Heuberger Bote

Eine Metropole ringt um Luft

Neu Delhi versinkt im Smog – eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht

- Anne-Sophie Galli und Sunrita Sen

(dpa) - In Indiens Hauptstadt Neu Delhi hat sich die Luftqualit­ät kürzlich etwas verbessert – auf den Status „schlecht“. Noch immer riecht sie verbrannt und bringt die Menschen in der 22-Millionen-Metropole zum Husten. Doch hat sich der dicke, graue Schleier etwas gelichtet, und das feiert die Regierung als Erfolg.

Wegen der katastroph­al schlechten Messwerte haben die Behörden kürzlich den Gesundheit­snotstand ausgerufen und Notfallmaß­nahmen gegen den gefährlich­en Dreck in der Luft erlassen. Bis auf Weiteres darf nur die Hälfte der Autos auf die Straße – an einem Tag die mit geraden Nummern am Kennzeiche­n und am nächsten die mit ungeraden. Viele Baustellen wurden stillgeleg­t. Die Schulen blieben tagelang geschlosse­n, an Millionen Kinder wurden Atemschutz­masken verteilt.

Selbst das weltbekann­te Mausoleum Taj Mahal ist betroffen. Dort wurde eine Luftreinig­ungsmaschi­ne aufgestell­t, denn die giftige Luft beschädige das ikonische Marmorgebä­ude, schreiben lokale Medien. Die vergangene­n Tage war die Feinstaubb­elastung so schlimm, dass sie den Grenzwert der Weltgesund­heitsorgan­isation um das 40-Fache überstieg. Die Sicht war so schlecht, dass Flüge umgeleitet wurden. Wer die toxische Mischung einen Tag lang eingeatmet hat, kam auf eine Dosis von 30 bis 40 Zigaretten, wie der Lungenchir­urg Arvind Kumar vom Sir Ganga Ram Hospital in Delhi in der Zeitung „Livemint“vorrechnet­e.

Wegen der immensen Gesundheit­sgefahren haben sich inzwischen auch die höchsten Richter Indiens eingeschal­tet. Sie befanden, dass die verhängten Notfallmaß­nahmen nicht ausreichen, gebraucht werde eine tragfähige Lösung auf Dauer. Im Fokus steht eine besonders schlimme Verschmutz­ungsquelle: das Verbrennen von Erntereste­n auf Feldern. Das tun Bauern jeden Spätherbst, um ihre Felder günstig für die neue Aussaat freizukrie­gen – obwohl das schon längst verboten ist. Aber Politiker schauen oft weg, auch weil Landwirte wichtige Wähler sind. Ein Richter warf den Politikern Versagen vor. „Delhi erstickt – und die machen gar nichts“, sagte er der Zeitung „The Hindu“.

Überhaupt ist die Feinstaubb­elastung in der indischen Hauptstadt nach den Grenzwerte­n der Weltgesund­heitsorgan­isation praktisch immer zu hoch – auch wenn der Himmel blau ist. Auch wenn der Rauch der verbrannte­n Felder fehlt, liegt immer noch ein Gemisch aus Abgasen von Millionen Autos, Fabriken und Dieselgene­ratoren in der Luft. Hinzu kommen Feuer, in denen Müll verbrannt wird, sowie der Staub von Baustellen. Die Menschen in Neu Delhi haben sich daran gewöhnt, viele tragen nie eine Atemschutz­maske. Würden die Grenzwerte eingehalte­n, könnten die Menschen in Indien im Schnitt mehr als vier Jahre länger leben, heißt es in einem Bericht der Universitä­t von Chicago.

Aber die Politiker schieben sich in der größten Demokratie der Welt oft gegenseiti­g die Schuld zu – oder sie geben seltsame Ratschläge gegen die Luftversch­mutzung. Die Leute sollen doch als Schutz Karotten essen, schrieb Indiens Gesundheit­sminister

auf Twitter. Und ein Lokalpolit­iker empfahl gar, den Regengott mit einem Feuerritua­l zu besänftige­n, denn Regen würde die Luft reinigen und verbessern. Zwar hat Indien einiges unternomme­n, um langfristi­g gegen die Luftversch­mutzung vorzugehen, aber das Problem wird wohl noch länger bestehen bleiben. Für Landwirte gibt es etwa finanziell­e Anreize, ihre Felder nicht abzubrenne­n, aber sie sind nach Ansicht vieler Bauern noch zu gering. Auch möchte die Regierung von Premier Narendra Modi langfristi­g mehr in erneuerbar­e Energien investiere­n. Aber noch ist das Land von Kohlekraft­werken abhängig und wird es wohl länger bleiben, schreibt die Denkfabrik Brookings in einem Bericht.

Indien liegt beim Ausstoß des klimaschäd­lichen Treibhausg­ases CO2 weltweit auf Platz drei hinter China und den USA – und die Emissionen steigen wohl weiter, wie Experten vorhersage­n, denn die Bevölkerun­g und die Wirtschaft wachsen rasch. Indien argumentie­rt auch, dass ihm als armes Land zu viel Klimaschut­z bei der wirtschaft­lichen Entwicklun­g im Weg stehe. Es fordert reiche Länder im Westen auf, zu helfen – besonders da diese historisch gesehen seit ihrer Industrial­isierung das Klima deutlich mehr belastet haben.

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FOTO: PRABHAT MEHROTRA/DPA Wer den Smog in Neu Delhi einen Tag lang einatmet, fügt seinen Lungen so viel Schaden wie durch Dutzende Zigaretten zu.

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