EU-MDR: Firmen bekommen mehr Zeit
Zertifizierung einfacher chirurgischer Instrumente muss erst 2024 nach EU-Recht erfolgen
- Gute Nachrichten für die Medizintechnik-Unternehmen: Der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Union hat entschieden, dass chirurgische Produkte der neuen Klasse 1R bis Mai 2024 ohne die Zertifizierung nach der EU-Medizinprodukteverordnung (EU-MDR) verkauft werden dürfen. Damit erhalten die Firmen einen Aufschub von zwei Jahren. Offiziell ist die Regelung aber noch nicht.
Im Rahmen der EU-MDR war mit der Klasse 1R eine neue ProduktGruppe geschaffen worden. In diese gehören chirrugische Standard-Instrumente wie Scheren, Skalpelle oder Pinzetten. Um ihre Produkte weiter in Europa verkaufen zu dürfen, hätten sich die Firmen bis Mai 2020 neu zertifizieren müssen. Davon hat die EU nun Abstand genommen. „Das ist eine Riesen-Entlastung“, freut sich Julia Steckeler, Geschäftsführerin von Medical Mountains, einer Clusterinitiative für Medizintechnik.
Aus ihrer Sicht habe die EU eingesehen, dass ihr beim Schreiben der EU-MDR ein Fehler unterlaufen sei. „Mit der 1R hat man eine neue Klasse geschaffen, aber keine Übergangsregelung“, sagt sie. Im Gegensatz zur Klasse 1R durften andere Medizin-Produkte ohnehin bis Mai 2024 auf dem Markt bleiben.
Die knappe Frist hatte in den vergangenen Jahren einen Aufschrei aus der Medizintechnik-Branche ausgelöst, die im Landkreis Tuttlingen mit mehr als 450 Firmen stark vertreten ist. Weil es auch nicht genügend Benannte Stellen gibt, die die Zertifizierung übernehmen können, hatten Kliniken einen Versorgungsengpass an einfachen chirurgischen Instrumenten befürchtet. Dies, mutmaßt Steckeler, habe das europäische Parlament nun zum Einlenken bewegt. Verbände, wie Medical Mountains, die sehr frühzeitig auf die Probleme hingewiesen hätten, wären lange nicht ernst genommen worden, sagt sie.
Durch die Änderung für die Klasse 1R sind die übrigen Regelungen der Medizinprodukteverordnung aber nicht vom Tisch. „Die EU-MDR wird ab Mai 2020 wirksam“, sagt Steckeler. Die Firmen sind angehalten, nach dem Verkauf ihrer Produkte mit anderen Akteuren aus dem Medizinsektor, wie Ärzten, Kliniken oder Handelspartnern, in Kontakt zu treten, um sicherzustellen, dass es keine Probleme gibt. Diese und weitere Pflichten würden auch von den Behörden überwacht.
Die Änderung bei der Klasse 1R sei als Übergangsregelung und Duldung zu verstehen. „Die Regelung entlastet Firmen, die auf die EUMDR vorbereitet waren, aber keinen Termin bei einer Benannten Stelle bekommen haben. Jetzt haben sie die Sicherheit, erst einmal weiter verkaufen zu dürfen. Sie müssen aber ihre Hausaufgaben machen“, sagt Steckeler. Firmen sollten den Aufschub keinesfalls leichtfertig annehmen, rät Medical Mountains. Man müsse bei den Benannten Stellen eine Bearbeitungszeit von neun bis zwölf Monaten einplanen.
„Durch die beschlossene Fristverlängerung für Niedrigrisikoprodukte ist eine seriöse Neuzertifizierung für die Hersteller möglich“, sagt der für Tuttlingen zuständige
Europa-Abgeordnete Andreas Schwab (CDU), der nach eigener Aussage schon im Oktober 2018 die EU-Kommission zu diesem Schritt aufgefordert habe. Die Verlängerung der Frist sei man auch den Patienten schuldig gewesen. Im Kern würde die Umsetzung der MDR der Patientenversorgung dienen, meint er.
Für viele Medizintechnik-Unternehmen ändert sich nicht viel. „Der Aufwand ist gerade für kleine und mittlere Firmen weiter schwer zu tragen“, sagt Steckeler, die immer noch die Gefahr sieht, dass viele Unternehmen die Zulassung nach der EU-Verordnung nicht stemmen können. Die Firmen hätten Zeit gewonnen. Damit würde sich die Investition in die neue Zertifizierung aber nur verzögern, sagt Steckeler.
„Die Entscheidung kommt spät, aber gerade noch rechtzeitig“, meint sie. Dass die Firmen bis Mai 2024 Planungssicherheit haben, ist aber noch nicht endgültig sicher. Dies ist erst der Fall, wenn die Korrektur im EU-Parlament gelesen und im EU-Amtsblatt verkündet worden ist.