Heuberger Bote

Initiative gegen das Dröhnen in den Kurven

Immer mehr Kommunen wehren sich gegen Motorradlä­rm – und konfrontie­ren die Fahrer

- Von Martin Oversohl

STUTTGART (lsw) - An sonnigen Wochenende­n stapeln sich die Einladunge­n zum Kaffeeklat­sch auf dem Schreibtis­ch von Sonja Schuchter. Die Nachbarn wollen der Bürgermeis­terin von Sasbachwal­den auf ihren Terrassen nur zu gerne zeigen, wie laut es werden kann, wenn ein Motorradfa­hrer vor dem Haus und in Schräglage mal so richtig aufdreht. Schuchter kennt jetzt so manche Veranda in ihrer idyllisch gelegenen Schwarzwal­dgemeinde: „Da klappert das Tassengesc­hirr, wenn die eine oder andere Biker-Gruppe kommt“, erzählt sie. „Das ist, als ziehe ein Bienenschw­arm durch die Gemeinde. Und wenn man Pech hat, kommt der nächste Schwarm gleich hinterher.“Sasbachwal­den (Ortenaukre­is) fordert deshalb deutlich schärfere Vorschrift­en gegen die lärmenden Biker – und ist damit bei Weitem nicht allein.

Mehr als 80 baden-württember­gische Städte, Gemeinden und Landkreise haben sich zur „Initiative Motorradlä­rm“zusammenge­schlossen. Ihr Forderungs­katalog umfasst geänderte Zulassungs­regelungen für Motorräder und drastische­re Strafen für Manipulati­onen an Motoren, Verkehrsve­rbote und stärkere Kontrollen vor allem auf den kurvenreic­hen Strecken zum Beispiel im Schwarzwal­d oder auf der Schwäbisch­en Alb.

Zu den Gemeinden gehören unter anderem Bad Saulgau, Kißlegg, Ludwigshaf­en/Bodman, Wangen im Allgäu, zu den Landkreis etwa Alb-Donau-Kreis und Zollernalb­kreis.

Höhere Bußgelder fordern auch Landesverk­ehrsminist­er Winfried Hermann und der Lärmschutz­beauftragt­e

Thomas Marwein (beide Grüne), der sich eine Verzehnfac­hung der derzeitige­n Summe vorstellen kann. „Das schreckt sonst niemanden ab“, sagte Marwein am Donnerstag bei der Vorstellun­g der neuen Initiative. Hermann will versuchen, eine Bundesrats­initiative dazu vor der Sommerpaus­e in die Länderkamm­er einzubring­en. Unterstütz­ung erhofft er sich unter anderem aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz.

Das Lärmproble­m dürfte größer werden, denn auch die Zahl der zugelassen­en Zweiräder im Südwesten steigt und steigt. Nach Angaben des Statistisc­hen Landesamts hat die Menge der zugelassen­en Motorräder im Jahr 2018 und im Jahresverg­leich um zehn Prozent zugenommen, mittlerwei­le fahren fast 700 000 Stück über die Straßen im Südwesten. „Und da sind halt auch ein paar schwarze Schafe darunter“, sagt Schuchter. Sie schätzt den Anteil der lärmenden Biker auf fünf bis zehn Prozent.

Das Umweltbund­esamt und die Umweltschu­tzorganisa­tion BUND gehen dagegen davon aus, dass etwa jeder dritte Motorradfa­hrer zu laut ist. Peter Lercher, Medizinpro­fessor an der Technische­n Universitä­t Graz, rechnete zuletzt in einem Vortrag sogar mit 40 Prozent manipulier­ten Motorräder­n.

Besonders populär sind elektronis­ch steuerbare Klappenaus­puffanlage­n, mit denen Biker den „Sound“im Handumdreh­en steuern können. Gegner dieser Fahrer kritisiere­n, die Reform der Verkehrssü­nderkartei habe die Strafen für Lärm-Vergehen kassiert. Still und leise, könnte man sagen – während der Schwarzwal­d vor allem im Sommer die volle Dröhnung verpasst bekommt.

Vom „Lärmhotspo­ts“spricht die Landesregi­erung. Kein baden-württember­gisches Phänomen: Die Vereinigte­n Arbeitskre­ise gegen Motorradlä­rm (VAGM) listen mehr als 100 Regionen auf, in denen Motorradlä­rm zur Bildung von Bürgerinit­iativen geführt hat.

In Schuchters Gemeinde Sasbachwal­den im Ortenaukre­is werden Motorradfa­hrer vor allem von der Landstraße L86 und der Schönbüchs­traße angezogen, auch die Strecke von Geschwend über Präg nach Bernau weiter südlich ist beliebt. Mit dem Nürburgrin­g vergleiche­n Anwohner dort die Lautstärke des einen oder anderen Bikers, mit tieffliege­nden Düsenjäger­n oder einem Laubsauger direkt vor dem Haus.

Motorradlä­rm-Displays am Straßenran­d sollen nun helfen, den Lärm zu senken. Das Gerät erkennt zu laute Motorräder durch Sensoren, die am Streckenle­itpfosten angebracht sind. Es misst sowohl die Geschwindi­gkeit als auch den Lärmpegel und fordert Krachmache­r per Digitalanz­eige auf, leiser zu fahren. Fast zwei Dutzend Kommunen, darunter auch Sasbachwal­den, erhalten bereits Geld für die rund 15 000 Euro teuren Geräte.

„Viele Motorradfa­hrer wissen nicht, wie viel Lärm ihre Maschinen machen und das die Gesundheit der Menschen beeinträch­tigt“, sagt Michael Wilczynski vom Bundesverb­and der Deutschen Motorradfa­hrer (BVDM). Die meisten Biker trügen Helme und Ohrstöpsel. „Wir wollen den Fahrern deshalb auf der nächsten Motorradme­sse in Dortmund mithilfe von Kopfhörern simulieren, wie laut ihre Maschinen werden können.“Natürlich liebt Wilczynski die Ausfahrt mit dem Motorrad – auch wenn er bedauert, sich die Strecke meist mit den stampfende­n Einzylinde­rn und hochdrehen­den Vierzylind­ern der anderen teilen zu müssen. „Über die Navis bekommen ja alle dieselben Kurvenstre­cken angeboten“, sagt er.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Ein Display, das den Lärm von Motorradfa­hren anzeigt – bei einer Vorführung in Neukirchen im Bayerische­n Wald.

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