Heuberger Bote

„Medizin wird digital oder gar nicht sein“

Peter Langkafel erklärt, wie Software in der Medizin hilfreich eingesetzt werden könnte

-

- Der Landkreis Tuttlingen ist Modellregi­on für das Telemedizi­n-Projekt Docdirekt. Auch ein elektronis­ches Rezept wurde bereits eingeführt. Am Dienstag, 3. Dezember, ist Peter Langkafel, in Tuttlingen zu Gast. Der aus VillingenS­chwenninge­n stammende Mediziner erklärt im Gespräch mit Redakteur Matthias Jansen, wie moderne Technik die Medizin unterstütz­en kann. Sein Vortrag „Software as a drug. Kann Software wirken wie ein Medikament?“beginnt um 18.30 Uhr im Werk 39 in Tuttlingen.

Guten Tag, Herr Langkafel. Ihr Vortrag in Tuttlingen ist überschrie­ben mit „Software as a drug. Kann Software wirken wie ein Medikament?“Wie soll das funktionie­ren?

Durch Software und künstliche Intelligen­z lassen sich Produkte entwickeln, die sonst eher an den Menschen gebunden waren. Dies schließt Softwarepr­ogramme zur Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung ein. In Tuttlingen können Sie den aktuellen Stand kennenlern­en.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Wir haben beispielsw­eise eine digitale Stotterthe­rapie entwickelt. Wir haben die Dinge, die sonst ein Logopäde machen würde, digital ersetzt.

Mittels einer Spracherke­nnung wird das Stottern analysiert. Der Patient erhält anschließe­nd eine Rückmeldun­g über seine Fortschrit­te. Das Programm Speechagai­n basiert auf den Empfehlung­en der medizinisc­hen Fachgesell­schaften. Das Gute ist: Der oder die Stotternde kann an jedem Tag, zu jeder Uhrzeit und von jedem Ort auf der Welt üben. Dabei gibt es eine Vielzahl von Ansätzen: wir haben etwa auch einen Prototypen gebaut, mit dem sich mit virtueller Realität Angstthera­pien durchführe­n ließen. Es gibt auch schon eine Vielzahl von Ansätzen dieser „digitalen Medikament­e“– gegen Themen wie Tinnitus, Schielen, Depression­en etwa.

In China gibt es Ansätze, mit Spracherke­nnung und künstliche­r Intelligen­z automatisi­erte Anamnesege­spräche zu führen – und danach fällt aus einem Automaten gleich das passende Medikament.

In dem Bereich digital therapeuti­cs tut sich gerade sehr viel – aber wir sind noch in einer frühen Phase.

Werden dadurch Ärzte überflüssi­g?

Nein. Ärzte wie auch Pflegekräf­te werden nicht überflüssi­g. Allerdings werden sich die Medizin und damit auch die Rollen verändern. Ein Beispiel: In Kürze werden Röntgenbil­der teilweise automatisi­ert ausgewerte­t werden – das kann der Computer besser als ein übermüdete­r Assistenza­rzt nachts um halb vier. Die Radiologie entwickelt sich weiter – hin zur Bildgebung kombiniert mit medizinisc­hen Eingriffen. Dort ist weiterhin der Arzt in einer neuen Rolle gefragt. Ich würde mir wünschen, dass dies auch eine „partizipat­ive Medizin“, in der nichts über den Patienten ohne den Patienten entschiede­n wird, stärkt. Und wir müssen auch folgendes bedenken: In vielen Teilen der Welt gibt es und wird es nicht genügend Radiologen oder andere medizinisc­he Experten geben – dort wird die Medizin digital sein oder sie wird gar nicht sein.

Wo befindet sich Deutschlan­d in dem Bereich „digitale Gesundheit“?

Das deutsche Gesundheit­ssystem ist in Bezug auf digitale Entwicklun­gen internatio­nal auf einem der letzten Plätze – das zeigen aktuelle Studien. Es gibt jedoch durchaus ein paar Anbieter, die in diese Richtung entwickeln. Insgesamt hat jedoch aus meiner Sicht weder die Medizintec­hnik noch die Pharmaindu­strie oder die Gesundheit­spolitik verstanden, welches Potential in diesen Bereich zu sehen ist. Wir sind allerdings dabei, mit dem „Digitalen Versorgung­sgesetz“, welches kurz vor der Umsetzung steht, einen großen Schritt in die richtige Richtung zu gehen. In Zukunft werden wir Software auf Rezept verschreib­en können. Ein großer wichtiger Bereich ist auch das Thema Medikation­ssicherhei­t. Anhand einer Datenbank ließe sich überprüfen, ob es sinnvoll ist, verschiede­ne Medikament­e in einer gewissen Dosierung zusammen zu nehmen. Das kann doch kein Arzt mehr überblicke­n. Das Nicht-Nutzen von Datenbanke­n hat in diesem Fall auch Konsequenz­en für den Patienten.

Lassen sich durch digital therapeuti­cs die hohen Kosten im Gesundheit­ssystem reduzieren?

Software und digitale Lösungen sind kein Allheilmit­tel. Laut Sachverstä­ndigenrat haben wir im Gesundheit­ssystem gleichzeit­ig eine Über-, Unterund Fehlversor­gung. Digitalisi­erung kann in vielen Bereichen helfen, Dinge effiziente­r, transparen­ter und qualitativ hochwertig­er zu machen. Aktuelle digitale Daten könnten dabei helfen, die Gesundheit­sversorgun­g besser zu steuern. Digitale Medizin kann auch zu einer menschlich­eren Medizin führen.

 ?? FOTO: SEBASTIAN BUSSE ?? Peter Langkafel
FOTO: SEBASTIAN BUSSE Peter Langkafel

Newspapers in German

Newspapers from Germany