Streit wegen Abschiebungen
Innenministerium ignoriert angeblich zunehmend Entscheidungen des Gremiums
(sz) - Die Härtefallkommission prüft, ob abgelehnte Asylbewerber womöglich doch im Lande bleiben drüfen. Jetzt ist sie an die Öffentlichkeit getreten. Ihr stößt auf, was der baden-württembergische Grünen-Chef Oliver Hildenbrand in Worte gefasst hat: Das Innenministerium ignoriere Empfehlungen der Kommission zu oft, weshalb viele Flüchtlinge ausreisen müssten, die hier eigentlich eine Perspektive hätten. Das Ministerium weist die Kritik zurück.
- Sie ist die letzte Hoffnung für Tausende von Menschen: die Härtefallkommission des Landes. Das Gremium prüft, ob einzelne abgelehnte Asylbewerber ein Recht haben sollten, in Deutschland bleiben zu dürfen. Die letzte Entscheidung darüber trifft aber das Innenministerium – und das ist in den vergangenen Jahren immer strikter geworden. Das stößt nicht nur den Mitgliedern der Härtefallkommission bitter auf, sondern auch den Grünen im Land. Ihr Vorsitzender Oliver Hildenbrand fordert Innenminister Thomas Strobl (CDU) dazu auf, wieder stärker den Empfehlungen der Kommission zu folgen.
Die Kommission arbeitet seit September 2005. Zehn Ehrenamtliche befassen sich mit Schicksalen, für die das Aufenthaltsrecht manchmal zu kurz greift. Sie haben es bislang 1930 Menschen ermöglicht, in BadenWürttemberg zu bleiben. Das Gremium ist bunt gemischt: Innenministerium, Wohlfahrts- und Kommunalverbände sowie Kirchen schlagen die Mitglieder vor.
„Wir haben immer einen relativ strengen Maßstab angesetzt“, sagt Edgar Wais. „Da kann man der Kommission keine allzu große Milde anlasten.“Wais war von der Gründung der Kommission 2005 bis Mai 2018 deren Vorsitzender. Er weiß, was Integration vor Ort bedeutet: 20 Jahre war der Parteilose Landrat von Reutlingen, parallel dazu lange Präsident des Landkreistags. „Wir hatten in den ersten zehn Jahren stets deutlich mehr als 90 Prozent Zustimmung aus dem Innenministerium für unsere Vorschläge“, sagt er. „Und zwar unabhängig davon, ob der zuständige Minister von der CDU oder der SPD gestellt wurde.“
Die Kommission befasst sich nur mit Anträgen von Menschen, die alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Die Zahl der Anträge war lange recht gering. Ab 2015 kamen mehr Flüchtlinge, die Zahl der Härtefallanträge stieg 2016 auf 610. Von den 254 Anträgen, mit denen sich die Kommission beschäftigte, leitete sie lediglich 36 weiter. Das Innenministerium folgte der Empfehlung in allen bis auf zwei Fällen.
„Mit dem Zustrom von Flüchtlingen und der nicht ganz glücklichen Aussage von Kanzlerin Merkel ,Wir schaffen das‘ hat sich die Meinung in der Öffentlichkeit etwas verändert“, erinnert sich Ex-Kommissionschef Wais. „Es gab zwischen den Ländern ein Ranking dazu, welches Land bei den Abschiebungen besonders effektiv ist.“Strobl holte sich Staatssekretär Martin Jäger (CDU) ins Innenministerium. Die Folge: „Er hat eine härtere Linie verfolgt“, sagt Wais.
Die Zahlen für 2017 weisen darauf hin: Mit 309 Anträgen hat sich die Kommission befasst. Von den 42, die sie an das Innenministerium weitergeleitet hat, wurden lediglich 26 genehmigt. Seinen Unmut darüber drückte Wais bei seiner Verabschiedung als Vorsitzender im Mai 2018 aus. „Ich habe klar gesagt, dass ich sehr hoffe, dass in Zukunft wieder mehr auf die Entscheidungen der Kommission eingegangen wird.“
Nur wenige Ausnahmen
Sein Wunsch blieb ungehört. 2018 schlug die Kommission vor, 62 Menschen ein Bleiberecht zu gewähren. Das Ministerium folgte dem nur in 35 Fällen. Das Innenministerium erklärt das mit gewissen Kriterien, die erfüllt sein müssten. Dazu zähle, ob die Identität der Antragsteller geklärt sei, ob Straftaten vorlägen, ob in der Vergangenheit über die Identität getäuscht wurde und ob der Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung hinreichend nachgekommen wurde. Das scheint für Minister Strobl ein wesentlicher Punkt. „Ich habe (...) absolut kein Verständnis, wenn jemand nicht dabei mithilft, seine wahre Identität zu ermitteln oder den deutschen Staat sogar über seine Identität täuscht“, sagt er. Grundsätzlich müsse jeder, der das Asyl- und Rechtsverfahren durchlaufen habe, Deutschland verlassen, wenn er keine Aufenthaltsgenehmigung erreicht habe. Ausnahmen könne es nur in wenigen Einzelfällen geben.
CDU-Generalsekretär Manuel Hagel springt Strobl bei. Die Härtefallkommission sei eine sehr sinnvolle Einrichtung. „Klar ist aber auch, Rechtsstaatlichkeit bedeutet nicht das Erfüllen von Quoten“, sagt er. „Pauschal eine höhere Quote der Anerkennung zu fordern, widerspricht für mich der Idee einer unabhängigen Prüfung durch das Innenministerium diametral.“
Die Mitglieder der Kommission fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Agnes Christner (SPD), Bürgermeisterin von Heilbronn, ist seit Mai 2018 dabei. „Ich erlebe die Kommission als ein Gremium, das sich intensiv mit den Eingaben auseinandersetzt“, sagt sie. Man berücksichtige etwa die Integrationsleistung der Menschen, die Lebensperspektive der Kinder und Jugendlichen in einer Familie. Bringen sie sich vor Ort ein, ins Vereinsund Dorfleben? Was sagen die gesellschaftlichen Gruppen vor Ort, was die Ausländerbehörde? „Wir machen uns die Entscheidungen nicht leicht.“Meist fielen diese einstimmig. Umso enttäuschender, wenn das Ministerium nur in etwa der Hälfte der Fälle den Empfehlungen
folge. „Die Entscheidung liegt beim Innenministerium, das akzeptieren wir“, sagt Christner. „Wir wollen es aber verstehen, dazu sind wir in intensivem Austausch.“
Vorsichtig äußert sich Udo Dreutler, der dem Gremium auf Vorschlag des Flüchtlingsrats angehört. „Wir müssen aufpassen, dass nicht jemand auf die Idee kommt, die Härtefallkommission sein zu lassen.“Schließlich gehe es darum, Menschen zu helfen. Aber: „Es gibt Diskussionen, in denen wir sagen: Wir können auch aufhören.“
Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand kann die Frustration nachvollziehen. „Im Umgang mit ihren Empfehlungen muss sich widerspiegeln, dass das Innenministerium dieser wertvollen Arbeit Wertschätzung und Vertrauen entgegenbringt“, fordert Hildenbrand. „Deshalb wollen wir Grüne die Fehlentwicklung der letzten Jahre korrigieren und das Ministerium dazu bewegen, den Empfehlungen wieder deutlich stärker zu folgen.“
Die Zahlen für das Jahr 2019 stehen noch aus. Ein Ministeriumssprecher verweist aber auf eine neue gesetzliche Möglichkeit für Menschen, die eine Arbeit haben, bleiben zu dürfen. Deshalb zeichne sich bereits jetzt eine höhere Umsetzungsquote 2019 ab.