Kreis bewirbt sich als Pionier-Pflegeprojekt
Als Modellkommune will Region Tuttlingen Lösungen zum demografischen Wandel finden
G- Die Pflegebedürftigkeit im Alter ist eine der größten Sorgen der deutschen Bürger. Das hat der „Sicherheitsreport 2020“durch eine Umfrage ermittelt (wir haben berichtet). Auch den Landkreis Tuttlingen treibt das Thema verstärkt um. Deshalb hat sich die Region als Modellkommune Pflege beworben. Die Umsetzung stellt sich aber noch schwierig dar.
Für die Finanzierung der Leistungen der Pflegeversicherungen sind die Sozialhilfeträger verantwortlich. Pro Jahr kommen auf den Landkreis Tuttlingen sechs Millionen Euro an Kosten zu. Dies, so erklärt Landrat Stefan Bär, sei nicht einmal der größte Posten im Haushalt. „Die Pflegekosten haben aber die größte Dynamik“, meint der kürzlich wiedergewählte Verwaltungschef. Dies liege einerseits am demografischen Faktor. „Aber auch das Angehörigen-Entlastungsgesetz macht uns Sorge“, sagt Bär.
Das zum 1. Januar in Kraft getretene Bundesgesetz sieht vor, dass Menschen, deren Verwandte Sozialhilfe beziehen, bei den Pflegekosten entlastet werden. Auf das Einkommen der Angehörigen wird erst ab einer Summe
von 100 000 Euro pro Jahr zurückgegriffen. „Wenn man darunter liegt, soll die Allgemeinheit bezahlen. Das Prinzip der Eigenvorsorge wird aufgeweicht“, erklärt der Landrat, der die Gefahr wittert, Angehörige könnten ohne Zuzahlungspflicht mehr Senioren in eine Pflegeeinrichtung abgeben. „Die Quote, die wir stationär begleiten müssen, steigt.“
Seiner Rechnung nach dürften sich die Kosten verdoppeln. Gleichwohl dürfte es schwer werden, bei steigender Anfrage genug Pflegeplätze in der Region zu haben. „Es geht nur mit einem Netzwerk, neuen Wohnformen und mit dem langen Atem, Menschen ein längeres zu Hause Wohnen zu ermöglichen“, erklärte er. Deshalb habe man sich für das Bundesprojekt „Modellkommune Pflege“beworben.
Das generelle Interesse an dem Vorhaben ist allerdings gering. Aus Baden-Württemberg haben sich neben Tuttlingen nur Karlsruhe und Ludwigsburg bereit erklärt. Acht Stadt- und Landkreise hätten Modellkommune werden können. Auch deutschlandweit, heißt es in der Vorlage des Ausschusses für Soziales und Gesundheit, sehe es bei der Bewerberlage „sehr mau“aus.
Eine Tatsache, die Bernhard Schnee (CDU) irritierte. „Ist der Aufwand so groß, weil wir den Vorreiter machen? Wird damit Personal gebunden? Kommen andere später dazu und profitieren von der Vorarbeit“, wollte er wissen. Es sei wie im wirklichen Leben, meinte Bär, dass derjenige, der als Erster etwas machen würde, auch die meiste Arbeit habe. „Vielleicht rutschen ein paar mit uns durch. Aber wenn wir dabei sind, haben wir unser Ziel erreicht“, erklärte der Landrat. „Es ist von Vorteil, von Anfang an dabei zu sein“, betonte Bernd Mager, Dezernent für Arbeit und Soziales beim Landkreis.
Dass dies so kommt, ist noch nicht geklärt. Die Verhandlungen gestalten sich als schwierig. „Es ist zäh, weil die Pflegekassen vieles problematisieren“, heißt es in der Vorlage. Drei Module –Pflegekurs für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen; Beratungen in der eigenen Häuslichkeit; Pflegeberatung in Haushalten, in denen die Pflegesituation als prekär angesehen wird – will der Landkreis anbieten. Weil diese Aufgaben aber schon vom Pflegestützpunkt übernommen wird, den die Pflegekassen maßgeblich finanzieren, beklagen diese Doppelstrukturen. Aus Sicht der Kreisverwaltung sei der Bedarf im Kreis aber größer und könne nicht abgedeckt werden.
Elf Vollzeitstellen, die rund 1,1 Millionen Euro kosten werden, sollen beim Landkreis neu geschaffen werden. Das Geld will der Landkreis aber von den Kassen wieder haben. Diese von dem Konzept zu begeistern, sei „enorm schwierig“. Vom Kreisausschuss wurde das Vorhaben der Verwaltung positiv aufgenommen und einstimmig an den Kreistag empfohlen.
„In der Pflege wird mittel- und langfristig eine Lawine auf uns zukommen. Und es wird uns auch nicht gelingen, genügend Pflegeplätze bereitzustellen. Deshalb ist es gut, dass sich der Landkreis als Modellregion bewirbt“, meinte Jürgen Buhl (Freie Wähler). Stefan Waizenegger (Freie Wähler) erklärte, dass die drei Module „maßgeschneidert“für den Kreis seien. „Es ist begrüßenswert, dass wir dabei sind und Erfahrungen sammeln“, meinte er. Der Kreis sei im sozialen Bereich oft vorne mit dabei, lobte Waizenegger, mahnte aber an, dass die Bezahlung der Stellen durchfinanziert sein müssten. „Wir haben bei der Kreisverwaltung das richtige Personal, dass wir uns dem Thema stellen“, erklärte Markus Kiekbusch (SPD).