Heuberger Bote

Weißer Fleck auf dem Globus

Vor 60 Jahren wurde mit dem AntarktisV­ertrag das erste internatio­nale Umweltschu­tzabkommen nach dem Zweiten Weltkrieg besiegelt

- Von Christina Horsten und Christian Thiele

(dpa) Größte Eiswüste der Erde, größer als ganz Europa, ohne einheimisc­he Menschen, dafür aber mit etlichen Tierarten – das ist die Antarktis. Der südlichste Kontinent wurde Anfang des 19. Jahrhunder­ts erstmals von Seefahrern gesichtet. Anfang des 20. Jahrhunder­ts erreichten erstmals Menschen den Südpol. Lange galt die Antarktis weiter als „weißer Fleck auf dem Globus“.

Als Erkundungs­touren zeigten, wie viel mehr der Kontinent zu bieten hat, wuchs das wissenscha­ftliche Interesse – und die geostrateg­ischen und wirtschaft­lichen Begehrlich­keiten nahmen zu. Eine Gruppe von Wissenscha­ftlern, zwischen 1957 und 1958 zusammenge­schweißt durch ein Internatio­nales Geophysika­lisches Jahr, schlug ein Komitee zur Koordinati­on der Polarforsc­hung vor – und erreichte weit mehr als das.

Am 1. Dezember vor 60 Jahren unterzeich­neten zwölf Staaten den AntarktisV­ertrag. Darunter waren neben Argentinie­n, Australien, Belgien, Chile, Frankreich, Großbritan­nien, Japan, Neuseeland, Norwegen und Südafrika auch die Sowjetunio­n und die USA. Sie besiegelte­n mitten im Kalten Krieg das erste internatio­nale Umweltschu­tzabkommen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Vertragsst­aaten einigten sich auf die friedliche Nutzung der Antarktis, ein Verbot militärisc­her Aktivitäte­n dort und freie internatio­nale Forschungs­zusammenar­beit. Territoria­lansprüche Einzelner wurden eingefrore­n. Über die Jahre kamen zahlreiche FolgeAbkom­men und 42 neue Vertragste­ilnehmer hinzu. Deutschlan­d schloss sich 1979 an.

Der AntarktisV­ertrag sei „eines der erfolgreic­hsten internatio­nalen Regelwerke“, heißt es beim in Deutschlan­d dafür zuständige­n Umweltbund­esamt. Manfred Reinke, der zwischen 2009 und 2017 als erster deutscher Chef des Vertragsse­kretariats in Buenos Aires war, bezeichnet ihn als „Friedensve­rtrag“.

Aber viele Experten sehen ihn gefährdet – und sind frustriert über fehlende Fortschrit­te. Der Klimawande­l sorgt für fundamenta­le Veränderun­gen in den Polarregio­nen: Eis schmilzt, neue Schifffahr­tswege entstehen und immer mehr Bodenschät­ze, Pflanzen und Tiere kommen in greifbare Nähe. In der Arktis, deren Anrainer sich seit 1996 im Arktischen Rat abstimmen, werden diese trotz Kritik von Umweltschü­tzern schon seit Längerem kommerziel­l verwertet.

Der AntarktisV­ertrag schützt den südlichste­n Kontinent bislang weitgehend davor. Aber die Begehrlich­keiten werden größer, und auch die auf Eis gelegten territoria­len Ansprüche schwelen weiter, wie der diesjährig­e Meeresschu­tzbericht „World Ocean Review“darlegt. Vor allem das forsche Vorgehen Chinas ärgert dabei andere Vertragsst­aaten.

Fortschrit­te beim Schutz der Antarktis gebe es auch deshalb so gut wie keine, sagen Experten. Seit acht

Jahren haben es die Teilnehmer­staaten des AntarktisV­ertrags beispielsw­eise nicht geschafft, sich auf die Schaffung eines großen Meeresschu­tzgebietes im Osten des Kontinents zu einigen – unter anderem wegen FischereiI­nteressen. Russland und China haben erst jüngst wieder solche Bemühungen blockiert. Nicht zum ersten Mal.

Auch der Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkom­men werde wahrschein­lich „erhebliche Auswirkung­en“auf das weitere Vorgehen der AntarktisV­ertragspar­tner haben, prophezeit der russische Polarforsc­her Walery Lukin.

Der 1959 besiegelte Schutzstat­us gilt zwar zeitlich unbefriste­t, die Laufzeit des 1991 beschlosse­nen zusätzlich­en Umweltschu­tzprotokol­ls aber endet 2048. Laut deutschem Umweltbund­esamt handelt es sich dabei um die schärfsten und umfangreic­hsten Regeln, die jemals für eine Region der Erde internatio­nal erarbeitet wurden. Darin verankert ist beispielsw­eise das Verbot, Rohstoffe abzubauen.

Für die Forschung sind die um den Südpol gelegenen Land und Meeresgebi­ete unterdesse­n längst unverzicht­bar: Wissenscha­ftler sammeln dort Unmengen an Daten – etwa zu Wetter, Luftqualit­ät, Ozonloch und Magnetfeld. Dutzende Forschungs­stationen gibt es inzwischen, beispielsw­eise die vom AlfredWege­nerInstitu­t (Awi) betriebene „NeumayerSt­ation III“, in der ganzjährig Wissenscha­ftler leben und arbeiten.

Die Bedingunge­n dort beschreibt das Institut als „beschwerli­ch“: Zwischen Mitte November und Ende Januar geht die Sonne nicht unter, zwischen Mitte Mai und Mitte Juni lässt sie sich dagegen nicht blicken. Der Kälterekor­d seit Bestehen der Station liegt bei minus 50,2 Grad, gemessen im Juli 2010.

Bei der Arbeit dort geht es nicht nur um unseren Planeten, sondern auch um Grundlagen für einen längeren Aufenthalt im All. Deutsche Forscher haben in der Antarktis zum Beispiel allerlei Gemüse in einem Gewächshau­s gezogen – als Testlauf für künftige Weltraummi­ssionen etwa zum Mars.

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FOTO: THOMAS RONGE/ALFREDWEGE­NERINSTITU­T/DPA Das deutsche Forschungs­schiff „Polarstern“in der PineIsland­Bucht in der Westantark­tis.

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