Schnell und analytisch – nur meistens zur falschen Zeit an der richtigen Tür
Start 177 war wohl der letzte für Nico Hülkenberg in der Formel 1 – Nie auf dem Podium, doch von allen Fahrerkollegen geachtet
Interlagos, 39. Großer Preis von Brasilien, die Qualifikation. Geregnet hat es, der Asphalt trocknet langsam ab, und Nico Hülkenberg lässt profillose Reifen aufziehen. Ein Wagnis, doch der Mann im Williams FW32 bringt die weichen Slicks fehlerfrei auf Idealtemperatur: „Ich bin gefahren wie ein Verrückter, bin quergestanden, habe die Hinterräder durchdrehen lassen, habe hart und spät gebremst. Die Reifen waren von der ersten Runde an da.“Nico Hülkenberg holt die Pole Position, distanziert den Zweitschnellsten um 1,049 Sekunden. Der Zweitschnellste heißt Sebastian Vettel, wird acht Tage später Weltmeister und chauffiert das Über-Auto der Saison. An diesem 6. November 2010 ist Nico Hülkenberg angekommen in der Formel 1; besagte acht Tage später hatte ein Anderer seinen Job: Als Debütant WM-14., bei sieben von 19 Rennen in den Punkterängen – das war zu wenig gegen die 17 Millionen Dollar Mitgift, die Pastor Maldonado zu bieten hatte.
Hinter Nico(las) Hülkenberg stand – und das ist bezeichnend für seine Formel-1-Karriere, die am Sonntag nach 177 gefahrenen Grands Prix in Abu Dhabi zu Ende gegangen sein dürfte – nie eine Armada von Geldgebern, die ihm ein Cockpit hätten kaufen können. Der 32-jährige Rheinländer hatte als PR-Argument in eigener Sache allein sein Potenzial. Das war nicht wenig, auch wenn Nico Hülkenberg nie ein Podestplatz vergönnt gewesen ist. Vierte Ränge in Spa 2012, Yeongam 2013 und nochmals Spa 2016 waren seine besten Resultate; mit Ironie konterte er allzu platte Running Gags diesbezüglich. Merke: „Ich bringe keine Leistung und bin immer noch da.“
„Weltmeister im Wartestand“
Das mit der Leistung sah die offizielle Formel-1-Homepage anders. „For many in the Formula One Paddock Nico Hulkenberg is a world champion in waiting“, schrieb sie zum 100. Rennen des Emmerichers im Frühjahr 2016, „ein Weltmeister im Wartestand“. Der den nötigen Grundspeed mitbrachte, Zuverlässigkeit, Konstanz auch, hohes technisches Verständnis. Für den (deshalb blieb Wartestand bis zuletzt Wartestand) die richtigen – wichtigen – Türen jedoch stets zum falschen Zeitpunkt geschlossen waren. Formel 1 ist Politik, „du bist nicht in der Lage, alles so zu steuern, wie du willst und kannst“. Also chauffierte Nico Hülkenberg einen Williams, einen Sauber, einen Force India, Mittelklasse-Boliden allenfalls. Von Mittelklasse-Teams, denen früher oder später Geld und Ressourcen fehlten, die es für ein auf Dauer effektives Arbeiten in der Formel 1 gebraucht hätte.
Der Wechsel zu Renault Ende 2016 sollte bessere Perspektiven eröffnen, nicht allein finanziell. Einen Dreijahresvertrag unterschrieb Nico Hülkenberg
(der ihm, so las man, rund 18 Millionen Euro Grundgehalt einbrachte), Werkspilot war er fortan und Teil, nein: treibende Kraft eines ambitionierten Langzeitprojekts: „Renault will nach oben, ich will nach oben.“
2018 zumindest gelang das: Siebter in der Saisonhierarchie hinter je zweimal Mercedes, Ferrari und Red Bull – Nico Hülkenberg wurde Best of the Rest. Dann holten die Franzosen Daniel Ricciardo als seinen Teamkollegen, der gewann das interne Duell nach WM-Zählern (54:37) und -Gesamtplatzierung (Neunter/14.), nach Renn- (11:8) und Qualifikationsduellen
(13:8). Und hat einen bis 2020 laufenden Vertrag. Der Nico Hülkenbergs läuft aus; dass Esteban Ocon ihn ablöst, hat sehr viel mit dessen unbestrittenem Talent zu tun. Und einiges damit, dass ein aufstrebender 23-jähriger Franzose im Gefährt eines französischen Herstellers den (mittlerweile gar nicht so wenigen) Kritikern des Renault-Formel-1-Engagements kräftig Wind aus den Segeln nimmt.
Nicht verbittert, nichts bereut
Politik? „Ich bin nicht verbittert“, tat Nico Hülkenberg in Abu Dhabi kund; von Renault-Teamchef Cyril Abiteboul hörte man nüchtern-kühl dies: „Sein Beitrag war für unseren Wiederaufbau und Fortschritt hilfreich.“
Sentimentalität hat keine PS. Nico Hülkenberg weiß das. Was Nico Hülkenberg auch weiß – und was heute noch wehtut: In Interlagos 2012, zwei Jahre nach der Pole-Position, war das Podium ganz nahe: Wieder feuchter Asphalt, Führungskilometer gar, ehe das Safety Car massiv umsortierte. Letztlich sah Nico Hülkenberg die karierte Flagge als Fünfter, nach 30 Runden auf eins, nach seinem wohl besten Formel-1-Rennen. Wer weiß, wie alles gekommen wäre, wäre da alles anders gekommen. Oder 2014: Ferrari hatte Interesse („Wir haben gesprochen“), „über geraume Zeit“war Nico Hülkenberg Anwärter auf den Platz neben Fernando Alonso. Bekommen hat ihn Kimi Räikkönen. Nico Hülkenberg bekam: eine Absage. Per SMS. Abgehakt. „Du hast Chancen, du verpasst Chancen, und dann machst du eben weiter“, sagte Nico Hülkenberg in Abu Dhabi. Aber auch: „Ich bereue nichts, ich sehe die Formel 1 nicht als unerledigtes Geschäft.“
Glücklich, wer so gehen kann.
Blick zurück, nicht im Zorn: Nico Hülkenberg (Mitte), Formel-1-Ehemaliger.