Auch so kann Freundschaft aussehen
Zum 70. Jahrestag ihres Bestehens muss sich die Nato mit vielen Streitfragen befassen
Im Streit über die Zukunft der Nato hat US-Präsident Donald Trump (rechts/Foto: AFP) Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron scharf gemaßregelt. Trump nannte Macrons Diagnose eines „Hirntods“des Bündnisses am Dienstag beleidigend, gefährlich und respektlos. Macron bekräftigte seine Kritik. Damit wachsen die Spannungen in der Allianz beim Jubiläumsgipfel zum 70-jährigen Bestehen. Immerhin schafften es die Bündnispartner, sich vorab auf eine „Londoner Erklärung“zu einigen.
- Das Hauptquartier der Nato in Brüssel ist ein gläserner Palast, dessen Architektur ein Sinnbild für die Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg sein soll. Inzwischen symbolisiert der Bau eher die verschiedenen Strömungen, die an dem Bündnis zerren. Wird es zerreißen? Am Dienstag trafen die Staats- und Regierungschefs der Nato in London ein, um den 70. Jahrestag des Bündnisses zu feiern. Viele Streitfragen sind ungeklärt. Eine Auswahl:
Streit ums Geld: Den ewigen Zank um die Verteidigungsausgaben hat Deutschland im Vorfeld zu entschärfen versucht. Nicht nur will es zum gemeinsamen Nato-Haushalt, mit dem etwa das Hauptquartier und die anderen Niederlassungen finanziert werden, künftig genauso viel beitragen wie die Amerikaner – knapp 350 Millionen Euro. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte im Bundestag auch den Erhalt der Nato zu Deutschlands „ureigenem Interesse“. Das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels – und dabei geht es um Milliardenbeträge – hat sie aber erst für Anfang der 2030er-Jahre angepeilt.
Frankreichs europäische Vision: Emmanuel Macron bescheinigte der Nato den „Hirntod“, bezweckte aber das Gegenteil seiner Diagnose. Und tatsächlich: Die Worte des französischen Präsidenten wirkten wie ein Elektroschock. US-Präsident Donald Trump, der das Bündnis selbst schon mal als „obsolet“bezeichnet hatte, schwang sich am Dienstag zu dessen oberstem Verteidiger auf: Die Nato diene „einem großen Zweck“, dozierte er in London.
Macrons Worte richteten aber auch Schaden an. Die „New York Times“berichtete von einem heftigen Wortwechsel zwischen Merkel und Macron. Der deutsche Regierungssprecher versicherte zwar, es habe „weder Klage, noch Wut, noch Streit“gegeben. Allerdings hatte Merkel zuvor Macrons Äußerung als „drastisch“und unnötigen „Rundumschlag“kritisiert, was einem Wutanfall ziemlich nahe kommt.
Für Irritation bei den Osteuropäern sorgte Macrons Forderung nach mehr europäischer Eigenständigkeit und Wiederannäherung an Russland. „Macron bittet den Fuchs in den Hühnerstall und tut so, als sei er nur ein Maulwurf“, schrieb die polnische Zeitung „Rzeczpospolita“.
Der neue Rivale – China: Ungeklärt ist innerhalb der Nato der Umgang mit China. Das Bündnis hat zwar keine militärischen Interessen im Pazifik. Dennoch könne man sich einer gemeinsamen Strategie nicht entziehen, heißt es in der Nato-Zentrale. Überall, auch in Europa, wächst der chinesische Einfluss. Eine der größten Sorgen der Kanzlerin ist, „dass jeder Mitgliedstaat in Europa seine eigene Chinapolitik macht“.
Türkische Alleingänge: Besonders pikant gestaltet sich der Umgang mit dem Nato-Mitglied Türkei, das kürzlich nach dem Abzug der Amerikaner in Nordsyrien einmarschierte. Auch hat das Land ausgerechnet von Russland sein neues
Luftabwehrsystem gekauft. Die Türkei aus dem Bündnis herauszudrängen, sei aber keine Option, heißt es bei der Nato. Dafür sei das Land als Bündnisparter zu wichtig.
Das alte, neue Feindbild – Russland: Im Umgang mit Russland verfolgen die europäischen Mitglieder der Nato unterschiedliche Ansätze. Während sich Polen oder die Baltenrepubliken von Russland bedroht sehen – und daher zusätzliche NatoTruppen erhalten haben –, setzen Deutschland und Frankreich eher auf Dialog. Frankreichs Vorschlag, ein Moratorium auf Mittelstreckenwaffen zu prüfen, löste bei der Nato allerdings großen Ärger aus. Zwar haben die USA den INF-Vertrag gekündigt – aber als Reaktion auf bereits aufgestellte russische Mittelstreckenwaffen.
Hinzugekommen sind mit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine auch weitere russische Rüstungsanstrengungen. Russland arbeitet an Hyperschallwaffen, führt gemeinsame Manöver mit China in der Ostsee durch und ist auch im Weltraum präsent.
Immerhin: Eine Weltraumstrategie haben die Nato-Außenminister jüngst auf den Weg gebracht. Gleichwohl warnt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor einem Rückfall in den Kalten Krieg: „Ein Wettrüsten ist extrem teuer, und es ist gefährlich.“