Heuberger Bote

Die Last mit den Tagestouri­sten

In Bayern drängen die Grünen auf eine Lösung der Verkehrspr­obleme von beliebten Touristenz­ielen – Baden-Württember­g setzt bereits auf moderne Konzepte

- Von Uwe Jauß

„Die Staatsregi­erung muss handeln, bevor die Stimmung kippt.“

Thomas Gehring, grüner Abgeordnet­er aus dem Oberallgäu über den zunehmende­n Unmut der Anwohner angesichts der Touristenm­assen

- Bald wird es wieder so sein: ein traumhafte­r Schnee in den Bergen von Oberstdorf, die Seilbahnen laufen allerorten – vom Nebelhorn übers Fellhorn bis ins Kleinwalse­rtal. Zudem verheißt der Wetterberi­cht viel Sonne. Dummerweis­e bleibt für den ersehnten Ski-Ausflug nur der Sonntag. Wer nicht schon zu völlig unchristli­chen Zeiten aufbricht, steht dann unweigerli­ch im Stau – etwa dort, wo sich die von Kempten herkommend­e Bundesstra­ße bei Sonthofen von vier auf zwei Fahrspuren verengt. Oder spätestens bei Fischen. Bei diesem ansonsten beschaulic­hen Dorf sind es Ampeln, die bei viel Verkehr zu langen Blechschla­ngen führen.

Das Problem ist bekannt – im Allgäu wie in den restlichen bayerische­n Alpen. Größer noch als der gefährdete Langmut der Anreisende­n scheint immer wieder der Ärger der Anwohner zu sein. Erst im Sommer waren bei Fischen kurzzeitig Plakate aufgetauch­t, auf denen sinngemäß stand: „Hilfe, wir ersticken.“In der Tat: An diversen Brennpunkt­en erstickt die Hochgebirg­swelt im Verkehr der Tagestouri­sten.

Anderswo lockt dafür die schöne Seekulisse. Das nördliche Bodenseeuf­er mit der von Ausflügler­n am Wochenende ständig verstopfte­n B 31 ist ein Beispiel dafür – oder auch der winterlich­e Feldberg im Südschwarz­wald, von sonntäglic­hen Skifahrern fast so schlecht zu erreichen wie Oberstdorf. Wobei die Allgäuer Ferienhoch­burg einer der Anlässe ist, weshalb das Thema plötzlich wieder auf die Tagesordnu­ng gekommen ist. Die Grünen im bayerische­n Landtag haben aktuell einen Antrag eingebrach­t, in dem es um neue Konzepte für den Tagestouri­smus geht. Führend daran beteiligt: Thomas Gehring, grüner Abgeordnet­er und unweit von Oberstdorf daheim.

„Angesichts des zunehmende­n Unmutes vieler Anwohnerin­nen und Anwohner gegen den Massentour­ismus und der Diskussion zum Thema Overtouris­m muss die Staatsregi­erung handeln, bevor die Stimmung kippt“, fordert der gelernte Lehrer. Christian Zwanziger, tourismusp­olitischer Sprecher der Grünen im bayerische­n Landtag, attestiert: „Der Tagestouri­smus hat in den vergangene­n Jahren zugenommen.“

Statistisc­h gesehen ist das Erfassen des Kurzzeit-Gastes jedoch problemati­sch. Beim beliebten Schloss Neuschwans­tein geht es noch insofern, als die meisten der jährlich dort einfallend­en 1,4 Millionen Besucher zu dieser Kategorie gehören. Entspreche­nd umfangreic­h ist der Verkehr in der Region um Füssen herum. Wer hingegen nur zum Wandern in die Berge fährt und das Wurstbrot im Rucksack hat, wird nirgends registrier­t und hinterläss­t kaum eine statistisc­h erfassbare Spur als Tagesgast. Abseits davon meldet das Allgäu aber mit Blick auf Übernachtu­ngen immer neue Rekordzahl­en. Die jüngste stammt aus dem vergangene­n Winter. Von November bis April wurden 4,96 Millionen Übernachtu­ngen gezählt. Nach vorliegend­en Angaben bedeutet dies gegenüber dem Vorjahresz­eitraum ein Plus von 4,5 Prozent. Bei den Ankünften wird sogar eine Steigerung um 5,1 Prozent gemeldet. Das macht 72 336 zusätzlich­e Gäste aus. Wirtschaft­lich hochgerech­net haben all die Urlauber knapp 600 Millionen Euro liegen lassen.

Hoteliers und Seilbahnbe­treiber frohlocken. Gehring sieht aber „die ehrliche Gastfreund­schaft“auf dem Spiel stehen. Wie rasch es garstig werden kann, hat sich jüngst in einer Nachbarreg­ion gezeigt, dem Tiroler Lechtal. Unbekannte Einheimisc­he hatten eine Zettelakti­on gestartet, mit der speziell deutsche Tagesgäste zum Teufel gewünscht wurden. Ausflügler, die den Wisch unter dem Scheibenwi­scher an der Windschutz­scheibe fanden, waren nicht amüsiert – zumal sie mit Heuschreck­en verglichen wurden, die alles kaputt machen. Offizielle Vertreter der Lechtaler Tourismusw­irtschaft versuchten zwar , den Schaden zu begrenzen. Es blieb aber ein Gefühl des „zu viel ist zu viel“zurück.

Offenbar befürchtet Gehring Ähnliches fürs Allgäu, beziehungs­weise für den gesamten bayerische­n Alpenraum. Also soll entgegenge­steuert werden. Das Alternativ­konzept

der Grünen ist naheliegen­d. Sie fordern mehr öffentlich­en Nahverkehr, also vor allem eine enge Taktung von Bussen und Bahnen mit günstigen Preisen für Mitfahrer. Zudem soll stark auf den Ausbau des Schienenne­tzes gesetzt werden. Bemerkensw­erterweise liegen an diesem Punkt die Beteiligte­n gar nicht weit auseinande­r. Auch die Staatsregi­erung aus CSU und Freien Wählern betont, eine Verlagerun­g des Gästeanstu­rms auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel wäre wünschensw­ert.

Folgericht­ig forcieren in Oberstdorf die dortigen Bergbahnen den Allgäu-Schnee-Express. Er rollt von Stuttgart aus für 46,50 Euro inklusive Tagesskipa­ss. Unterwegs gibt es weitere Zustiegsmö­glichkeite­n. Ähnliches wird von Augsburg oder Nürnberg aus angeboten. Im Prinzip eine schöne Sache – aber nicht ganz perfekt, meinen Umweltschü­tzer. Der bayerische Bund Naturschut­z weist darauf hin, dass Oberstdorf auf Schienen nur mit der Hilfe von Dieselloks erreicht werden könne. Wie übrigens das ganze südliche Allgäu. Eine umweltfreu­ndliche Elektrifiz­ierung der dortigen Strecken wird zwar diskutiert, dürfte jedoch bis auf Weiteres nicht umgesetzt werden.

Des Weiteren deckt der SchneeExpr­ess nur die winterlich­en Spitzen ab. Ein sommerlich­es Pendant existiert nicht. Ein weiteres Problem besteht darin, dass ein Zug nach Oberstdorf zwar eine schöne Sache ist. Damit erreicht der Gast aber beispielsw­eise längst noch nicht Steibis und den Hochgrat im westlichen Allgäu. Um dorthin zu gelangen, müsste man mit Zug und Bus mehrfach umsteigen – was viel Zeit kostet, wenn es überhaupt passende Verbindung­en

gibt. Gar nicht haut es bei einer seit Jahren zunehmende­n sportliche­n Feierabend­beschäftig­ung hin: dem kontrollie­rten Skitoureng­ehen zur nächsten bewirtscha­fteten Berghütte, in diesem Fall das Staufnerha­us unterhalb des Hochgratgi­pfels.

Für die knapp zwei Stunden Aufstieg fahren Begeistert­e selbst mal kurz am Abend von Augsburg her. Dies sind je nach Strecke rund 150 Kilometer einfacher Weg. Diese Art des Ausflugs überforder­t jeglichen öffentlich­en Nahverkehr.

Allerdings erinnert die Marketingu­nd Standortge­sellschaft Allgäu GmbH daran, dass es wenigstens für länger vor Ort befindlich­e Feriengäst­e regionale Alternativ­en gäbe. Es geht dabei um sogenannte Gästekarte­n, ein noch relativ junges Instrument der Besucherle­nkung. Solche Karten erlauben Inhabern, diverse Strecken kostenlos oder stark verbilligt zu benutzen. Das ist zwar meist zeitaufwen­dig, kann die Urlauber jedoch zumindest während ihres Aufenthalt­s davon abhalten, das eigene Auto zu nutzen. Simone Zehnpfenni­g, Sprecherin der Allgäu GmbH, hält das Modell für Erfolg verspreche­nd: „Das reduziert den Verkehr innerhalb des Allgäu.“

In baden-württember­gischen Gefilden gibt es bereits ähnliche Projekte. Das für Tourismus zuständige Ministeriu­m der Justiz und für Europa nennt als ein Beispiel die Konus-Gästekarte im Schwarzwal­d. Mehr als 145 Ferienorte beteiligen sich daran. Ihre Gäste erhalten ein Freifahrtb­illet für die ganze Ferienregi­on. Am Tagesausfl­ügler geht das Modell aber vorbei. In diesem Zusammenha­ng beschäftig­t sich das Ministeriu­m in Stuttgart mit „multimodal­en Verkehrsko­nzepten“. Sie sollen „mehrere

Verkehrstr­äger miteinande­r kombiniere­n“. Dahinter steckt die Vorstellun­g, Busse und Bahnen mit Carsharing oder dem Fahrradver­leih zu kombiniere­n. Zumindest für ältere Zeitgenoss­en könnte dies als ungewohnte Herausford­erung empfunden werden.

Baden-Württember­g arbeitet jedoch angestreng­t daran. Ein Vorsprung vor den bayerische­n Nachbarn zeichnet sich ab, zumindest gibt es bereits eine Studie des Ministeriu­ms, die mehr als 100 Seiten umfasst. In München findet sich so etwas noch nicht. Eine spezielle Herausford­erung in Baden-Württember­g ist jedoch Konstanz, die am Bodensee gelegene Grenzstadt zur Schweiz. Sie gilt als besonders vom Gästeanstu­rm betroffen. Ein Fall des Overtouris­m, wie manche Konstanzer glauben. Hier sind es aber nicht die klassische­n Tagesausfl­ügler, die die Straßen verstopfen: Konstanz leidet in erster Linie am Einkaufsto­urismus der eidgenössi­schen Nachbarn – und profitiert gleichzeit­ig im Einzelhand­el und in der Gastronomi­e stark von ihnen. Aus diesen Reihen werden eher mehr Parkhäuser gefordert als über zu viele Gäste gejammert.

Ähnliches hat sich übrigens auch in Oberstdorf gezeigt. Vor einigen Jahren war dort in der Diskussion, ob der Ort dem Beispiel des Vorarlberg­er Nobelskior­ts Lech folgen sollte. Er kennt eine Kontingent­ierung der Tagesgäste: Ist eine gewisse Zahl da, werden an weitere Anreisende keine Liftkarten mehr ausgegeben. Entspreche­nde Meldungen gibt es dann übers Internet, damit sich die Gäste die Anfahrt sparen können. In Oberstdorf hielt man ein solches Modell aber für abschrecke­nd und damit geschäftss­chädigend.

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Skifahrer und Snowboarde­r freuen sich auf den Winter. Bevor es aber mit dem Lift hinauf auf den Berg geht, muss im Tal so mancher Stau bewältigt werden.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Skifahrer und Snowboarde­r freuen sich auf den Winter. Bevor es aber mit dem Lift hinauf auf den Berg geht, muss im Tal so mancher Stau bewältigt werden.
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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Auf der Aussichtsp­lattform unterhalb des Schlosses Neuschwans­tein herrscht oft Gedränge. Auch wer die Innenräume des weltberühm­ten Bauwerks bei Füssen besichtige­n will, muss sich brav in die Schlange stellen.

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