Rassimusvorwürfe erschüttern die NHL
Wie Eishockeyprofi Akim Aliu die Liga via Twitter aus der Lethargie gerissen hat
CALGARY (SID) - Akim Aliu war bis vor wenigen Tagen einfach ein Eishockeyspieler, der wie viele vor und nach ihm vergeblich sein Glück in der NHL suchte. Jetzt ist der gebürtige Nigerianer, der in der Ukraine und Kanada aufgewachsen und seit dieser Saison in der unterklassigen USLiga ECHL für Orlando spielt, jedoch eine Art Symbolfigur geworden für einen aus der Zeit gefallenen Habitus in der nordamerikanischen Profiliga, für anscheinend verbreitete rassistische Tendenzen und für Machtmissbrauch von Trainern.
Nach den Offenbarungen Alius trat Bill Peters, der Headcoach der Calgary Flames, zurück. Die Spiele des Teams des deutschen Nationalspielers Tobias Rieder sind daher gerade eher nebensächlich. Aliu hat eine Lawine in Gang gesetzt, die die Wucht entwickeln kann, die Eishockeykultur in Nordamerika von Grund auf zu verändern.
Die NHL hinkte, allein was die Integration schwarzer Spieler angeht, den anderen großen nordamerikanischen Profiligen schon immer weit
hinterher. Willie O’Ree war 1958 der erste überhaupt, mehr als zehn Jahre nach Basketball (NBA), Football (NFL) und Baseball (MLB). Bis heute ist der Anteil schwarzer Profis in der besten Eishockeyliga der Welt verschwindend gering und liegt bei circa fünf Prozent.
Aliu hat die Liga mit seinen Rassimusvorwürfen via Twitter nun aus der Lethargie gerissen. Die geschilderten Fälle liegen lange zurück. Demnach habe sich Peters vor zehn Jahren als Trainer der Rockford IceHogs eines Morgens über den Musikgeschmack des damals 20-Jährigen abfällig geäußert und dabei in der Kabine „die N-Bombe mehrfach auf mich fallen lassen“, wie Aliu schildert. Mit der „N-Bombe“ist das beleidigende Wort „Nigger“gemeint. In der Folge sei Aliu auch sportlich degradiert worden.
Der kanadische TV-Sender TSN berichtete, dass der Vorfall von zwei damaligen Mitspielern bezeugt wurde. Die Flames strengten daraufhin eine Untersuchung der Vorgänge an, die die NHL noch fortführt. Aliu soll in dieser Woche Ligavertreter persönlich treffen. Solange dies nicht geschehen ist, will die NHL die Situation nicht kommentieren. Für TSN-Reporter Frank Seravelli ist aber klar: „Ich glaube, dass dies Eishockey für immer verändern wird.“
Peters wurde nicht nur Rassismus vorgeworfen, er soll als Headcoach der Carolina Hurricanes später auch gewalttätig geworden sein. Der frühere tschechische NHL-Profi Michal Jordan berichtete über einen Tritt in den Rücken während eines Spiels, ein anderer Profi habe von Peters einen Schlag auf den Kopf erhalten. „Das ist auf jeden Fall passiert“, erinnert sich Rod Brind’Amour, seinerzeit Co-Trainer und inzwischen Chefcoach der Hurricanes. Folgen hatte dies für Peters nicht. Auch darüber wird derzeit heftig debattiert.
Von Eishockeyspielern wird gerne das Bild der stahlharten Jungs gezeichnet, die sich heroisch durch Verletzungen kämpfen, durch nichts kleinzukriegen sind. Doch unter der Oberfläche sieht es offenkundig ganz anders aus. Angestoßen vom Fall Peters sind immer mehr Anschuldigungen, auch aus Juniorenligen, an die Öffentlichkeit geraten.
Jüngst sorgte der Zwischenfall um den schillernden TV-Experten Don Cherry (85) für Schlagzeilen, der seinen Job wegen herablassender Äußerungen über kanadische Immigranten
los wurde. Dann kamen nach der Entlassung von Starcoach Mike Babcock bei den Toronto Maple Leafs seltsame Methoden im Umgang mit Spielern zum Vorschein. Alius Vorstoß war davon eine direkte Folge, denn Peters gilt als einstiger Protegé Babcocks.
„Es wird mehr Opfer geben, die angehört werden müssen, Namen, die genannt werden müssen, Leute, die zurücktreten müssen. Ich weiß, es könnte Tausende solche Geschichten geben“, sagte Ex-NHLProfi Dan Carcillo im Global BC Network, der sich seit seinem Karriereende für die Belange seiner früheren Kollegen einsetzt. Alius Erlebnisse scheinen eher die Regel als die Ausnahme gewesen sein.
„Ich glaube, dass dies Eishockey für immer verändern wird.“
Eishockey-Experte Frank Seravelli
Akim Aliu, hier 2018 im Trikot des schwedischen Clubs Karlskrona, hat durch seine Offenlegung von angeblichen rassistischen Beleidigungen seines Ex-Trainers eine Lawine in Gang gesetzt.