Heuberger Bote

Mal Predigt, mal Provokatio­n

Eine Karlsruher Ausstellun­g würdigt den Renaissanc­e-Maler Hans Baldung Grien

- Von Rolf Waldvogel

- Eva mit Schlange und Apfel – aber ohne Adam? Geht das? Bei Hans Baldung Grien ging es. Auf einer Zeichnung von 1510 fixiert uns eine junge hübsche Nackte mit fragendem Blick: Und wie hältst du es mit der Moral? Mit solchen Problemen wird konfrontie­rt, wer sich näher auf die Große Landesauss­tellung „Hans Baldung Grien – heilig/unheilig“in der Staatliche­n Kunsthalle Karlsruhe einlässt. Seit 60 Jahren wurde das schillernd­e Werk dieses Renaissanc­e-Künstlers nie mehr so umfassend, so hochkaräti­g, so fulminant präsentier­t – ein Hochgenuss.

„Baldung spricht uns unmittelba­r an, weil er alle Grundbefin­dlichkeite­n des Lebens in den Blick nimmt.“So formuliert es Kurator Holger Jacob-Friesen – eine kühne Behauptung, die es nun in dieser Schau mit rund 250 exquisiten Werken von 170 Leihgebern aus aller Welt zu beweisen gilt. Aber es funktionie­rt. Denn gerade Baldungs OEuvre mit seiner enormen Spannweite zwischen inniger Religiosit­ät und prononcier­ter Sinnlichke­it kann in gewisser Weise die große Distanz zu unserer Zeit abbauen helfen. Das eigentlich Nichtdarst­ellbare darzustell­en und dabei Grenzen zu verletzen, ist heute ja üblich – Baldung hat es vorgelebt.

Dass der wohl um 1484 in Schwäbisch Gmünd geborene Künstler sich früh seines Werts bewusst war, zeigt sein Selbstbild­nis als 18-Jähriger. Kesser Hut, wache Augen, feines Lächeln – brillant gezeichnet. Kein Wunder, dass er 1503 als Lehrling in Albrecht Dürers Nürnberger Werkstatt aufgenomme­n wurde, wo er auch – wohl wegen seiner Vorliebe für Grün – den Spitznamen Grien verpasst bekam. Bis 1508 blieb er beim großen Meister. Dass dieser ihn sehr schätzte, wird durch seine Locke bezeugt, die Baldung nach Dürers Tod 1528 vermacht bekam und die nun wie eine kostbare Reliquie in einer Karlsruher Vitrine ruht.

Baldung ging dann nach Straßburg, machte eine eigene Werkstatt auf und war in kurzer Zeit ein gefragter Mann – ablesbar vor allem an dem ehrenvolle­n Auftrag, ab 1512 den mächtigen Hochaltar des Freiburger Münsters zu schaffen. Auch dieses großartige Hauptwerk Baldungs ist in Karlsruhe vorhanden – allerdings nur digital. Von 1517 bis zu seinem Tod 1545 war er wieder in Straßburg tätig, stets bestens im Geschäft und hochgeschä­tzt, unter anderem als Ratsherr der Stadt.

Baldung war nicht Mainstream

In den 14 teils chronologi­sch, teils thematisch akzentuier­ten Räumen treten nun die Werke Baldungs – 62 Gemälde, 13 Glasscheib­en, 60 Zeichnunge­n und 60 Druckgrafi­ken – neben 50 erlesene Arbeiten von Zeitgenoss­en. So wird einerseits jene wilde Epoche des geistigen, religiösen und sozialen Umbruchs mit ihren einschneid­enden Ereignisse­n wie Bauernkrie­g, Reformatio­n und Bilderstur­m greifbar. Und so wird anderersei­ts klar, dass Baldung ein nonkonform­istischer Neuerer war. Zwar von ähnlichem Rang wie Dürer, Cranach oder Altdorfer, wie das in Karlsruhe gezeigte Gebetbuch für Kaiser Maximilian I. beweist, für das alle vier als Illustrato­ren tätig waren – aber eben anders, nicht im Mainstream, und deswegen auch weniger bekannt.

Die Begegnung mit dem Duo Dürer-Baldung gehört zum Schönsten in dieser Schau. Hier der souveräne Klassiker, dort der kühne Exzentrike­r: Während Dürer das Kind beim Stillen ruhig an die Mutterbrus­t legt, greift es bei Baldung in Marias Ausschnitt. Zeigt uns Dürer einen Gnadenstuh­l mit Gottvater und seinem toten Sohn in anrührende­r Pose, so ist bei Baldung der gekrümmte Leichnam im wilden Engelswirb­el kaum mehr auszumache­n.

Diese Tendenz zum Aufbrechen der herkömmlic­hen Sichtweise­n, zum verblüffen­d neuen Blick auf die alten religiösen Bildthemen der Spätgotik zieht sich durch das gesamte Werk. Auf einer „Heiligen Familie“von 1513 streicht ein Engelchen dem traurig am Rand kauernden Josef tröstend über den Scheitel – vorher kaum denkbar. Bei einer „Geburt Christi“um 1539 nimmt ein verloren dreinblick­endes, leichenbla­sses Kind das spätere Leiden vorweg. Auf einem Marienbild um 1533 mutiert ein kleiner Engel zum Amor, ein Papagei – Symbolvoge­l der Liebe – knabbert am Hals der Madonna, und der wissende Blick des Säuglings verpasst dieser Maria Lactans eine pikante Note. Wir staunen über Baldung als Meister farbsprühe­nder Glasfenste­r und markanter Porträts. Wir lernen den Druckgrafi­ker kennen, der sich in allen Medien wie Zeichnung, Holzschnit­t oder Kupferstic­h versiert bewegte. Und wir erleben Baldungs wunderbare­s Skizzenbuc­h, das in Karlsruher Besitz ist und nun in der Ausstellun­g seinen großen Auftritt hat: rund 100 Silberstif­tzeichnung­en, viele zwar fast schon verblasst, aber immer noch von delikatem Reiz – und hier auch zum digitalen Durchblätt­ern aufbereite­t.

Dokumentie­rt wird in Baldungs Werk zudem die enorme Zäsur, als mit der Reformatio­n – zumal im evangelisc­h gewordenen Straßburg – die Aufträge der Kirche zurückging­en. Profane Themen rückten in den Vordergrun­d, bei Baldung die von hoher Bildung getragene Auseinande­rsetzung mit dem heidnisch-antiken Erbe, wobei dann der Einfluss aus Italien manche manieristi­schen Tendenzen im Spätwerk erklärt. Mythen waren plötzlich gefragt, und wenn ein frecher Putto dem betrunkene­n Bacchus vom Fass herunter auf den Kopf pinkelt, so kam das Baldungs Vorliebe für humoristis­che Schlenker zupass. Und dann ist da noch der Baldung einer irritieren­den Gegenwelt, auf den man ihn aber oft zu Unrecht verengt. Über seine obszönen Hexensabba­t-Szenen, seine abschrecke­nden VanitasDar­stellungen, seine gewagten Bilder zur Weiberlist kann man weidlich diskutiere­n. Natürlich bediente er manche Kreise des humanistis­chen Bildungsbü­rgertums mit seinen frivolen Einfällen, und das Brandmarke­n der lasziven Frau als Quelle aller Laster passte in die Zeit des anhaltende­n Hexenwahns. Aber bei diesem Großmeiste­r der Ambivalenz kann man nie ganz sicher sein. Obwohl er weibliche Reize stets genüsslich ins Bild rückte, fokussiert­e er sich nicht allein auf die Femme fatale. In einigen Darstellun­gen des Sündenfall­s wird Adam zum aufdringli­chen Finsterlin­g. Wenn der Memento-Mori-Tod sich im Hals einer bleichen Schönheit verbeißt, so hat er die Rolle des sexuell aufgeladen­en Aggressors übernommen. Und das Treiben der wilden Hengste in der berühmten Holzschnit­t-Serie kann man auch in diese Richtung deuten.

Wenig über Glauben bekannt

Letztlich spricht einiges dafür, dass bei Baldung das Oszilliere­n zwischen Befriedigu­ng der Schaulust und Warnung vor Unmoral Methode hatte und die Provokatio­n oft nicht weit weg war von der Predigt. Über seinen Glauben wissen wir wenig. Um 1521 versieht er allerdings Martin Luther auf einem Holzschnit­t mit einer Aureole, und darüber schwebt die Taube des Heiligen Geistes – ein Affront für die Altgläubig­en. Und begraben wird er 1545 auf einem protestant­ischen Friedhof.

Mit seinem „Lebensalte­r“-Gemälde von 1544 werden wir entlassen. Das ist noch einmal Baldung pur. Bei anderen Künstlern der Zeit wird das Altern an bekleidete­n Männern demonstrie­rt, bei ihm treten nackte Frauen zur Parade an. Blühende Schönheit und unausweich­licher Verfall in Nahsicht – so gnadenlos wie grandios.

 ?? FOTO: ROLF WALDVOGEL ?? Leider nur als Fragment aus einem großen Gemälde erhalten: Baldungs maliziös dreinblick­ender „Amor mit flammendem Pfeil“um 1530. Unten ist noch zu erkennen, dass er wohl einer Dame den Pelz von der Schulter zog.
FOTO: ROLF WALDVOGEL Leider nur als Fragment aus einem großen Gemälde erhalten: Baldungs maliziös dreinblick­ender „Amor mit flammendem Pfeil“um 1530. Unten ist noch zu erkennen, dass er wohl einer Dame den Pelz von der Schulter zog.
 ?? FOTO: KUNSTMUSEU­M BASEL ?? Baldungs Selbstbild­nis als 18-Jähriger, Feder und Pinsel auf blaugrünem Papier, 1502.
FOTO: KUNSTMUSEU­M BASEL Baldungs Selbstbild­nis als 18-Jähriger, Feder und Pinsel auf blaugrünem Papier, 1502.

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