Genossen lassen die GroKo wackeln
Walter-Borjans/Esken sollen SPD-Chefs werden – Union sieht Regierungsbündnis gefährdet
- Der Großen Koalition droht die Zerreißprobe. Nach dem Sieg der baden-württembergischen Politikerin Saskia Esken und des früheren NRW-Finanzministers Norbert Walter-Borjans beim Mitgliederentscheid um den Parteivorsitz steht die SPD vor einem Linksruck. Die GroKo-Kritiker hatten 53,06 Prozent der Mitglieder überzeugt, Finanzminister Olaf Scholz und Klara Geywitz kamen nur auf 45,3 Prozent.
Walter-Borjans und Esken kündigten schon am Samstag an, mit der Union nachverhandeln zu wollen für einen besseren Klimaschutz, mehr soziale Gerechtigkeit und mehr staatliche Investitionen in Straßen, Schulen und die Bahn. Schon bis zum Parteitag Ende der Woche wollen die designierten Chefs mit der erweiterten Parteispitze festlegen, zu welchen Bedingungen die SPD der GroKo treu bleiben will. In die Beratungen sollen sowohl GroKo-Kritiker wie Juso-Chef Kevin Kühnert als auch Anhänger wie Arbeitsminister Hubertus Heil eingebunden werden.
CDU und CSU schlossen ein Nachverhandeln des Koalitionsvertrags aus und machten deutlich, dass sie die Regierung fortsetzen wollen. „Wir stehen zu dieser Koalition auf der Grundlage, die verhandelt ist“, sagte Parteichefin Annegret KrampKarrenbauer. CDU-Vize und Südwest-Innenminister Thomas Strobl warnte die SPD in der „Stuttgarter Zeitung“, zu hohe Forderungen zu stellen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellte klar: Der bestehende Koalitionsvertrag sei Basis der Zusammenarbeit.
Einen überstürzten Ausstieg aus der GroKo streben Walter-Borjans und Esken nicht an. Sie planten auch „keinen Alleingang“, sondern einen gemeinsamen Kurs mit der Bundestagsfraktion und den SPD-Ministern, sagte Esken. Auch Baden-Württembergs SPD-Chef Andreas Stoch sieht den Mitgliederentscheid nicht als Vorentscheidung für ein Ende der GroKo. Zumal sich gezeigt habe, „dass wir in der Regierung schon einiges erreicht haben und noch einiges erreichen können“, so Stoch.
Rund ein halbes Jahr hatte die SPD eine neue Führung gesucht. Im Sommer war Andrea Nahles als Parteichefin zurückgetreten.
- Wie geht es jetzt weiter mit der Großen Koalition? Wird die SPD mit ihrem neuen Spitzenteam schnell aussteigen oder langsam Schritt für Schritt ihrer Forderungen stellen? Am Samstagabend im WillyBrandt-Haus deutet vieles darauf hin, dass das neue Team die SPD nicht Knall auf Fall aus der GroKo führen wird, aber hart nachverhandeln will.
Halbwegs gefasst und mit gewohnt freundlicher Miene verkündet die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer das Ergebnis: 53,06 Prozent für das Team Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans. Kurz zuvor hat schon das unterlegene Team Klara Geywitz und Olaf Scholz das Ergebnis erfahren, sodass es die gute Miene üben konnte, auch wenn es schwer fallen dürfte. „Olaf und ich gratulieren herzlich“, sagt Klara Geywitz. Und Olaf Scholz appelliert gefasst sofort an die Genossen, dass sich alle jetzt hinter der neuen Parteiführung versammeln müssten, denn „die SPD ist unsere gemeinsame Sache“. Danach aber verschwinden Scholz und Geywitz schnell aus dem Blickfeld der Kameras. Scholz denke aber nicht an einen Rücktritt als Finanzminister und Vizekanzler, erfahren die Berichterstatter.
Das neue Spitzenduo steht jetzt auf dem Parteitag zur Wahl. Für Norbert Walter-Borjans ist es keine Frage von Sieg oder Niederlage, sondern es gehe darum, die SPD zusammenzuhalten. „wir sind alle Sozialdemokraten und wir müssen Herzblut und Mut einbringen und für eine starke SPD kämpfen“. WalterBorjans erinnert noch einmal daran, dass er von Willy Brandt und Johannes Rau geprägt sei. Der frühere Regierungssprecher von Rau erinnert an dessen Motto, dass die SPD da sei für die, die Solidarität brauchen – und für die, die sie zu geben bereit sind.
Daumen in den Himmel
Mit den Daumen in den Himmel posiert das Siegerteam. Saskia Esken, ein bisschen größer als Borjans, legt stolz den Arm um Borjans. Sie hat den Anstoß gegeben und den früheren NRW-Finanzminister gefragt, ob er mit ihr für die SPD-Spitze antritt.
Im Plenum stehen die Helfer, die Stimmenauszähler. Aus Viersen vom Niederrhein kommt Helmut Hyzak, er freut sich über das neue Führungsduo. „Das ist unsere gute alte SPD“, meint er, wenn Olaf Scholz gewonnen hätte, wäre er enttäuscht gewesen. Als Vorentscheidung für einen Austritt aus der GroKo will er das Wahlergebnis nicht werten. Die GroKo könne erst einmal bleiben, „es ist ja nicht alles schlecht“. Aber jetzt gehe es um ein vernünftiges Konzept. Neben ihm hat ein Kollege fast Tränen des Glücks in den Augen. „Die sind so links wie ich“, sagt er, und dass er sich auf eine „rote Zukunft“freut.
Währenddessen geben Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken die ersten Interviews. Auf die immer gleiche Frage aller Journalisten, ob sie jetzt die Große Koalition verlassen, antworten die beiden ausweichend. Man müsse jetzt anhand von Inhalten debattieren und mit der Union ins Gespräch kommen, empfiehlt Esken. Es gehe darum, dass massive öffentliche Investitionen nötig seien. Walter-Borjans sagt: „Wir müssen deutlich machen, dass sich eine Menge neuer Aufgaben gestellt haben.“Auf Dauer sei die GroKo kein gutes Signal. Aber „fluchtartig raus aus der GroKo sei auch nicht die Frage.“Saskia Esken meint, man müsse die Partei und die Basis wieder zusammenführen. Die Entscheidung über die Zukunft der GroKo liege in der Hand des Parteitags am kommenden Freitag. Sie selbst ist für ein Nachverhandeln mit der Union. Investitionen von 450 bis 500 Milliarden seien in den nächsten zehn Jahren nötig.
Am Dienstag wird das SPD-Präsidium den Parteitag vorbereiten, der am Freitag in Berlin beginnt. Es gilt als unwahrscheinlich, dass ein schneller Austritt aus der GroKo gefordert wird. Es könnten aber Beschlüsse dazu gefasst werden, was dringend umgesetzt werden muss.
Nach dem Parteitag ist ziemlich bald ein Koalitionsausschuss zu erwarten. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat bereits gewarnt, es dürfe keine Neuverhandlungen geben. Auch der baden-württembergische CDU-Vorsitzende Thomas Strobl hat sich gegen Zugeständnisse an die Sozialdemokraten ausgesprochen.
Gemahnt wurden die Sozialdemokraten auch von ihrem früheren Parteivorsitzenden Martin Schulz. Man solle nicht das Heil in der Flucht aus der Regierung suchen, sagte er dem „Tagesspiegel“. Schulz verwies auf die großen Herausforderungen in Europa – und auf die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft Mitte 2020.