„Die Landshut ist ein Symbol“
Ex-Stewardess Gabriele von Lutzau sucht nach einem Standort für das Wrack der 1977 entführten Lufthansa-Maschine – Im Interview erklärt sie, warum ein „Museum des Deutschen Herbstes“gerade jetzt wichtig wäre
- Weil sie sich mutig für die Passagiere der 1977 von palästinensischen Terroristen entführten „Landshut“eingesetzt hatte, bekam Gabriele von Lutzau, geborene Dillmann, einst von Kanzler Helmut Schmidt das Bundesverdienstkreuz. Nun sucht die ehemalige Stewardess, die heute eine erfolgreiche Bildhauerin ist, in Berlin politische Unterstützung für ein RAF-Museum mit dem Flugzeugwrack auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Derzeit steht die „Landshut“noch in Friedrichshafen. Vor mehr als zwei Jahren war sie von Brasilien an den Bodensee überführt worden, wo sie ausgestellt werden sollte. Bis dato gibt es aber kein Konzept dafür. Maria Neuendorf hat sich mit der 65-jährigen Gabriele von Lutzau über die Erinnerung an den Deutschen Herbst unterhalten.
Frau von Lutzau, in der „Landshut“haben Sie die schlimmsten Tage Ihres Lebens verbracht. Warum ist sie Ihnen so wichtig?
Sie ist ein Symbol für die Zeit des Deutschen Herbstes. Außerdem hat sie uns das Leben gerettet. Bei der Notlandung im Jemen sind Steine und Sand ins Getriebe gekommen. Der Pilot sagte zu mir: „Die ist so heiß, entweder wir schaffen es, oder es gibt einen großen Feuerball und wir sind sofort tot.“Deswegen bin ich der „Landshut“so dankbar.
Sie gehörten damals zu den Geiseln, die als erste erschossen werden sollten. Wie erträgt man diese Todesangst?
Einfach nicht daran denken und weiterarbeiten. Ich war damals in der glücklichen Lage, dass ich mich um andere kümmern konnte. Einfach nur in die Ecke hocken und weinen, dass hätte niemandem etwas gebracht, vor allem mir nichts.
Mit Ihren 23 Jahren wurden Sie zur Hauptansprechperson für die Entführer.
Die Chefstewardess konnte nicht so gut Englisch. Sie hat nur zitternd das Mikrofon in die Runde gehalten, nach dem Motto: Wer übernimmt? So wurde ich zur Dolmetscherin. Eigentlich war ich in einer schlechten Lage. Denn wenn wir tatsächlich gegen die RAF-Gefangenen ausgetauscht worden wären, hätten mich die Entführer wohl mitgenommen.
Wie konnten Sie den Passagieren helfen?
Unter anderem schon durch reden. Mit ihnen zu sprechen, war ja bei Todesstrafe verboten. Ich habe ihnen trotzdem Informationen zugeflüstert, sie mal gedrückt und gestreichelt. Immer wenn es wieder in die
Luft ging, war da ja wenigstens wieder Hoffnung.
Der Höllentrip dauerte fünf Tage. Haben die Geiseln hinterher psychologische Hilfe bekommen?
Nein, keine. Die junge Schönheitskönigin, bei der der Anführer schon mit der Pistole am Kopf bis zehn zählte, um Kerosin für den Weiterflug zu erpressen, musste ihre Therapie selbst zahlen und hat sich schwer verschuldet. Manche der älteren Passagiere sind danach schnell gestorben. Andere haben sich totgesoffen. Ehen sind zerbrochen. Ich habe gesehen, wie ein Mann seiner frisch vermählten Frau das letzte Wasser weggetrunken hat, als sie weggedöst war. Die Geiseln, die noch leben, leiden bis heute. Wenn dir jemand Alkohol über den Körper gießt, damit du schneller brennst, dann stirbt trotzdem ein Teil von dir, auch wenn dich danach die GSG 9 rettet.
Wie haben Sie das verarbeitet?
Ich bin ein widerstandsfähiger Mensch. Nach außen bin ich lebensfroh, jemand, der gerne lacht und das Leben feiert. Meine Tiefen lebe ich in meiner Kunst aus. Den bösen Geistern muss man gute entgegensetzen. Ich schnitze zum Beispiel „Seelenvögel” aus Thuja-Holz. Sie sollen an die Opfer des Amoklaufs von Norwegen erinnern.
Sie wurden eine erfolgreiche Bildhauerin. Sie sind nie wieder als Stewardess geflogen?
Ich war damals frisch in meinen Mann verliebt, der mir nach der Befreiung noch in der Flughafenhalle einen Heiratsantrag gemacht hat. Gleich darauf wurde ich schwanger und konnte schon deshalb nicht gleich wieder in den Flieger steigen. Aber wenn ich wie jetzt von Frankfurt nach Berlin komme, dann fahre ich lieber Bahn.
Man bezeichnet Sie bis heute als „Engel von Mogadischu“. Wie gehen Sie mit dem Rummel um?
Irgendwann sagte ich, ich mache keine Interviews und gebe keine Autogramme mehr. Die Leute haben einfach Bilder von mir aus dem Internet gezogen. Mir hat jemand zehn Stück mit frankiertem Rückumschlag zugeschickt und gebeten, nur vorne zu unterschreiben. Die „Autogrammkarten“wurden dann für 9,80 Euro auf Ebay angeboten. Doch derzeit würde ich mich auf jedes Podium setzen, um zu verhindern, dass die „Landshut“über zwei Jahre nach ihrer Überführung aus Brasilien nicht weiter am Bodensee verrottet.
Sie waren ursprünglich für eine Ausstellung im Dornier-Museum
in Friedrichshafen. Warum nun Tempelhof?
Ich fand das Dornier-Konzept sehr gut. Doch wenn die Kulturstaatsministerin nun sagt, das Projekt sei dort gescheitert, dann müssen eben Alternativen her. Ich finde, das große Areal des ehemaligen Flughafens Tempelhof eignet sich gut. Mit dem riesigen, denkmalgeschützten Gebäude, in das ja auch das Alliiertenmuseum einziehen soll, muss man etwas machen, genauso wie mit der „Landshut“. Die Berliner SPD, die Tempelhof für zu teuer hält, bringt auch noch den Flughafen Fulsbüttel in Hamburg, Helmut Schmidts Geburtsstadt, ins Spiel. Aber die Maschine einfach nur so hinzustellen, reicht mir nicht.
Sie wünschen sich ein „Museum des Deutschen Herbstes“mit dem Flugzeug als Hauptattraktion?
Ich bin nicht für Blut, Schweiß und Tränen. Aber es macht einen Unterschied, wenn man Geschichte zum Anfassen zeigen kann. Wir haben auch die originalen Sitze wiedergefunden. Die „Landshut“sollte restauriert und begehbar gemacht werden und in den Kontext des Terrorismus gestellt werden. Dort sollte auch der Polizisten und Fahrer gedacht werden, die damals quasi als Kollateralschaden einfach von den RAF-Leuten abgeknallt wurden, von denen, die angeblich eine Revolution für die kleinen Leute wollten.
Wie haben sich die Geiseln damals gefühlt, als die Schmidt-Regierung nicht auf die Austausch-Forderungen einging?
Verlassen. Weil wir keine Informationen hatten, dachten wir, die Welt da draußen interessiert sich nicht für uns. Aber für das Stockholm-Syndrom
(Phänomen, bei dem Opfer ein emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen, Anm. d. Red.)
waren die Täter einfach zu gemein. Sie haben gequält, gefoltert und gemordet. Damals hat sich der Staat wehrhaft gezeigt und war trotzdem demokratisch. Ich finde, das sollte man der Jugend auch mal sagen. Unsere Geschichte ist Teil des Bildungsauftrags.
Was sagen Sie zu heutigen Extremismus-Tendenzen?
Wenn ich höre, dass die Frau eines FDP-Politikers auf offener Straße angespuckt wird und seine Kinder nur unter Polizeischutz zur Schule gehen können, macht mir das Angst. Wenn ich sehe, wie Extremisten Autos in Brand setzen und Todesdrohungen aussprechen, dann habe ich Sorge, dass das irgendwann in einer RAF 2.0 mündet. Damals fing ja auch alles mit einem Kaufhausbrand an.