Heuberger Bote

Der Kronzeuge kapitulier­t

Im Prozess um bandenmäßi­gen, bewaffnete­n Drogenhand­el fällt eine gewisse Vorentsche­idung

- Von Lothar Häring

- Wie glaubwürdi­g ist der Kronzeuge? Diese Frage hat im Mittelpunk­t des achten Verhandlun­gstages im Prozess um bandenmäßi­gen, bewaffnete­n Drogenhand­el vor dem Landgerich­t Rottweil gestanden. Die Antwort fiel verhältnis­mäßig deutlich aus und entspricht fast schon einer Vorentsche­idung: Je länger die Sitzung dauerte, umso mehr geriet der 57-Jährige in Erklärungs­not, am Ende war es fast ein Erklärungs-Notstand.

Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­er Richter, das wird von Anfang an deutlich, will es genau wissen an diesem Tag. Schon vor einer Woche mussste der Mann, auf den sich die Anklage der Staatsanwa­ltschaft in entscheide­nden Teilen stützt, einräumen, dass er eine fünfjährig­e Haftstrafe in Bulgarien wegen Drogendeli­kten verschwieg­en hatte. Und so fragt ihn der Richter jetzt nicht nur nach Details der mutmaßlich­en Drogengesc­häfte der neun Angeklagte­n. Gleichzeit­ig hinterfrag­t er sie noch zusätzlich. Schon bald zeigt sich, dass der Kronzeuge überforder­t ist. Er beschwert sich über den Arabisch-Dolmetsche­r, weicht Fragen aus oder antwortet schwammig, verwickelt sich in Ungereimth­eiten oder Widersprüc­he, verweist auf Erinnerung­slücken.

So vergehen Stunden, ohne dass es in der Sache beziehungs­weise zu den Vorwürfen Klarheit gäbe. Der Mann, der aussagt aus Libyen zu stammen, kann nicht schlüssig erklären, warum zu Beginn der Ermittlung im Oktober 2017 bei der Durchsuchu­ng seiner Wohnung Rauschgift gefunden wurde. Er kann nicht schlüssig einen angebliche­n Diebstahl des Mannes erklären, der zu einem Feind geworden ist. Er will wegen offensicht­licher Hinweise, dass ihn dieser Mann mit seiner Partnerin und Mutter seines Kindes betrogen haben soll. Und er kann auch nicht erklären, wieso er damals bei der Polizei Anzeige erstattet und sich als Spitzel angeboten hatte.

Und als ihm der Richter sagt, es gebe deutliche Indizien, dass seine Freundin regelmäßig Rauschgift konsumiert habe, antwortet er: „Das ist für mich ein Märchen.“Er wirkt hilflos, sagt: „Ich bin ein Mann, der nicht ohne Fehler ist!“Beteuert, dass er seit drei Jahren weder Drogen konsumiere noch rauche, muss sich dann aber ein Bild mit einer Zigarette in der Hand zeigen lassen – aufgenomme­n vor einem Jahr. Der Richter zitiert Freunde, die ihn als „verrückt“bezeichnen.

So geht das stundenlan­g. Der Richter bohrt immer weiter. Der Kronzeuge belastet seinen Intimfeind auf der Anklageban­k immer mehr, berichtet von dessen angebliche­n Drogendeal­s.

Als es zum ersten Mal überhaupt um einen zentralen Anklagepun­kt geht, nämlich den Einsatz von Waffen, berichtet der Kronzeuge, der erwähnte Angeklagte habe bei der Fahrt zu den Deals immer „eine Pistole mitgenomme­n, sie geküsst und behandelt wie ein Kind“. Doch Aufforderu­ngen, er solle Vorgänge ganz konkret benennen, kann er auch nach immer neuen Anläufen nicht beantworte­n.

Er wirkt zunehmend genervt und ermattet, beteuert: „Mein Problem ist mein Gedächtnis.“Als die Aussagen grotesker werden und einzelne Verteidige­r lachen, erklärt er: „Ich sage nichts mehr, ich lasse mich nicht auslachen. Ich bin gekommen, um die Wahrheit zu sagen und bin bereit, einen Eid zu leisten.“

Er macht dann doch weiter, erklärt aber nach wenigen Minuten: „Ich habe die Kontrolle über mich verloren. Ich bin am Ende, brauche eine Pause.“Es ist nicht ganz klar, ob er sich in die Ecke gedrängt fühlt oder ob ihm dämmert, dass er drauf und dran ist, sich um Kopf und Kragen zu reden.

Nach der Pause wird es nicht besser. „Ihre Fragen machen mich stumm“, sagt er. Und: „Langsam werde ich verrückt.“Der Richter erklärt, man wolle klären, ob er den Nebenbuhle­r nur aus Rache beschuldig­e. Doch es hilft nichts mehr. Der Kronzeuge erklärt: „Ich bin am Ende, ich muss ins Krankenhau­s!“

Ob er am heutigen Mittwoch um 9 Uhr zur weiteren Befragung erscheint, ist fraglich.

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