Initiative gegen das Dröhnen in den Kurven
Immer mehr Kommunen wehren sich gegen Motorradlärm – und konfrontieren die Fahrer
STUTTGART (lsw) - An sonnigen Wochenenden stapeln sich die Einladungen zum Kaffeeklatsch auf dem Schreibtisch von Sonja Schuchter. Die Nachbarn wollen der Bürgermeisterin von Sasbachwalden auf ihren Terrassen nur zu gerne zeigen, wie laut es werden kann, wenn ein Motorradfahrer vor dem Haus und in Schräglage mal so richtig aufdreht. Schuchter kennt jetzt so manche Veranda in ihrer idyllisch gelegenen Schwarzwaldgemeinde: „Da klappert das Tassengeschirr, wenn die eine oder andere Biker-Gruppe kommt“, erzählt sie. „Das ist, als ziehe ein Bienenschwarm durch die Gemeinde. Und wenn man Pech hat, kommt der nächste Schwarm gleich hinterher.“Sasbachwalden (Ortenaukreis) fordert deshalb deutlich schärfere Vorschriften gegen die lärmenden Biker – und ist damit bei Weitem nicht allein.
Mehr als 80 baden-württembergische Städte, Gemeinden und Landkreise haben sich zur „Initiative Motorradlärm“zusammengeschlossen. Ihr Forderungskatalog umfasst geänderte Zulassungsregelungen für Motorräder und drastischere Strafen für Manipulationen an Motoren, Verkehrsverbote und stärkere Kontrollen vor allem auf den kurvenreichen Strecken zum Beispiel im Schwarzwald oder auf der Schwäbischen Alb.
Zu den Gemeinden gehören unter anderem Bad Saulgau, Kißlegg, Ludwigshafen/Bodman, Wangen im Allgäu, zu den Landkreis etwa Alb-Donau-Kreis und Zollernalbkreis.
Höhere Bußgelder fordern auch Landesverkehrsminister Winfried Hermann und der Lärmschutzbeauftragte
Thomas Marwein (beide Grüne), der sich eine Verzehnfachung der derzeitigen Summe vorstellen kann. „Das schreckt sonst niemanden ab“, sagte Marwein am Donnerstag bei der Vorstellung der neuen Initiative. Hermann will versuchen, eine Bundesratsinitiative dazu vor der Sommerpause in die Länderkammer einzubringen. Unterstützung erhofft er sich unter anderem aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz.
Das Lärmproblem dürfte größer werden, denn auch die Zahl der zugelassenen Zweiräder im Südwesten steigt und steigt. Nach Angaben des Statistischen Landesamts hat die Menge der zugelassenen Motorräder im Jahr 2018 und im Jahresvergleich um zehn Prozent zugenommen, mittlerweile fahren fast 700 000 Stück über die Straßen im Südwesten. „Und da sind halt auch ein paar schwarze Schafe darunter“, sagt Schuchter. Sie schätzt den Anteil der lärmenden Biker auf fünf bis zehn Prozent.
Das Umweltbundesamt und die Umweltschutzorganisation BUND gehen dagegen davon aus, dass etwa jeder dritte Motorradfahrer zu laut ist. Peter Lercher, Medizinprofessor an der Technischen Universität Graz, rechnete zuletzt in einem Vortrag sogar mit 40 Prozent manipulierten Motorrädern.
Besonders populär sind elektronisch steuerbare Klappenauspuffanlagen, mit denen Biker den „Sound“im Handumdrehen steuern können. Gegner dieser Fahrer kritisieren, die Reform der Verkehrssünderkartei habe die Strafen für Lärm-Vergehen kassiert. Still und leise, könnte man sagen – während der Schwarzwald vor allem im Sommer die volle Dröhnung verpasst bekommt.
Vom „Lärmhotspots“spricht die Landesregierung. Kein baden-württembergisches Phänomen: Die Vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm (VAGM) listen mehr als 100 Regionen auf, in denen Motorradlärm zur Bildung von Bürgerinitiativen geführt hat.
In Schuchters Gemeinde Sasbachwalden im Ortenaukreis werden Motorradfahrer vor allem von der Landstraße L86 und der Schönbüchstraße angezogen, auch die Strecke von Geschwend über Präg nach Bernau weiter südlich ist beliebt. Mit dem Nürburgring vergleichen Anwohner dort die Lautstärke des einen oder anderen Bikers, mit tieffliegenden Düsenjägern oder einem Laubsauger direkt vor dem Haus.
Motorradlärm-Displays am Straßenrand sollen nun helfen, den Lärm zu senken. Das Gerät erkennt zu laute Motorräder durch Sensoren, die am Streckenleitpfosten angebracht sind. Es misst sowohl die Geschwindigkeit als auch den Lärmpegel und fordert Krachmacher per Digitalanzeige auf, leiser zu fahren. Fast zwei Dutzend Kommunen, darunter auch Sasbachwalden, erhalten bereits Geld für die rund 15 000 Euro teuren Geräte.
„Viele Motorradfahrer wissen nicht, wie viel Lärm ihre Maschinen machen und das die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt“, sagt Michael Wilczynski vom Bundesverband der Deutschen Motorradfahrer (BVDM). Die meisten Biker trügen Helme und Ohrstöpsel. „Wir wollen den Fahrern deshalb auf der nächsten Motorradmesse in Dortmund mithilfe von Kopfhörern simulieren, wie laut ihre Maschinen werden können.“Natürlich liebt Wilczynski die Ausfahrt mit dem Motorrad – auch wenn er bedauert, sich die Strecke meist mit den stampfenden Einzylindern und hochdrehenden Vierzylindern der anderen teilen zu müssen. „Über die Navis bekommen ja alle dieselben Kurvenstrecken angeboten“, sagt er.