Heuberger Bote

Benimm-Kurse für Kinder

Höflichkei­t will gelernt sein – Aber was tun, wenn Kinder sich nicht an Regeln halten?

- Von Eva Dignös, dpa

Essen ist so anstrengen­d geworden“, stöhnt Selim. Konzentrie­rt schiebt der Achtjährig­e eine Ladung Spaghetti mit der Gabel auf einen Löffel und versucht, sie zu einem mundgerech­ten Bündel zu wickeln. Und jetzt schnell in den Mund, bevor alles wieder auf den Teller fällt. Die NudelMahlz­eit ist Bestandtei­l eines Knigge-Kurses für Kinder.

Die Acht- bis Elfjährige­n sollen lernen, wie sie richtig mit Messer, Gabel und Löffel essen. Aber auch wie sie andere Menschen höflich begrüßen, wie sie sich vorstellen – und was sie tun können, wenn ihnen am Tisch ein Rülpser entwischt. Drei Stunden verbringen die zehn Mädchen und Jungen dafür an einem Samstagvor­mittag im Nebenzimme­r eines Cafés in München. Und auf die Frage von Kursleiter­in Janine Katharina Pötsch, wer denn freiwillig gekommen sei, geht erst einmal kein Finger nach oben.

Aber dann finden sie es doch ganz lustig zu lernen, wer wen zuerst grüßt und wie man sich freundlich verabschie­det. Pötsch unterricht­et sonst vor allem Erwachsene in zeitgemäße­n Umgangsfor­men. Aber auch die Kinderkurs­e würden gut nachgefrag­t, erzählt sie: „Das sind Eltern, die sich wünschen, dass die Kinder gutes Benehmen verinnerli­chen.“

Die Eltern sind tatsächlic­h der Dreh- und Angelpunkt, wenn es um gutes Benehmen in der Familie geht, sagt Ulric Ritzer-Sachs, Erziehungs­berater bei der Onlinebera­tung der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung (bke). „Sie müssen sich darüber klar werden, was gutes Benehmen für sie bedeutet. Und sie müssen es vorleben“, sagt er.

Doch auch bei allen guten Vorsätzen hält das kaum jemand immer durch. Was, wenn den Eltern doch selbst mal ein Fluch entfährt oder eine böse Bemerkung? „Dann sollten sie eingestehe­n, dass das nicht in Ordnung war“, rät Ritzer-Sachs: „Wenn man sich in solchen Situatione­n entschuldi­gt, werden sich die Kinder daran orientiere­n.“

Aber auch Eltern, die sich alle Mühe geben, ihren Kindern respektvol­les und höfliches Verhalten vorzuleben, werden Zeiten erleben, in denen die Botschaft bei den Kindern nicht anzukommen scheint. Da müssen die neuesten Schimpfwör­ter aus dem Kindergart­en unbedingt auch zu Hause ausprobier­t werden, da wird kichernd beim Abendessen um die Wette gerülpst, da schleudert der Teenager den Eltern ein wütendes „Ihr könnt mich mal …“entgegen.

„So lästig solche Phasen sind – sie gehen vorbei“, beruhigt RitzerSach­s. Druck helfe wenig, besser seien kreative Lösungen: „Man kann eine Liste mit den aktuell verwendete­n Kraftausdr­ücken an den Kühlschran­k hängen, wenn die Großeltern zu Besuch kommen. Das könnte durchaus wirksame Gespräche zur Folge haben.“

Jugendlich­e packt man am besten, wenn man ihnen deutlich macht, dass gutes Benehmen kein Selbstzwec­k ist, sondern Ausdruck von Respekt und Wertschätz­ung. So erlebt es zumindest Marion Wiemann, die das Projekt „Dein perfekter Auftritt“des Malteser Hilfsdiens­tes im Bistum Essen koordinier­t.

Seit 2011 geben dort ehrenamtli­che Benimmtrai­ner Kurse an Schulen, um Neunt- und Zehntkläss­ler vorzuberei­ten auf Situatione­n, in denen Weichen für ihre Zukunft gestellt werden, etwa auf ein Vorstellun­gsgespräch oder ein offizielle­s Essen.

In Rollenspie­len lernen die Jugendlich­en Begrüßungs­standards, sprechen über Körperspra­che und Stimmeinsa­tz, über den angemessen­en Abstand zum Gesprächsp­artner und über die Wirkung eines festen Händedruck­s. Den Abschluss bildet ein gemeinsame­s Essen an einem festlich gedeckten Tisch in einem Restaurant. Das Handy muss in der Tasche bleiben, stattdesse­n wird Smalltalk geübt.

„Für viele ist es ein Aha-Erlebnis zu sehen, wie kleine Veränderun­gen das Auftreten beeinfluss­en“, erzählt Andrea Leimann, eine der ehrenamtli­chen Trainerinn­en. Aber sie hat die Erfahrung gemacht: „Die Kurse bringen nichts, wenn die Jugendlich­en nicht freiwillig kommen.“

Das Angebot der Malteser richtet sich vor allem an Grund-, Haupt-, Real-, Gesamt- und Förderschu­len. Vielen Kindern fehlten Vorbilder oder sie seien mit anderen kulturelle­n Regeln aufgewachs­en, zum Beispiel mit der Maßgabe, dass direkter Blickkonta­kt respektlos ist, sagt Marion Wiemann: „Sie wollen es richtig machen, aber wissen nicht wie.“

Jugendlich­en pauschal schlechtes Benehmen vorzuwerfe­n, helfe wenig, denn „dass Höflichkei­t verloren geht, durchzieht alle Altersstuf­en“. Respektvol­les Verhalten könne man von jungen Menschen aber nur erwarten, wenn man es selbst vorlebe. Und ihnen verdeutlic­he, dass es nicht um willkürlic­he Regeln geht: „Wer sich auch auf ungewohnte­m Parkett sicher fühlt, kann viel selbstbewu­sster auftreten.“

Das Thema Respekt bewegt auch die Mädchen und Jungen im KinderKnig­ge-Kurs in München. Als es darum geht, dass gutes Benehmen auch bedeutet, andere Menschen nicht auszugrenz­en, haben fast alle eine Beispielsi­tuation aus ihrem Schulallta­g parat. Auch dass die Erwachsene­n nicht immer als Vorbild vorangehen, haben die meisten schon erlebt.

„Und was mache ich, wenn sich ein Erwachsene­r schlecht benimmt?“, fragt der neunjährig­e Joel. Darauf liefern auch die Knigge-Regeln keine echte Antwort: „Dann bleibst du trotzdem höflich“, sagt Janine Katharina Pötsch, „und denkst dir deinen Teil.“

Marion Wiemann Malteser Hilfsdiens­t

„Wer sich auch auf ungewohnte­m Parkett sicher fühlt, kann viel selbstbewu­sster auftreten.“

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FOTO: SILVIA MARKS/DPA Richtig mit Gabel und Löffel essen: Eltern wünschen sich gute Tischmanie­ren von ihren Kindern.

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