Ein bisschen Frieden in der AfD
Neuer Landesvorstand muss Verband einen – Weidel will nationalistisches Lager einbinden
- Nach monatelangen Grabenkämpfen hat die Landes-AfD seit dem Wochenende einen neuen Vorstand. An der Spitze steht nun die Chefin der Bundestagsfraktion Alice Weidel aus dem Kreisverband Bodensee. Was das für die SüdwestAfD und ihre politische Ausrichtung bedeutet.
Welche Lager gibt es in der Südwest-AfD und wofür stehen sie?
In den vergangenen Jahren haben sich vor allem zwei Strömungen herauskristallisiert. Frontfrau der einen ist Alice Weidel, viele der Bundestagsabgeordneten aus dem Südwesten stehen hinter ihr. Ihnen geht es vor allem darum, der AfD reale Machtperspektiven zu eröffnen – und sie koalitionsfähig mit anderen Parteien zu machen. Darum wollen sie um jeden Preis eine offizielle Beobachtung durch den Verfassungsschutz vermeiden, die besonders der „Jungen Alternativen“und dem rechtsextremen „Flügel“drohen. Deshalb wollen sie auch AfD-Mitglieder wie den Landtagsabgeordneten Stefan Räpple, der vor allem durch Provokationen auffällt, oder den Antisemiten Wolfgang Gedeon, ausschließen. Letzteres wird von Vertretern des national-völkischen „Flügels“vor allem als Versuch verstanden, sie mundtot zu machen.
Die Logik von Politikern wie der Landtagsabgeordneten Christina Baum: Man darf in der AfD ungestraft alles sagen, selbst wenn es verfassungsfeindlich ist. Darin bestehe ein entscheidender Unterschied zu den etablierten Parteien. Neben Baum steht Landtagsfraktionsvize Emil Sänze diesen Ideen nahe, ebenso die meisten seiner Kollegen im Parlament. Der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete und bisherige Vorsitzende im Land Dirk Spaniel gehört in dieses Lager. Baum vertritt klar völkische Positionen – sie spricht zum Beispiel von „autochthoner“Bevölkerung. Das heißt: in ihrer Gedankenwelt definiert die Abstammung, wer in einem Staat welche Rechte hat – und nicht, wie in der Verfassung festgelegt, die Staatsbürgerschaft. Gegründet hat den „Flügel“der Thüringer Björn Höcke.
Wer hat sich in Böblingen durchgesetzt – und warum?
Bei den Wahlen zu den wichtigsten Vorstandsposten gewannen durchweg Weidel-Vertraute. Stets lagen sie um etwa zehn Prozent oder rund 100 der 1000 Stimmen vorn. Neben Weidel führen nun der Polizist Martin Hess, der Philosophiedozent
Marc Jongen und der Jurastudent Markus Frohnmaier die Landespartei. Alle sitzen außerdem im Bundestag. Offenkundig hatte die Gruppe den Parteitag im Vorfeld akribisch vorgeplant. Anders als bei vergangenen Parteitagen schienen Redebeiträge, Anträge zur Tagesordnung und die Mobilisierung von Fürsprechern gut abgestimmt. Das gelang zuvor dem „Flügel“besser. Dessen Vertreter warfen Weidel vor, Parteimitglieder nur zum Abstimmen nach Böblingen gebracht zu haben. „Ich sehe hier viele Leute zum ersten Mal, das sind nicht die sonst Aktiven der Partei“, sagte etwa Emil Sänze. Fest steht, dass Weidel diesmal deswegen siegte, weil sie sich in ihre Rede nicht vom „Flügel“distanzierte. 2017 hatte sie ein Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke angestoßen. Der Thüringer AfD-Fraktionschef hatte damals das Gedenken an den Holocaust infrage gestellt. Weidels Haltung nahmen ihr viele „Flügel“Leute übel, auch deshalb scheiterte ihre Bewerbung um den Landesvorstand damals. In Böblingen lobte sie Höcke und den „Flügel“dagegen als wichtige Teile der Partei. Weidel weiß längst, dass Höcke der AfD und damit auch ihr Wählerstimmen garantiert. Das gilt erst recht nach der Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen. Dort war der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen von FDP, CDU und AfD ins Amt gekommen. Nach massiven Protesten trat er wieder zurück. Die AfD wertet die Vorgänge als ersten Schritt in Richtung möglicher Koalitionen sowie als Beleg dafür, dass nur Druck aus der Bundespolitik diese in den Ländern verhindert.
Was sagen Gewinner und Verlierer?
Alice Weidel zeigte sich zufrieden, versprach aber auch, das unterlegene Lager mit in die Arbeit einzubinden. „Der ,Flügel’ ist eine ganz wichtige Strömung vor allem hier in der Landespartei“, sagte sie. „Wir wollen den Landesverband jetzt vom Kopf auf die Füße stellen. Der Zustand vorher war nicht länger hinnehmbar“. Nun gelte es, miteinander statt übereinander zu reden, um bei den Wahlen 2021 ähnlich starke Ergebnisse
zu erzielen wie in den ostdeutsche Bundesländern. Dort hatte die Partei mehr als 20 Prozent der Stimmen gewonnen. Der unterlegene Spaniel sagte, als Demokrat akzeptiere er die Mehrheitsverhältnisse. „Man sieht an den Ergebnissen, dass es nicht um die jeweiligen Personen ging, sondern darum, in welchem Netzwerk die Personen organisiert sind“, so Spaniel. Er könne nicht erkennen, dass Weidel den „Flügel“einbinden wolle und bezweifle, dass sie den Verband befrieden könne.
GWie geht es jetzt weiter?
Inhaltlich ändert der Sieg des Weidel-Lagers wohl wenig. Sie hat sich mit dem ganz rechten Rand arrangiert. Entscheidend für die interne Einigkeit dürfte sein, ob sich die „Flügel“-Kreisverbände hinter den neuen Landesvorstand stellen. Ohne die Aktiven dort sind Wahlkämpfe schwer zu organisieren. Selbst erfahrene AfD-Landespolitiker bezweifeln, dass nun endgültig Ruhe einkehrt. Sie rechnen mit Gegenwehr des „Flügels“als auch der ihm nahestehenden Landtagsabgeordneten.