„Das pragmatische Lager ist geschockt“
- Die SPD-Mitglieder haben mit ihrer Wahl die Parteispitze und auch die Union geschockt, urteilt der Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Faas (Foto: dpa) im Gespräch mit Guido Bohsem.
Herr Faas, war das ein Black Saturday für die GroKo?
Das ist noch schwer zu sagen, da es da ja auch bei den Siegern selbst noch große Unterschiede gibt. Während Esken deutlich aus der GroKo raus möchte, äußert sich Walter-Borjans deutlich vorsichtiger. Beide können allerdings schwer ignorieren, dass sie dafür gewählt wurden, die GroKo zu verlassen, so war ja zumindest die Rahmung der Stichwahl. Auf dem Parteitag wird es zu einem Showdown in dieser Frage kommen.
Die Jusos haben die Sieger gestützt und die wollen raus aus der Großen Koalition ...
Das ist richtig. Es ist schwer vorstellbar, dass nun wieder mal Bedingungen formuliert werden, die für einen Verbleib in der GroKo erfüllt werden müssen. Das hat die SPD schon 2013 und 2017 gemacht, und es hat ihr nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Es wäre eine Überraschung, wenn sie jetzt nochmal genau diesen Weg gehen würde.
Steht die Partei vor einer Spaltung?
Ich glaube, es ist allen in der SPD klar, dass man zusammenstehen muss. Doch das wird schwer. In den Tagen vor dem Parteitag muss vor allem geklärt werden, wie die Zusammenarbeit mit SPD-Ministern und Fraktion funktionieren kann. Das wird nicht einfach. Die Fliehkräfte in der SPD sind stark und ich habe den Eindruck, das pragmatische Lager ist von der Entscheidung regelrecht geschockt.
Was wird aus Vizekanzler Scholz?
Das ist eine entscheidende Frage. Viel wird davon abhängen, wie viele Möglichkeiten die beiden Vorsitzenden ihm zugestehen werden und wie sie ihn einbinden. Immerhin haben ja 45 Prozent der Mitglieder explizit auch Klara Geywitz und ihn unterstützt.
Neuwahl oder Minderheitsregierung – wie geht es weiter?
Ich glaube, dass in der Partei nun sehr viele kreative Szenarien erwogen werden. Ein Rückzug der SPD aus der Regierung bei gleichzeitiger Tolerierung von Bundeskanzlerin Merkel wäre eines davon. Dass es einfach so weiter geht, nur mit zwei neuen Leuten an der Spitze, scheint im Licht der Entwicklung kaum vorstellbar.
Ein Wort zur Wahlbeteiligung ...
Die Mobilisierung der Partei hat nicht funktioniert. Vieles deutet darauf hin, dass angesichts der Lage ein gewisser Fatalismus in Kreisen der SPD herrscht.