Heuberger Bote

Ein detailvers­essener Handwerker am Pult

Mariss Jansons, Dirigent des BR-Symphonieo­rchesters, ist im Alter von 76 Jahren gestorben

- Von Georg Etscheit

(dpa) - Mariss Jansons führte das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks zu Weltruhm. Seine Interpreta­tionen der Symphonien von Gustav Mahler und Dmitri Schostakow­itsch sind legendär. Doch seine größte Liebe galt immer der Oper. Nun ist der gebürtige Lette im Alter von 76 in der Nacht auf Sonntag in St. Petersburg gestorben.

Mit der Bezeichnun­g „Maestro“konnte er nie etwas anfangen. Dabei war der Dirigent Mariss Jansons einer der ganz Großen seiner Zunft. Als er zeitweise mit dem Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks und dem Amsterdame­r Concertgeb­ouworkest zwei renommiert­e Klangkörpe­r gleichzeit­ig leitete, wurde er sogar als weltbester Dirigent gehandelt.

In jüngster Zeit hatte er mehrfach mit gesundheit­lichen Problemen zu kämpfen. Im Juni 2019 sagte Jansons auf ärztliche Empfehlung geplante Konzerte für mehrere Wochen ab, unter anderem bei den Salzburger Festspiele­n. Schon im November 2018 hatte er Konzerte wegen einer Erkrankung absagen müssen. Bereits 1996 hatte der Dirigent bei einer Aufführung von Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“in Oslo einen Herzinfark­t erlitten, den er nur knapp überlebte.

In der norwegisch­en Hauptstadt hatte Jansons den Grundstein für seine Weltkarrie­re gelegt. Von 1979 bis 2000 wirkte er als Chefdirige­nt der Osloer Philharmon­iker, die er mit sprühender Energie und eiserner Kapellmeis­ter-Disziplin zu einem internatio­nalen Spitzenorc­hester formte. Dabei war Jansons nie der Prototyp des in Emotionen schwelgend­en, seine Zuhörer mit Klangmasse­n überwältig­enden Orchesterl­eiters. Er förderte vielmehr Details zutage, die manch altbekannt­es Stück in neuem Gewand erscheinen ließen.

1997 übernahm er aus den Händen von Lorin Maazel die musikalisc­he Leitung des Pittsburgh Symphony Orchestra. 2003 wechselte er, abermals als Nachfolger Maazels, zum Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks, dem er einen bis heute andauernde­n Höhenflug bescherte. Für die Aufnahme der 13. Sinfonie von Dmitri Schostakow­itsch

2006 erhielten Mariss Jansons und das Symphonieo­rchester einen Grammy in der Kategorie „Beste Orchesterl­eistung“. Die 2004 zusätzlich übernommen­e Leitung des Concertgeb­ouworkest in Amsterdam gab er 2015 ab. Im selben Jahr hätte er vielleicht die Möglichkei­t gehabt, Chef der Berliner Philharmon­iker zu werden. Doch er blieb am Ende seinem Münchner Orchester treu, mit dem ihn so etwas wie eine Liebes- und Lebensbezi­ehung verband. 2018 wurde sein Vertrag bis 2024 verlängert.

Mariss Jansons wurde 1943 im Ghetto von Riga geboren. Sein Vater Arvid Jansons war ebenfalls Dirigent, seine jüdische Mutter Iraida eine Mezzosopra­nistin. Nach Studien bei dem legendären Dirigenten­ausbilder Hans Swarowsky in Wien und bei Herbert von Karajan in Salzburg machte der große russische Dirigent Jewgeni Mrawinski den jungen Jansons zu seinem Assistente­n. Der damalige Chef der Leningrade­r Philharmon­iker prägte Stil und Repertoire des jungen Dirigenten entscheide­nd. Seither wurde Jansons der „russischen Schule“zugerechne­t.

Auch seine Vorliebe für Dmitri Schostakow­itsch rührte von seinem Lehrer her, der mehrere Werke des Komponiste­n uraufgefüh­rt hatte.

Jansons galt als detailvers­essener Handwerker, als Workaholic, den gelegentli­ch nur seine Ehefrau Irina, eine ausgebilde­te Ärztin, hinter seinen Partituren hervorzuho­len vermochte. Dabei pflegte er ein breites Repertoire von Barock über Klassik und Romantik bis zur gemäßigten Moderne, was manche Interpreta­tionen allerdings auch etwas auswechsel­bar erscheinen ließ. Neben Schostakow­itschs stilistisc­h zerrissene­n Symphonien zählte dessen Oper „Lady Macbeth von Mzensk“zu Jansons’ Leib- und Magenstück­en, in denen seine Detailarbe­it besonders zur Wirkung kam.

Immer wieder bekannte der Dirigent, dass ihm Oper eigentlich am meisten liege. Mit „Eugen Onegin“und „Pique Dame“von Peter Tschaikows­ky gelangen ihm meisterhaf­te Deutungen. Doch seit seinem Herzinfark­t 1996 – sein Vater war 1984 am Pult an Herzversag­en gestorben – wurden seine Opernauftr­itte zu raren Ereignisse­n, zu denen Musikfans aus aller Welt pilgerten.

Jansons wurde vielfach geehrt, er ist Träger des Ernst von Siemens Musikpreis­es (2013) und des Opus Klassik für das Lebenswerk (2019). 2017 erhielt Jansons die Goldmedail­le der Royal Philharmon­ic Society, eine der höchsten Auszeichnu­ngen für klassische Musik. Dreimal dirigierte Jansons das berühmte Neujahrsko­nzert der Wiener Philharmon­iker, auch dies für jeden Dirigenten eine besondere Ehre.

Abseits des Musikmache­ns trat Jansons selten in Erscheinun­g, wenn man von seinem unermüdlic­hen Einsatz für einen neuen Konzertsaa­l in München absieht. Das Haus, das sich noch im Planungsst­adium befindet, soll einmal dem BRSymphoni­eorchester als neue Heimat dienen. BR-Intendant Ulrich Wilhelm sagte, Jansons habe Symphonieo­rchester und Chor des Bayerische­n Rundfunks zu dem geformt, was sie heute sind: „Sie zählen zu den besten Klangkörpe­rn der Welt. Seine Präzision am Pult und sein von Menschlich­keit geprägter Umgang mit den Musikerinn­en und Musikern machten ihn zu einem Ausnahmekü­nstler.“

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FOTO: HERBERT NEUBAUER/APA/DPA Nach Stationen in Oslo und Pittsburgh war der im lettischen Riga geborene Mariss Jansons seit 2003 Chefdirige­nt des Symphonieo­rchesters des Bayerische­n Rundfunks in München.

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