„Mensch, die können ja Eishockey spielen“
Der Weg vom Talent zum gestandenen Profi in Deutschland ist immer noch lang, befinden Experten in Ravensburg
- Das Plädoyer René Rudorischs begleitete Simon Sezemsky mit einem Nicken in eigener Sache. René Rudorisch ist Geschäftsführer der Deutschen Eishockey-Liga 2, leistet sich einen klaren Blick über den Tellerrand hinaus – und schaut genau hin in diesen Tagen. Seine Beobachtung: „Wenn man den Jungs ’ne Chance gibt, wenn die Aufgaben kriegen, wundern sich alle: ,Mensch, die können ja Eishockey spielen!‘“Verteidiger Sezemsky, in Füssen an Scheibe und Schläger ausgebildet, bei Ravensburgs Towerstars früh Stammkraft, heuer im Dress der Augsburger Panther punktbester Defensiver der DEL (neun Tore, zwölf Vorlagen aus 23 Spielen), hat genau das erlebt. In der Oberliga erst, in der DEL2, jetzt in Augsburg. Nominell ist der 26-Jährige seit 2016/17 Panther; konstant viel Eiszeit, zumal in Verantwortung (sprich: Überzahl), bekam er dann vergangene Saison. Die Folge: elf Nationalmannschaftseinsätze, fast (spiel)täglich beste Arbeitszeugnisse.
Kurz: Simon Sezemsky steht für das Ziel. Der Weg? Zu idealerweise vielen Sezemskys? Ist trotz richtiger, wichtiger Schritte, trotz Aufbruchstimmung noch lang. Das war die Quintessenz einer Podiumsdiskussion, mit der DEL2-Meister Ravensburg Towerstars ein Sponsoren-Event am Montagabend würzte. „Eishockey in Deutschland – Stellenwert und Nachwuchsarbeit“war der Gedankenaustausch überschrieben, dem sich, moderiert von Sascha Bandermann (Sport1 und MagentaSport), neben René Rudorisch und Simon Sezemsky auch der Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bundes, Stefan Schaidnagel, Towerstars-Trainer Rich Chernomaz
und Winfried Leiprecht, der Vorsitzende des EV Ravensburg, stellten.
Letzterer vertrat die Basis – eine überaus engagierte –, der oft eine wichtige Basis fehlt: Trainingszeit. Mangels Trainingsfläche. Kein neues Problem, Winfried Leiprecht spitzte bewusst zu: „Im Ravensburger Eishockey steckt viel, viel mehr, als wir im Augenblick auf die Schiene bringen können.“In den jüngsten Altersbereichen nämlich erlebe man „einen unheimlich guten Zulauf“. Ausreichend eigentlich, „um mit zwei Mannschaften fahren zu können. Nur: wann? Wir trainieren mittlerweile morgens um 6.30 Uhr. Um 5.30 Uhr wär’ dann wirklich ein bisschen zu viel des Guten.“
Letztlich, man weiß es, ist dieser Mangel politisch. Stefan Schaidnagel hatte Zahlen parat – „wir haben 209 Eisflächen in Deutschland, uns brechen 30 bis 50 in den nächsten zehn Jahren weg, wir sind an 20 Projekten momentan direkt beteiligt“– und einen Lösungsansatz: Lobbyarbeit, wo’s passen könnte auch via Landessportbund
und Landesregierung – „Thema Stützpunktsystem“. Ideen brauche es. Plus Hartnäckigkeit. Auf Verhältnisse wie in Kanada kann man hierzulande nicht hoffen. Dort, berichtete Rich Chernomaz, „ist Eishockey in der DNA der Menschen“.
Ein Masterplan, aber viele Rädchen
In Deutschland ist Eishockey in „Powerplay 26“. Einem Reform-Masterplan, 2014 vom Verband verabschiedet. Stringent gedacht, doch die Tücke steckt nicht nur für Stefan Schaidnagel in den „vielen Rädchen, die ineinandergreifen“. Eines, die Ausbildung der Trainer, lobte Rich Chernomaz explizit, auch die Zertifizierung der Nachwuchsarbeit (FünfSterne-Programm) gilt als sinnvolles Instrumentarium. Drei Sterne erhielt der EV Ravensburg zuletzt (und 129 von 193 Punkten). Mehr geht nicht unter den derzeitigen Rahmenbedingungen. Auch deshalb spielen in Deutschlands U16 und U17 drei Talente, die die Red Bull Hockey Akademie
Salzburg repräsentieren. Geboren in Weingarten und Ravensburg, gewechselt mit 13, mit 14. Drei, die ihrem Heimatclub fehlen.
Begabte Spieler haben, ist das eine, sie zu entdecken, das andere. Da hinke „das Scouting-System in Deutschland immer noch ein bisschen hinterher“, befand René Rudorisch. „Wir beschäftigen uns ganz selten mit 15-, 16-Jährigen in unserer Sportart und versuchen dort zu sichten: Mensch, wo geht denn ihre Reise hin?“Bei richtiger Förderung womöglich in die Profimannschaft. Rich Chernomaz sieht „die Option für junge Deutsche heute viel mehr als vorher“. U23-Regelung in der DEL beziehungsweise U21- und U24Regelung in der DEL2 sind da Leitplanken. Regeln, gut gemeint, aber halt verschieden. Das Wort vom „Entbürokratisieren“fiel; „kooperativ anpacken“(Stefan Schaidnagel) wolle man die Chose, „im Dreierverbund DEB, DEL, DEL2“(René Rudorisch) „unsere Systeme für die Talentförderung miteinander besprechen“.
Winfried Leiprecht erhofft sich da „klare Signale der Profiligen. Dass sie sagen: ,Wir holen die Jungen, die jetzt in diesen DNL-Ligen (den höchsten Nachwuchsligen, d. Red.) spielen, rauf und nehmen in Kauf, dass vielleicht die eine oder andere Qualität dabei verloren geht, die über ausländische Spieler kommt.‘“Sein Statement deshalb: „Erster Schritt: Halbierung aller Ausländerzahlen in den Profiligen!“
Die Augsburger Panther haben zehn Kontingentspieler-Lizenzen vergeben. Simon Sezemsky nickt diesmal nicht, er sagt: „Ich glaub’, es muss nicht unbedingt heißen, wenn man jetzt diese Stellen um eins, zwei reduziert, dass da ’ne Qualität verloren geht. Ich denk’, es kann dem deutschen Eishockey nur gut tun.“