Szenen einer Zwangsehe
Neues Buch zum Dauerkonflikt zwischen Marcel ReichRanicki und Günter Grass
S ie waren beide über Jahrzehnte hinweg die unbestrittenen Granden des deutschen Literaturbetriebs: Der Großautor und Nobelpreisträger Günter Grass und der Kritikerpapst Marcel ReichRanicki. Über beide liegt reichlich biografisches und autobiografisches Material vor, sodass von Volker Weidermanns Doppelbiografie „Das Duell“nicht mehr allzu viel Neues zu erwarten war, und so kam es auch. Die Parallelerzählung der wichtigsten Lebensstationen von Grass und ReichRanicki und der Verbindungen zwischen ihnen ist dennoch nicht ohne Reiz. Der Autor macht mit seiner Schilderung dieser, wie Grass es selbst einmal formulierte, „Zwangsehe“noch einmal deutlich, wie tief der Zwist zwischen Autor und Kritiker wirklich war, mit wie viel Herzblut er ausgetragen wurde, und wie er beide Streithähne auch oft bis zur Erschöpfung belastete.
Schon der Anfang dieser schwierigen Beziehung war für Günter Grass ein schwerer Tiefschlag. Sein erster großer Roman, „Die Blechtrommel“, der ihm fast über Nacht literarischen Weltruhm einbrachte, fand vor der kritischen Beurteilung ReichRanickis keine Gnade. Und so setzte es sich bei praktisch jedem weiteren Buch von Grass fort. Nur einige Gedichte konnten den Kritiker halbwegs überzeugen.
Höhepunkt in der langen Reihe der GrassVerrisse war ReichRanickis SchmähRezension von „Ein weites Feld“im „Spiegel“, auf dessen Titelblatt der Kritiker in einer Fotomontage sogar das Buch mit brachialer Gewalt in Stücke zerriss. Grass soll davon so betroffen gewesen sein, dass ihn Suizidgedanken plagten. Das bleibt freilich Spekulation. Sicher aber ist, dass Grass, der schon 1977 beim letzten Treffen der Gruppe 47 im Saulgauer Hotel „KleberPost“ bedauert hatte, dass das deutsche Scheidungsrecht eine Trennung von Autor und Kritiker nicht vorsehe, nach dem Drama um „Ein weites Feld“restlos auf Unversöhnlichkeit schaltete.
Spätes Bekenntnis
Auch ein paar spätere Begegnungen, bei denen wohl versucht wurde, etwas gute Miene zum bösen Spiel zu machen, konnten den endgültigen Bruch nicht mehr kitten. Einen traurigen, ja ausgesprochen peinlichen Schlusspunkt im Dauerkonflikt mit dem Schriftsteller setzte der 91jährige ReichRanicki, als er ein Jahr vor seinem Tod die Frage Volker Weidermanns, worauf er jetzt noch warte und hoffe, mit „auf die Nachricht vom Tod von Günter Grass“beantwortete.
Bemerkenswert ist allerdings, dass Marcel ReichRanicki auf das (viel zu) späte Bekenntnis von Günter Grass, Mitglied der WaffenSS gewesen zu sein, so gut wie gar nicht reagiert hat. Das war möglicherweise bereits eine Alterserscheinung. Vielleicht hat ihn hier aber auch sein eigenes, nicht ganz unähnliches Verhalten zur Zurückhaltung veranlasst. ReichRanicki hatte seine ehemalige Mitarbeit als Agent des polnischen Geheimdienstes jahrzehntelang verschwiegen.
Ein bedeutender Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Weidermanns Buch sicher nicht. Dazu enthält es zu wenig bisher unbekannte Fakten. Aber es ist flüssig und spannend geschrieben und hat so zumindest einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert.