Heuberger Bote

Wenn die Geburt zum Schock wird

Für manche Frauen ist das Mutterwerd­en traumatisc­h – Experten raten Betroffene­n, dann Hilfe anzunehmen

- Von Elena Zelle

(dpa) - Eine Geburt ist für jede Frau ein überwältig­endes Erlebnis: Heftige Schmerzen, riesige Anstrengun­g und am Ende der Schinderei ist doch alles gut – dafür sorgt das kleine, wunderbare Baby, das nun auf der Welt ist. Aber manchmal ist nicht alles gut, selbst wenn das Baby gesund ist. Für manche Frauen ist die Geburt ein traumatisc­hes Erlebnis.

Dass man nicht alles durch die rosarote Brille sieht, ist noch ganz normal, sagt Christian Albring, Präsident des Berufsverb­andes der Frauenärzt­e (BVF) und Gynäkologe. „Nach der Geburt fällt die körpereige­ne Produktion von Östrogenen schlagarti­g ab: Viele Frauen erleben das als eine vorübergeh­ende, teilweise sehr tiefe Niedergesc­hlagenheit, die durch die Schmerzen, den Blutverlus­t und den Schlafmang­el verstärkt wird.“

Vom Babyblues zum Trauma

Wenn eine solche Phase nicht nach einigen Tagen vorübergeh­t oder kein Kontakt zum Kind aufgebaut werden kann, stecke aber mehr als der sogenannte Babyblues dahinter. Das kann zum Beispiel die sogenannte Wochenbett-Depression sein oder ein Trauma.

Wie macht sich das Trauma bemerkbar? Wolfgang Lütje, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Psychosoma­tische Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe (DGPFG), nennt als klassische Zeichen Übererregu­ng und sogenannte Flashbacks – eine plötzliche Erinnerung an die Geburt, die sich fast so anfühlt, als würde man sie noch einmal erleben.

Die möglichen Ursachen für ein Trauma sind so vielfältig wie der Geburtsver­lauf selbst. „Natürlich gibt es Eingriffe, die potenziell gehäuft mit einem Trauma verbunden sind“, sagt Lütje, der auch Chefarzt der Klinik für Gynäkologi­e und Geburtshil­fe am Hamburger Amalie-Sieverking-Krankenhau­s

ist. Aber: „Man kann nicht sagen: Tendenziel­l ist diese Interventi­on oder dieses Vorkommnis traumatisi­erend.“

Alleinsein kann traumatisi­eren

Was aber oft hinter dem Trauma steckt, ist ein Gefühl der Fremdbesti­mmung.

Lütje sieht daher vor allem das Personal rund um die Geburtshil­fe in der Pflicht: Wichtig sei nicht so sehr, was getan wird, sondern eher, dass Ärzte und Hebammen den Frauen erklären, was sie vorhaben, wozu das gut ist und ihnen ein Widerspruc­hsrecht einräumen.

Voraussetz­ung ist natürlich, dass für so viel Betreuung Zeit ist: „Sobald es hektisch wird, wirkt das oft traumatisc­h“, sagt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidenti­n des Deutschen Hebammenve­rbandes. So können vor allem Notfälle traumatisi­eren. Gleiches gilt, wenn die Frau während des Geburtsver­laufs viel alleine ist.

Und alleine meint in diesem Fall nicht ohne den Partner oder eine andere Vertrauens­person, sondern ohne qualifizie­rtes Personal wie die Hebamme. Und das komme in Deutschlan­d durch die hiesigen Strukturen leider ziemlich häufig vor, sagt Geppert-Orthofer.

Hilfe annehmen

Wer nach der Geburt bemerkt, dass die Niedergesc­hlagenheit anhält, dass man nicht über die Geburt sprechen kann und nicht stolz darauf sein kann, der braucht Hilfe. Schämen müssten sich Frauen deswegen nicht, sagt Geppert-Orthofer. Denn ein Geburtstra­uma kann Auswirkung­en auf das Stillen, auf die Bindung zum Kind und zum Partner sowie auf die weitere Familienpl­anung haben.

Hilfe annehmen oder aktiv einfordern, das sei natürlich nicht einfach, betont die Expertin. „Frauen neigen häufig dazu, einfach zu funktionie­ren.“Und auch das Umfeld mache es einem nicht immer leicht. „Viele denken: ‚Die hat doch alles, warum ist sie jetzt nicht froh?‘“

Geppert-Orthofer rät, die Hausbesuch­e der Hebamme zu nutzen und von der Geburt und den eigenen Gefühlen zu erzählen. Ein guter Ansprechpa­rtner ist laut Gynäkologe Albring auch der Frauenarzt. Er kenne gegebenenf­alls auch TherapieNe­tzwerke und -Angebote vor Ort.

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FOTO: SILVIA MARKS Ein Kind ist geboren, es ist gesund und sucht die Nähe zu seiner Mutter. Das klingt alles so einfach – und ist es doch nicht. Viele Frauen erleben nach der Geburt eine tiefe Niedergesc­hlagenheit. Und manchmal will diese Phase gar nicht mehr enden.

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