Gebeugte Weiden, stolze Schwäne
Friedrich Hölderlins 250. Geburtstag, eine Ausstellung in Lauffen und das Virus
er ihmG während seiner Zeit im Tübinger Turm begegnete, musste wohl den Eindruck gewinnen, etwas Fremdes sei ihm über den Weg gelaufen. Er ist 37 und manchmal aufbrausend, dann wieder zerfahren und als wolle er verbergen, welche Sprachmächtigkeit in ihm wohnt. Ob er tatsächlich geistig verwirrt ist, wie ihm angedichtet wird? Es sieht nicht so aus. Der Tübinger Schreinermeister Ernst Friedrich Zimmer jedenfalls, der Hölderlin 1807 in seine Familie aufnimmt und ihm ein kleines Turmzimmer direkt am Neckar überlässt, ist nicht dieser Ansicht. Er bewundert den Mann und ahnt vielleicht auch, wie traumatisch der Aufenthalt in einer sehr speziellen Tübinger Klinik für Johann Christian Friedrich Hölderlin gewesen sein muss. Bei der Behandlung in der „Irrenanstalt“kam unter anderem eine lederne Gesichtsmaske zum Einsatz, die den Patienten am Schreien hindern sollte. Höchstens drei Jahre, so die Diagnose des Klinikleiters Autenrieth, habe der Patient noch zu leben.
Aber auch daran hielt Hölderlin sich nicht. Er genoss noch weitere 36 Jahre den Blick, den er von seinem Turmzimmer aus hatte: da unten der Neckar, die gebeugten Weiden, die stolzen Schwäne. Und er schrieb ja auch weiter. Heroische Gesänge, in denen er eine aus dem Geiste des antiken Mythos beseelte Renaissance der Kunst und Literatur beschwor, waren das nicht mehr, Gedichte aber schon. Sie sind eher kurz und traurig, als sei Hölderlin immer noch auf der Suche nach Unerreichbarem. Unterschrieben hat er in der Regel mit „Scardanelli“.
Der Turm in Tübingen markiert den Endpunkt eines Dichterlebens und wurde anlässlich des 250. Geburtstags von Hölderlin neu gestaltet. Etwas weiter im Norden, der Neckar ist da schon knapp hundert Kilometer älter, steht das Haus, von dem aus Hölderlin ins Lebens startete. Auch das Gebäude in Lauffen am Neckar wurde generalüberholt und mit einer thematischen Ausstellung zum Leben des Dichters ausgestattet. Geplant war eine Eröffnung an diesem Freitag, fristgerecht zum 250. Geburtstag. Dann kam aber Covid-19 und die Meldung, die Eröffnung müsse leider verschoben werden. Im Moment geht die Leiterin des Hölderlinhauses, Eva Ehrenfeld, von einem Eröffnungstermin Anfang Juni aus.
Das frisch restaurierte Haus hat noch den Originalzuschnitt aus der Zeit Hölderlins. Auf ein Detail sollten Besucher besonders achten, wenn es im Juni tatsächlich so weit sein sollte: auf eine über drei Stockwerke reichende Holztreppe, die die Zeiten überstanden hat und von einem gedrechselten Baumstamm in der Mitte zusammengehalten wird. Für damalige Zeiten, so ist zu lesen, war das ein „unglaubliches Luxusobjekt“. Die Hölderlins gehörten aber dem gehobenen Bürgertum an, da konnte man sich so was schon mal leisten. Eigentlich, so der Plan der Mutter, sollte auch der kleine Friedrich diesem schon etwas erhabenerem Segment der Ständegesellschaft angehören. Der Stammhalter hatte aber andere Pläne und schrieb Texte, die in der Ausstellung unter Überschriften wie „Wanderer“oder „Der Politische“gezeigt werden. Zu sehen
Wsind Briefzeilen wie die vom April 1795 an den Freund Ludwig Neuffer: „Ich war zu Ende des Winters nicht ganz gesund, aus Mangel an Bewegung, ... ich half mir durch einen Spaziergang, den ich über Halle nach Dessau, und von da über Leipzig zurückmachte“. Oder Verse wie in „Der Frieden“: „Zu lang, zu lang schon treten die Sterblichen / Sich gern aufs Haupt, und zanken um Herrschaft sich. / Den Nachbarn fürchtend, und es hat auf / Eigenem Boden der Mann nicht Segen.“
Die Briefzeilen geben einen Eindruck davon, was für ein ausdauernder Fußgänger Hölderlin war. Das waren immerhin 200 Kilometer, in deren Verlauf der 25-Jährige sich gesund spazierte. Die Verse, in denen es später heißt, das Leben der Armen sei „kalt von Sorgen“, verweisen auf den Republikaner Hölderlin, der kein Hehl daraus machte, dass er in der Französischen Revolution ein Vorbild für eine Erneuerung der Ständegesellschaft sah. Darüber nachgedacht hat er schon in der Studienzeit, als es im bemerkenswertesten Dreierbund der mitteleuropäischen Ideengeschichte um ein Systemprogramm des deutschen Idealismus ging. Anders als die Kollegen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Josef Schelling schaffte Hölderlin aber nicht den Sprung an eine der damals wichtigen Universitäten. Er war an erster Stelle Dichter und formulierte seine Idee einer aus dem Geiste der griechischen Antike geborenen heroischen Nation vor allem im lyrischen Briefroman „Hyperion“. Leben konnte er davon nicht. Er musste immer wieder als Hauslehrer arbeiten und Zeit seines Lebens die Mutter um Geld bitten.
Er war auch anders als der Mann, der elf Jahre vor ihm einen Katzensprung von Lauffen entfernt zur Welt kam. Hölderlin grübelte, war unsicher und nicht selten unglücklich verliebt. Johann Christoph Friedrich Schiller dagegen, geboren in Marbach am Neckar, war ein Stürmer und Dränger, floh als junger Mann mit dem dramatischen Erstling im Rucksack nach Mannheim und war dabei, als „Die Räuber“dafür sorgten, dass sich im Publikum eine neurotische Angst vor einer gewalttätigen Umwälzung der Verhältnisse ausbreitete. Schiller, der Hölderlin eine Zeit lang förderte, konnte aber auch klassisch gesetzt wirken und gehörte schnell zum universitären und poetischen Establishment. Hölderlin
gehörte nie dazu und wirkte vor allem wegen seiner aussichtslosen Liebe zur Frankfurter Bankiersgattin Susette Gontard, als kehre immer wieder pubertärer Spott und Übermut bei ihm ein, nur damit er sich kurz darauf in Verzweiflungsschluchten stürzen konnte.
Man darf gespannt sein, wie das ist, wenn man sich in Lauffen einem Mann nähert, dessen Dichtung für eine geistesgeschichtliche Epoche steht. Wer mehr darüber wissen will, wie das mit Hölderlin war, kann die im Vorfeld des Jubiläums erschienene Biografie von Rüdiger Safranski zur Hand nehmen. Liest man „Hölderlins Geister“, eine essayistische Annäherung des Romanautors KarlHeinz Ott, wird man in tiefere Schichten von Hölderlins Dichtung gezogen und hat dieses Gefühl, gerade jetzt sei eine Lektüre notwendiger denn je. Der Virus, dieser Zwang zur inneren Einkehr und dieses „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch“laden dazu ein.
Neueröffnung in Lauffen am Neckar. Voraussichtlich Anfang Juni. Öffnungszeiten Do 17 - 20 Uhr,
Sa und So 13 - 18 Uhr.
Hölderlins Geister, 236 Seiten, Hanser Verlag München. 22 Euro.
Hölderlin Komm! ins Offene, Freund! Biographie, 335 Seiten, Hanser Verlag München. 28 Euro.
„Komm! ins Offene, Freund!“Unterwegs mit Friedrich Hölderlin im deutschen Südwesten. 160 Seiten mit 14 Landkarten. verlag regionalkultur. 14,90 Euro.