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ARCHIV-FOTO: SBO Einsatz der Rettungskr­äfte nach dem Messerangr­iff auf den Schramberg­er Kämmerer: Er überlebte nur dank einer Not-OP.

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