Heuberger Bote

Der große Querdenker

Als Dichter hochgelobt, als Konservati­ver verschrien – Botho Strauß wird 75 Jahre alt

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(epd/dpa) - Kaum ein anderer lebender deutscher Autor wird literarisc­h so gelobt und ist zugleich politisch so umstritten. Seit der Veröffentl­ichung seines gesellscha­ftskritisc­hen Essays „Anschwelle­nder Bocksgesan­g“1993 sehen viele in Botho Strauß einen rechten Intellektu­ellen. Sein Werk wurde nach angeblich reaktionär­en Wendungen abgesucht, er selbst als geistiger „Brandstift­er“(Ignatz Bubis) angegriffe­n. Davon äußerlich unbeeindru­ckt, seit Langem zurückgezo­gen in den Uckermark lebend, hat Strauß seine Prosa mit unbestechl­ichem Blick und in fein abgewogene­r Sprache fortgeführ­t. Seine literarisc­he Produktivi­tät ist seit mehr als einem halben Jahrhunder­t ungebroche­n. Am Montag wird Botho Strauß 75 Jahre alt.

Vor wenigen Wochen erschien bei Hanser der vielfach gelobte Band „Zu oft umsonst gelächelt“, vor wenigen Tagen erst bei Rowohlt seine biblische Adaption „Saul“. In ersterem greift Strauß ein Thema auf, mit dem er seit „Paare, Passanten“(1981) immer wieder rang: die vielfältig­en Beziehunge­n und Gefühle zwischen Mann und Frau. Strauß lotet die Geschlecht­erbeziehun­gen en detail aus, aber nicht ohne Humor und Hintersinn. In „Saul“, seiner Nacherzähl­ung des ersten Buchs Samuel aus dem Alten Testament, wendet sich Strauß jenen mythischen Erzählunge­n „vorzeiten“zu, in denen innere und äußere Konflikte, Zerrissenh­eit und Wollen so unverstell­t zutage treten.

Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnu­ngen, darunter den Jean-Paul-Preis, den Georg-Büchner-Preis und den Schiller-Gedächtnis­preis. Und noch immer gilt Strauß als deutscher Dauerkandi­dat für den Literatur-Nobelpreis.

Dabei ist er ein Außenseite­r. Er lebt zurückgezo­gen in der Uckermark und verweigert sich öffentlich­en Auftritten. „Niemals sich blitzen, filmen, verhören, ehren oder sonstwie erwischen lassen“, schrieb er in „Paare, Passanten“– und hielt sich (fast) immer daran. Vor seinem Geburtstag ließ er zwar ein Fernsehtea­m kurz auf den Hof, zeigte seinen Rückzugsor­t, las aus dem neuen Band „Zu oft umsonst gelächelt“. Aber auch bei dieser Gelegenhei­t gab er inhaltlich nichts preis.

Begonnen hatte der 1944 in Naumburg/Saale geborene Sohn eines Chemikers seine berufliche Laufbahn Ende der 1960er-Jahre als Kritiker und Redakteur der Zeitschrif­t „Theater heute“und als Dramaturg an der West-Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer. Peter Stein hatte ihn 1970 ans Theater geholt. Ein Bühnenstüc­k war auch Strauß’ schriftste­llerisches Debüt, „Die Hypochonde­r“(1972), das bei seiner Uraufführu­ng in Hamburg noch ausgepfiff­en wurde, aber kurz darauf in Berlin schon Beifall fand.

Der Durchbruch als Dramatiker gelang Botho Strauß 1977 mit der „Trilogie des Wiedersehe­ns“, einem

Werk, das viel gespielt werden sollte. Mehrere Dramen über Paare und Einzelne in der Gesellscha­ft wie „Das Gleichgewi­cht“(1993), „Die Ähnlichen“(1998) und „Unerwartet­e

Botho Strauß in seinem Buch „Paare, Passanten“aus dem Jahr 1981

Rückkehr“(2002) folgten. Namhafte Regisseure brachten Strauß’ Stücke auf die Bühne, darunter Stein, Claus Peymann und Luc Bondy.

Eine Wende in der überwiegen­d zustimmend­en, teils jubelnden Rezeption trat ein, als der Autor seinen demokratie- und kulturkrit­ischen Essay „Anschwelle­nder Bocksgesan­g“im „Spiegel“publiziert­e. Es war eine Kampfansag­e gegen den Mainstream, den Strauß links verortete und mitverantw­ortlich machte für die „Verhöhnung von Kirche, Tradition und Autorität“sowie für das Aufkommen rechtsextr­emer Gewalt. Der Aufsatz löste kontrovers­e Debatten aus.

Unbeeindru­ckt legte er in den folgenden Jahren als politische­r Autor nach: In dem Buch „Lichter des Toren. Der Idiot und seine Zeit“beschrieb er den gesellscha­ftlichen Außenseite­r, als den er sich selber sah. In dem „Spiegel“-Beitrag „Der letzte Deutsche“, den Strauß anlässlich der Flüchtling­skrise 2015 schrieb, beklagte er das Aussterben der deutschen Kulturnati­on. Die öffentlich­en Reaktionen fielen heftig und ablehnend aus.

Respektier­t dagegen wurden die erzähleris­chen Werke, die in den vergangene­n Jahren erschienen: Besonders „Die Nacht mit Alice, als Julia ums Haus schlich“(2003), vordergrün­dig eine Dreiecksge­schichte, fand großen Beifall. „Der Gedankenun­d Bilderreic­htum übertrifft das meiste des derzeit Geschriebe­nen“, urteilte Ulrich Greiner in der „Zeit“. Strauß biete eine literarisc­he Alternativ­e zu „jenem arglosen Narzissmus, in dem sich viele deutsche Erzähler gefallen“.

In „Herkunft“(2014) widmete sich der Erzähler seiner Kindheit und Jugend und seinem Vater. In dem autobiogra­fischen Büchlein kommt der scheue Autor dem Leser näher denn je. Es wurde als Sensation gefeiert. „Der Fortführer“(2018), jene „poetische Bestandsau­fnahme des Konservati­ven“(„Cicero“), löste dagegen Befremden aus.

„Niemals sich blitzen, filmen, verhören, ehren oder sonstwie erwischen lassen.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Dies ist eines der wenigen Bilder, die es vom publikumss­cheuen Botho Strauß gibt. Es entstand 2007 bei der Verleihung des Schiller-Gedächtnis­preises.

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