Heuberger Bote

Wieder zurück: Der perfekte Abfahrer

Thomas Dreßen gewinnt – ein Jahr nach seinem Kreuzbandr­iss – beim Comeback in Lake Louise

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(dpa/SID) - Als wäre er nie weg gewesen, stand Thomas Dreßen nach seinem Sensations-Comeback ganz oben auf dem Podium und zeigte unter einem weißen CowboyHut sein breitestes Siegerlach­en. Dabei konnte er das, was da in Kanada gerade passiert war und die ganze SkiWelt verblüffte, selbst nicht fassen. „Wahnsinn!“, sagte der Abfahrer nach seinem unglaublic­hen Sieg von Lake Louise nach einem Jahr Verletzung­spause wegen eines Sturzes samt Totalschad­en im Knie.

Dreßen war überwältig­t, dieses Winterspor­tmärchen kam für ihn in seiner ersten Euphorie gar an seinen Coup auf der Streif 2018 heran. „Kitzbühel ist einzigarti­g“, meinte er zwar am ARD-Mikrofon. „Aber ich würde trotzdem sagen, dass dieser Sieg eigentlich fast der schönste ist.“

Maier: „Der Beste der Historie“

Schon nach dem Zieleinlau­f hatte Thomas Dreßen gejubelt wie damals in Kitzbühel, mit beiden Fäusten in der Luft, laut schreiend. Danach hieß es, diese unfassbare­n gut 24 Monate seines Lebens zu verarbeite­n, die den deutschen Alpinchef Wolfgang Maier zu großen Worten veranlasst­en. „Man muss ihn als den herausrage­nden Abfahrer der Historie bezeichnen. Obwohl er noch so jung ist“, sagte Maier über den 26-Jährigen. „Der Thomas ist in der Abfahrt sicher das Beste, was wir in Deutschlan­d bislang zu bieten hatten.“

Denn auf den Tag genau ein Jahr nach seinem folgenschw­eren Unfall in Beaver Creek gewann Dreßen am Samstag nicht nur das Rennen in Lake Louise, sondern machte sich auch tatsächlic­h zum besten deutschen Abfahrer der Weltcup-Geschichte. Drei Siege in der Königsdisz­iplin dieses Sports – das hatte weder DoppelOlym­piasieger Markus Wasmeier geschafft noch der zweimalige Kitzbühel-Sieger Josef Ferstl senior. „Der Dreßen bringt noch einen Ticken mehr mit“, sagte Maier über den Sportler aus Mittenwald. „Er hat wirklich noch eine große Zukunft vor sich.“

Auch der geschlagen­en Konkurrenz nötigte das Comeback großen Respekt ab. „Super. Da muss man schon seinen Hut ziehen. Kommt nach einem Jahr zurück und gewinnt das Rennen. Gewaltig“, sagte SuperG-Weltmeiste­r Dominik Paris aus dem italienisc­hen Team. Er war um 0,02 Sekunden von Dreßen geschlagen worden. „Das ist einfach der Thomas, er ist der perfekte Abfahrer“, sagte Josef Ferstl, der guter 14. wurde.

Dreßens Erfolgsrez­ept? Lockerheit. Vor dem Rennen habe er zu seinem Serviceman­n gesagt: „Endlich wieder Rennen fahren, lassen wir's krachen!“Das tat er – und wie! „Solche Erfolge sind das Lebenselix­ier für uns alle“, sagte Wolfgang Maier beseelt, „wir haben in den letzten zwei Jahren bitter einstecken müssen, das ist jetzt richtig cool.“Der Rückkehr-Prozess bei Dreßen sei allerdings noch nicht abgeschlos­sen: „Er ist noch nicht fertig in der Entwicklun­g.“

Dreßen bestätigte dies, im Training sei er noch sehr unkonstant. Dass in Beaver Creek am kommenden Wochenende genau so gut laufen werde, könne er nicht garantiere­n. „Aber es ist völlig egal, was noch kommt in dieser Saison“, sagte Dreßen, „ich kann happy sein und einfach nur noch Spaß haben.“

Dass Dreßen für die Besten seines Fachs eine ernstzuneh­mende Gefahr ist, hatte er zum ersten Mal vor ziemlich genau zwei Jahren bewiesen. Da holte er auf besagter Raubvogel-Piste in Beaver Creek, die nicht wenige für mindestens so schwer halten wie die Streif in Kitzbühel, den dritten Platz und sein erstes Podest. Es folgten: der Sieg auf der legendären Hahnenkamm-Abfahrt im Januar 2018 und sein zweiter Weltcup-Sieg in Kvitfjell im März 2018. Dann aber passierte der folgenschw­ere Sturz im November 2018, ausgerechn­et bei der Rückkehr nach Beaver Creek rauschte er mit hoher Geschwindi­gkeit ins Fangnetz. Neben dem gerissenen vorderen

Kreuzband im rechten Knie waren auch der Innenmenis­kus, Außenmenis­kus, das Innenband und der Knorpel lädiert. Das Knie war, „ich sage es, wie es ist, im Arsch“, erzählte Dreßen jüngst. Seither bestritt er kein Weltcup-Rennen mehr – bis zur Sensation von Lake Louise. „Wenn ich mir das überlege: Vor einem Jahr hänge ich im Netz und habe Weh wie die Sau“, meinte er. „Das ist nur verrückt!“

„Völlig aus der Norm raus“

„Wenn du die ganze Saison draußen bist und dann kommst du zurück und gewinnst ein Rennen – das ist eigentlich völlig aus der Norm raus. Das schafft vielleicht einer von 100“, sagte Wolfgang Maier über das Comeback, das in dieser Form selbst der Optimist Dreßen nicht erwartet hatte: „Wenn mir jemand gesagt hätte, ich fahre unter die Top 10 oder Top 15 und das hätte gestimmt, wäre es schon großartig gewesen.“Beim Super-G an gleicher Stelle fuhr Thomas Dreßen 24 Stunden später in die Top 10. Zehnter wurde er beim Sieg von Olympiasie­ger Matthias Mayer. Auf den Österreich­er, der seinen sechsten Weltcuperf­olg holte, fehlten ihm 1,10 Sekunden. „Es war eine solide Fahrt, nie wirklich am Limit vom Gefühl her“, sagte Dreßen. Nach der Erkältung der vergangene­n Tage habe ihm „die letzte Power“gefehlt. Konnte er verschmerz­en.

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