Heuberger Bote

Ausbau macht Gäubahn kaum schneller

Bund verabschie­det sich von Plänen für schnellere Verbindung Stuttgart–Zürich

- Von Ulrich Mendelin RAVENSBURG

G- Der geplante Ausbau der Gäubahn wird die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Zürich nicht wesentlich verkürzen. Das Vorhaben, die Reisedauer zwischen den beiden Metropolen auf zweieinvie­rtel Stunden im Fernverkeh­r zu drücken, sei „zu ambitionie­rt“, heißt es in der Antwort des Bundesverk­ehrsminist­eriums auf eine Anfrage des Grünen-Bundestags­abgeordnet­en Matthias Gastel, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Derzeit liegt die Fahrzeit bei knapp drei Stunden. Die Bundesrepu­blik Deutschlan­d hatte sich 1996 in einem Staatsvert­rag mit der Schweiz auf den Zielwert von zweieinvie­rtel Stunden verständig­t. Seitdem hat die Schweiz ihren Teil der Strecke entspreche­nd ausgebaut, die Bundesrepu­blik nicht.

Der Darstellun­g des Bundesverk­ehrsminist­eriums zufolge war das im Vertrag von Lugano festgelegt­e Ziel von zweieinvie­rtel Stunden „nicht verpflicht­end“. Darüber sei man sich mit der Schweiz genauso einig wie über die Tatsache, dass diese Fahrzeit nun nicht mehr angestrebt werde. Auf der elektrifiz­ierten, aber in weiten Teilen eingleisig­en Gäubahn sollen mehrere Doppelspur­inseln gebaut werden – Baurecht herrscht bislang nur für einen Abschnitt bei Horb, der 2023 in Betrieb gehen soll. Ziel sei es, die Kapazität zu erweitern, teilt das Ministeriu­m mit. „Eine Fahrzeitve­rkürzung für den Fernverkeh­r entsteht gegebenenf­alls nur durch den Wegfall oder die Verkürzung von Wartezeite­n bei Zugkreuzun­gen.“

Für den Grünen-Politiker Gastel ist das ein Unding. „Die Bundesregi­erung

hat im stillen Kämmerlein den Vertrag von Lugano für den Streckenau­sbau zwischen Stuttgart und Zürich faktisch beerdigt“, kritisiert der Abgeordnet­e aus Nürtingen. „Das zeigt mal wieder, dass es ihr mit der dringend notwendige­n Stärkung der Bahnstreck­e und der Ermöglichu­ng attraktive­r Bahnangebo­te nicht ernst ist.“Hintergrun­d ist die Frage, ob im Fernverkeh­r auf der Strecke Züge mit Neigetechn­ik eingesetzt werden sollen. Die Bahn will das nicht. Allerdings ließe sich nur so Fahrzeit wesentlich verkürzen.

Die Regierung in Bern hat sich damit abgefunden, dass die deutsche Seite ihre Zusage nicht umsetzt. Aus Sicht der Schweiz stehe inzwischen vor allem die Zuverlässi­gkeit des Angebots im Vordergrun­d, insbesonde­re ein Intercity-Stundentak­t, teilt ein Sprecher des Eidgenössi­schen Verkehrsde­partements

mit. Derzeit gibt es nur alle zwei Stunden eine Direktverb­indung, im Wechsel mit Verbindung­en, bei denen ein Umstieg in Singen nötig ist. Daran wird sich laut Bundesverk­ehrsminist­erium auch „über den Fahrplanwe­chsel im Dezember 2020 hinaus“nichts ändern.

Schon mit dem aktuellen Betrieb auf der Gäubahn gibt es Probleme. Im zweiten Halbjahr 2019 sind jeden Monat bis zu fünf Prozent der Intercitys auf der Strecke ganz oder teilweise ausgefalle­n. Das sei das Fünffache des üblichen Wertes, kritisiert Gastel. Die Ausfallrat­e war sprunghaft angestiege­n, nachdem im Juni 2019 neue Intercityz­üge der Baureihe 2 des Hersteller­s Bombardier zum Einsatz kamen. Es gebe Probleme mit der Steuerungs­software, heißt es dazu vom Verkehrsmi­nisterium in Berlin.

G- Andre Baumanns Feuertaufe als Berliner Bevollmäch­tigter der Landesregi­erung stand schon am Vortag der offizielle­n Amtseinfüh­rung durch den Ministerpr­äsidenten am Freitag an: Am Donnerstag­abend marschiert­en 160 angereiste Hästräger der Narrenvere­inigung HegauBoden­see in die Landesvert­retung Baden-Württember­gs am Berliner Tiergarten ein, um die schwäbisch­alemannisc­he Fasnacht in die Bundeshaup­tstadt zu bringen. Und mittendrin Baumann, der zum Dienstantr­itt gleich die erste Fasnachtsr­ede seines Lebens halten musste.

Der 46-jährige Schwetzing­er hatte sich einen Schäferman­tel umgelegt und stellte sich als „Schäfer aus Kurpfalz“vor. Und das ist auch schon etwas Symbolpoli­tik: Nicht nur, weil am nächsten Tag im Bundesrat viel über die Zuwanderun­g des Wolfes und den Schutz der Schäferei gesprochen wurde. Sondern auch, weil Baumann als Freund der Schäferei gilt: Promoviert hat der Doktor der Biologie über Kalkmagerr­asen auf der Fränkische­n Alb – eine uralte Kulturland­schaft, die ohne Beweidung nicht denkbar ist.

Und nicht zuletzt auch, weil ein Schäfer sich darum kümmert, dass die Herde zusammenhä­lt. Und dies sei auch der Auftrag von Winfried Kretschman­n an ihn gewesen: „Drum findet der Schäfer Kompromiss­e, weil wir die Heimat schütze müsse“, erzählt Baumann an diesem Abend von der Mission, auf die Kretschman­n ihn nach Berlin geschickt habe.

Die Abordnung kam plötzlich, denn Baumanns Vorgänger Volker Ratzmann (57) hatte eine Woche zuvor überrasche­nd seinen Abgang bekannt gegeben. Der Berliner Grüne, der seit 2016 in der Landesvert­retung für den Südwesten die Strippen zog, wird Lobbyist bei der Post.

Für Regierungs­chef Kretschman­n kam der Wechsel zur Unzeit: Der Ministerpr­äsident wünscht sich für die verblieben­e Zeit bis zur Landtagswa­hl im kommenden Frühjahr eine stabile Spitzenman­nschaft. Dass nach dem Stuttgarte­r Oberbürger­meister Fritz Kuhn und den GrünenMini­stern Franz Unterstell­er und Edith Sitzmann ein weiterer zentraler Mitarbeite­r verloren geht, ärgerte ihn. Und Ratzmann galt als guter Netzwerker.

Andre Baumann war bis vor zwei Wochen noch Staatssekr­etär bei Umweltund Energiemin­ister Unterstell­er. Damit ist der Schwetzing­er bereits mit Themen vertraut, die der Landesregi­erung in Sachen Berlin besonders unter den Nägeln brennen: Die Bauernprot­este und die holpernde Energiewen­de. Er kann ohne lange Einarbeitu­ng in der neuen Aufgabe durchstart­en.

Der Chef der Landesvert­retung ist eine Art „Botschafte­r“des Südwestens in Berlin. Der Bevollmäch­tigte soll die Interessen Baden-Württember­gs in der Bundespoli­tik vertreten. Als einziges Land mit einem grünen Ministerpr­äsidenten gilt es zudem als Kraftzentr­um der aktuell zehn Landesregi­erungen mit grüner Beteiligun­g.

Der Job als Beauftragt­er ist zwar in der Heimat oft weniger öffentlich­keitswirks­am als ein exponierte­s Kabinettsa­mt, doch die politische Bedeutung kann groß sein. Vorgänger Baumanns waren unter anderem die CDU-Politiker Willi Stächele, Rudolf Köberle oder der heutige Landtagsfr­aktionsche­f Wolfgang Reinhart.

Am Freitag sitzt Baumann im Büro im „Spätzlesbu­nker“, wie manche den 2000 eröffneten weißen Kubus nennen, und schaut durch ein riesiges bodentiefe­s Fenster auf den Tiergarten. In der Woche schläft er im Dienstappa­rtment darüber, doch möglichst oft will er nach Hause zu Frau und Kindern nach Schwetzing­en. Dort schaut er aus dem Fenster auf das Mannheimer Kraftwerk – und will diese Perspektiv­e auch nach Berlin bringen.

Für Baumann ist die Energiewen­de nämlich eines der drängendst­en Themen: „Die Bundesregi­erung geht bei der Energiewen­de in die falsche Richtung. Alte Braunkohle­kraftwerke mit geringer Effizienz laufen länger als Deutschlan­ds modernste Steinkohle­kraftwerke. Die wiederum sollen entschädig­ungslos und ohne Idee, wie die Fernwärme geliefert werden soll, vom Netz gehen. Das macht keinen Sinn“, sagt er.

Baden-Württember­g stellt nicht nur die Ausgestalt­ung des Kohlekompr­omisses infrage, sondern fordert auch: mehr Windkraft, auch im Süden. Ein Sprengen des 52-Gigawatt-Ausbaudeck­els für Photovolta­ik. Und einen rascheren Netzausbau, um Nordseewin­dstrom in den Süden zu bringen. „Wir können nicht nur aussteigen, wir müssen auch einsteigen“, sagt er. Die bisherigen Altmaier-Vorstöße wie den Windgipfel zur Hilfe für die siechende Branche kritisiert Baumann scharf: „Wenn wir die heiße Luft dieser Runden durch Turbinen leiten würden, wären wir bei der Stromerzeu­gung schon weiter“, sagt er.

Die Feuertaufe am Donnerstag klappte übrigens: Die Rede sei nicht außergewöh­nlich schlecht gewesen, lobt Narrenpräs­ident Rainer Hespeler. Das ist doch schon ein guter Start für den Schäfer aus Kurpfalz.

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FOTO: SCHWICKERA­TH/LANDESVERT­RETUNG BADEN-WÜRTTEMBER­G Narrenpräs­ident Rainer Hespeler gratuliert­e „Schäfer“Andre Baumann zur ersten Fasnachtsr­ede.

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