Wo Apotheken und Supermärkte an Grenzen stoßen
Sie sollen in der Coronakrise die Versorgung sicherstellen – Ohne Mithilfe der Bürger geht das nicht
G- Absperrband und Stühle begrenzen den Empfangsbereich in der Tuttlinger Rathaus-Apotheke von Jürgen Kohler. Er hält in diesen Tagen Abstand zu seinen Kunden. Seine Apotheke gehört zu den wenigen Anlaufstellen, die in der Corona-Krise geöffnet bleiben. Aber nicht alle können ihren Betrieb so wie Kohler umstellen, dass das Infektionsrisiko minimiert wird. Lebensmittelhändler haben es weitaus schwerer und sind umso mehr auf die Mithilfe der Käufer angewiesen.
1,5 Meter Sicherheitsabstand und nur vier Kunden gleichzeitig in der Apotheke – der Rest muss draußen warten. Geld und Medikamente werden nicht von Hand zu Hand, sondern über eine Plastikbox ausgetauscht. Das sind nur wenige von vielen Maßnahmen, die Kohler seit Montag in seiner Apotheke vorschreibt. „Die Kunden halten sich zu 90 Prozent daran. Die meisten haben wirklich Verständnis.“
Ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt, in einer Bäckerei im Vorraum eines Supermarkts, spricht eine Mitarbeiterin ganz anders. „Die Leute nehmen das zu sehr auf die leichte Schulter, vor allem die jungen. Ab fünf Uhr am Nachmittag stehen sie wie Trauben an der Kasse.“Viele hätten den Ernst der Lage nicht erkannt, sagt die Verkäuferin verärgert.
Patricia Ferraro zählt zu den Ausnahmen. Seit Montag kauft die Tuttlingerin nur noch mit Einweghandschuhen ein. „Ich weiß ja nicht, wer den Einkaufswagen vor mir geschoben hat.“Sie sei mit ihren Nerven so gut wie am Ende. „Am liebsten würde ich Desinfektionsmittel trinken“, sagt sie. Die aktuelle Lage verunsichere sie. Dennoch kauft sie wie gewohnt ein: So, dass es für eine Woche reicht. Statt großem Kartoffelsack müssen jetzt Drillinge reichen, statt Toastbrot gibt es Brötchen vom Bäcker. Vieles ist vergriffen. Die Leute hamstern. Das beobachtet auch eine Mitarbeiterin an der Infothek im nächsten Supermarkt.
Daher wird rationiert. Im E-Center in der Tuttlinger Weimarstraße hängen Zettel an der Kasse aus: Bei Hefe, Essig, Öl und Aufbackbrötchen dürfen Kunden nicht mehr ungehemmt zugreifen. Maximal zwei Pakete oder Flaschen sind erlaubt, der Rest wird an der Kasse eingezogen. Kaufland reglementiert die Käufe von Mehl, Brotbackmischungen, Zucker und Reis. Eine regionale Entscheidung, zu der sich die Filialleitung nicht äußern möchte. Aus der Zentrale in Neckarsulm heißt es jedoch: „Aufgrund unseres großen Sortiments ist die Warenversorgung grundsätzlich gewährleistet. Da unsere Filialen laufend mit neuer Ware beliefert werden, ist die Warenversorgung auch weiterhin sichergestellt. Daher planen wir aktuell keine bundesweite Rationierung der Warenabgabe an unsere Kunden.“
Die Regale in Jürgen Kohlers Apotheke wirken dagegen gut bestückt. Aber Desinfektionsmittel sei vergriffen, sagt der Inhaber. Außerdem stünden Fieberthermometer hoch im Kurs. Bei seinem Kollegen Rainer Koch in der Engel-Apotheke landet regelmäßig Paracetamol auf der Bestellliste. Er hat wie Kohler vorgesorgt, zusätzlich einen Glasschutz an der Theke installiert, der das Virus von seinen Mitarbeitern fernhalten soll. Diese tragen zudem Handschuhe. „Wir haben versucht, nach jedem Kundenkontakt die Hände zu waschen. Aber das verträgt die Haut nicht.“Also sei man auf Handschuhe umgestiegen, erklärt Koch.
Besonders herausfordernd sei die Organisation seines Lieferservices. Wer Medikamente zu sich nach Hause bestellt, muss jetzt angeben, ob er sich in Quarantäne befindet. Arztpraxen, die seine Mitarbeiter anfahren, hätten alle ihre eigenen Spielregeln in der aktuellen Krisensituation aufgestellt. Da müsse man sich anpassen. Manche nehmen die Lieferung an der Türe an, andere nicht.
Auch Supermarktketten bemühen sich um verschärfte Hygiene. So fordern Kaufland, Lidl und Edeka dazu auf, mit der Karte statt bar zu bezahlen. Außerdem arbeite man an Maßnahmen, dass Kunden mindestens zwei Meter Abstand halten, heißt es aus der Kaufland-Pressestelle. Die Realität sieht oft anders aus. Bestenfalls Kunden, die einen Wagen vor sich herschieben, halten den Abstand ein – mit einem zugedrückten Auge.
Zu Vorsorgemaßnahmen, gerade auch was offene Backwaren sowie Obst- und Gemüsetheken betrifft, halten sich die Märkte eher bedeckt. In allgemeinen Pressestatements beteuern Aldi, Lidl und Kaufland, die ohnehin schon geltenden Reinigungsund Desinfektionsmaßnahmen intensiviert zu haben. Im Gespräch mit einem Servicemitarbeier dringt durch, dass es auch keine großen Alternativen gebe. „Der Mitarbeiter, der die Obst- und Gemüsetheke befüllt, trägt eh schon Handschuhe. Klar, jetzt nutzt er noch öfter Desinfektionsmittel.“Letztlich trage aber der Kunde auch Verantwortung, zum Beispiel, indem er in die Armbeuge niest statt auf das Frischobst. Außerdem sollten sie den Mitarbeitern nicht zu nahe zu kommen.
Und was, wenn sich ein Angestellter
infiziert und gleich alle Mitarbeiter in Quarantäne kommen? „Dann entscheidet die Zentrale über eine Schließung“, erklärt der Mann. Bislang seien alle gesund geblieben. „Gott sei Dank. Zwei Leute haben sich aber vorsorglich testen und krankschreiben lassen, da sie vermutet haben, Kontakt mit einem Infizierten gehabt zu haben.“
Rainer Koch hat für seine Apotheke einen Pandemieplan erstellt. Wobei der nicht endgültig sei, dazu sei sie Lage zu dynamisch. Abgesehen von dem einen oder anderen Vordrängler laufe der Apothekenbetrieb trotz Einschränkungen rund.
Die Unterstützung aus der Bevölkerung sei wichtig. Das gelte auch für Sonntags-Notdienste. „Die Menschen sollen überlegen, ob die Kontaktaufnahme notwendig ist, oder ob es nicht einen Tag warten kann.“Man arbeite derzeit an der Belastungsgrenze, sagt Koch. Dabei wollten die Apotheken ihrem gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung gut zu versorgen, weiter nachkommen.