Volle Verantwortung für die Täter
Kommission legt Kriterien zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch vor
- Private, öffentliche oder nichtstaatliche Einrichtungen sollen verbindliche Kriterien an die Hand bekommen, um sexuellen Kindesmissbrauch aufzuarbeiten. Zu diesem Zweck hat die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs nun Empfehlungen veröffentlicht. Die Expertenkommission wurde 2016 von der Bundesregierung eingesetzt. Immer stärker war der Handlungsdruck der Öffentlichkeit auf die Politik geworden. Opfer, denen sexuelle Gewalt in Kirchen, Sportvereinen oder Internaten angetan wurde, meldeten und melden sich verstärkt zu Wort. Trotzdem bleiben viele Gewalttaten im Dunkeln.
Laut offizieller polizeilicher Kriminalstatistik erlebten im vergangenen Jahr fast 15 000 Kinder sexuelle Gewalt. Seit 2016 haben sich rund 1500 Betroffene von sexuellem Missbrauch in Familien und Institutionen der Kommission anvertraut.
Bislang sehen sich missbrauchte Kinder und deren Eltern in Vereinen, staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen häufig mit Leitungen und Mitarbeitern konfrontiert, die angesichts sexueller Gewalt an Kindern überfordert sind. „Institutionen, die Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch aufarbeiten wollen, wissen oft nicht, wie sie vorgehen sollen“sagt die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen. „Auch für heute erwachsene Betroffene, die Aufarbeitung einfordern und von Widerständen in Institutionen berichten, ist es wichtig, dass sie auf klare Kriterien zurückgreifen können.“
Wichtig sei die „Identifizierung und Benennung der verantwortlichen Personen innerhalb und außerhalb der Institution“. Die Benennung der Täter sei „Voraussetzung für eine umfassende Verantwortungsübernahme durch die Institution.“Es dürfe nach Missbrauchsfällen kein Zweifel daran aufkommen, „dass die volle Verantwortung für die Gewalttaten bei den erwachsenen Personen liegt und dass es keinerlei ‚Mitschuld‘ der betroffenen Kinder und Jugendlichen gab und gibt.“
In dem nun vorliegenden 50-seitigen Papier geht es einerseits um die Pflichten der Institutionen in Aufarbeitungsprozessen, andererseits um die Rechte von Betroffenen. Wichtig sei aber auch die Prävention. Der Leitfaden dient nach Ansicht des Kommissionsmitgliedes Matthias Katsch dazu, dass Vereine und Einrichtungen die Möglichkeit von Missbrauch im Blick behalten. „Auch wenn ich noch nicht die Presse im Nacken habe, weil ein konkreter Verdachtsfall im Raum steht, sondern einfach aus dem Wissen, dass Missbrauch in Institutionen vorkommt und ich deswegen vorbereitet sein sollte“, sagte Katsch.
Die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen ist davon überzeugt, dass die Institutionen mit den Empfehlungen eine wichtige Handreichung haben und sich nicht mehr hinter Unwissen verstecken können.