Heuberger Bote

Kreis bewirbt sich als Pionier-Pflegeproj­ekt

Als Modellkomm­une will Region Tuttlingen Lösungen zum demografis­chen Wandel finden

- Von Matthias Jansen LANDKREIS TUTTLINGEN

G- Die Pflegebedü­rftigkeit im Alter ist eine der größten Sorgen der deutschen Bürger. Das hat der „Sicherheit­sreport 2020“durch eine Umfrage ermittelt (wir haben berichtet). Auch den Landkreis Tuttlingen treibt das Thema verstärkt um. Deshalb hat sich die Region als Modellkomm­une Pflege beworben. Die Umsetzung stellt sich aber noch schwierig dar.

Für die Finanzieru­ng der Leistungen der Pflegevers­icherungen sind die Sozialhilf­eträger verantwort­lich. Pro Jahr kommen auf den Landkreis Tuttlingen sechs Millionen Euro an Kosten zu. Dies, so erklärt Landrat Stefan Bär, sei nicht einmal der größte Posten im Haushalt. „Die Pflegekost­en haben aber die größte Dynamik“, meint der kürzlich wiedergewä­hlte Verwaltung­schef. Dies liege einerseits am demografis­chen Faktor. „Aber auch das Angehörige­n-Entlastung­sgesetz macht uns Sorge“, sagt Bär.

Das zum 1. Januar in Kraft getretene Bundesgese­tz sieht vor, dass Menschen, deren Verwandte Sozialhilf­e beziehen, bei den Pflegekost­en entlastet werden. Auf das Einkommen der Angehörige­n wird erst ab einer Summe

von 100 000 Euro pro Jahr zurückgegr­iffen. „Wenn man darunter liegt, soll die Allgemeinh­eit bezahlen. Das Prinzip der Eigenvorso­rge wird aufgeweich­t“, erklärt der Landrat, der die Gefahr wittert, Angehörige könnten ohne Zuzahlungs­pflicht mehr Senioren in eine Pflegeeinr­ichtung abgeben. „Die Quote, die wir stationär begleiten müssen, steigt.“

Seiner Rechnung nach dürften sich die Kosten verdoppeln. Gleichwohl dürfte es schwer werden, bei steigender Anfrage genug Pflegeplät­ze in der Region zu haben. „Es geht nur mit einem Netzwerk, neuen Wohnformen und mit dem langen Atem, Menschen ein längeres zu Hause Wohnen zu ermögliche­n“, erklärte er. Deshalb habe man sich für das Bundesproj­ekt „Modellkomm­une Pflege“beworben.

Das generelle Interesse an dem Vorhaben ist allerdings gering. Aus Baden-Württember­g haben sich neben Tuttlingen nur Karlsruhe und Ludwigsbur­g bereit erklärt. Acht Stadt- und Landkreise hätten Modellkomm­une werden können. Auch deutschlan­dweit, heißt es in der Vorlage des Ausschusse­s für Soziales und Gesundheit, sehe es bei der Bewerberla­ge „sehr mau“aus.

Eine Tatsache, die Bernhard Schnee (CDU) irritierte. „Ist der Aufwand so groß, weil wir den Vorreiter machen? Wird damit Personal gebunden? Kommen andere später dazu und profitiere­n von der Vorarbeit“, wollte er wissen. Es sei wie im wirklichen Leben, meinte Bär, dass derjenige, der als Erster etwas machen würde, auch die meiste Arbeit habe. „Vielleicht rutschen ein paar mit uns durch. Aber wenn wir dabei sind, haben wir unser Ziel erreicht“, erklärte der Landrat. „Es ist von Vorteil, von Anfang an dabei zu sein“, betonte Bernd Mager, Dezernent für Arbeit und Soziales beim Landkreis.

Dass dies so kommt, ist noch nicht geklärt. Die Verhandlun­gen gestalten sich als schwierig. „Es ist zäh, weil die Pflegekass­en vieles problemati­sieren“, heißt es in der Vorlage. Drei Module –Pflegekurs für Angehörige und ehrenamtli­che Pflegepers­onen; Beratungen in der eigenen Häuslichke­it; Pflegebera­tung in Haushalten, in denen die Pflegesitu­ation als prekär angesehen wird – will der Landkreis anbieten. Weil diese Aufgaben aber schon vom Pflegestüt­zpunkt übernommen wird, den die Pflegekass­en maßgeblich finanziere­n, beklagen diese Doppelstru­kturen. Aus Sicht der Kreisverwa­ltung sei der Bedarf im Kreis aber größer und könne nicht abgedeckt werden.

Elf Vollzeitst­ellen, die rund 1,1 Millionen Euro kosten werden, sollen beim Landkreis neu geschaffen werden. Das Geld will der Landkreis aber von den Kassen wieder haben. Diese von dem Konzept zu begeistern, sei „enorm schwierig“. Vom Kreisaussc­huss wurde das Vorhaben der Verwaltung positiv aufgenomme­n und einstimmig an den Kreistag empfohlen.

„In der Pflege wird mittel- und langfristi­g eine Lawine auf uns zukommen. Und es wird uns auch nicht gelingen, genügend Pflegeplät­ze bereitzust­ellen. Deshalb ist es gut, dass sich der Landkreis als Modellregi­on bewirbt“, meinte Jürgen Buhl (Freie Wähler). Stefan Waizenegge­r (Freie Wähler) erklärte, dass die drei Module „maßgeschne­idert“für den Kreis seien. „Es ist begrüßensw­ert, dass wir dabei sind und Erfahrunge­n sammeln“, meinte er. Der Kreis sei im sozialen Bereich oft vorne mit dabei, lobte Waizenegge­r, mahnte aber an, dass die Bezahlung der Stellen durchfinan­ziert sein müssten. „Wir haben bei der Kreisverwa­ltung das richtige Personal, dass wir uns dem Thema stellen“, erklärte Markus Kiekbusch (SPD).

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FOTO: PATRICK PLEUL Damit ältere Menschen möglichst lange zu Hause bleiben können, will der Landkreis Tuttlingen neue Formen der Pflege bedenken. Deshalb hat sich die Region als Modellkomm­une Pflege beworben.

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