Wenn die neue Hüfte warten muss
Verschobene Operationen, abgesagte Arzttermine – Was Corona für Patienten bedeutet
- Wer in der CoronaKrise auf eine Hüftprothese wartet oder darauf, dass seine Nierensteine entfernt werden, braucht unter Umständen viel Geduld. Auf Anweisung der Bundesregierung werden derzeit auch im Südwesten viele planbare Operationen verschoben – um Platz für dringliche Corona-Fälle zu schaffen. Auch von Facharztbesuchen, die nicht unbedingt nötig sind, wird abgeraten. Patienten sind verunsichert. Dreht sich jetzt alles nur noch um Corona? Die wichtigsten Fragen zum Gesundheitssystem:
Wer entscheidet, welche Operation dringlich ist und welche nicht?
„Das sind Einzelfallentscheidungen“, erklärt Annette Baumer von der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG). Das heißt: Der behandelnde Arzt entscheidet, ob ein Eingriff derzeit notwendig ist oder nicht. Manche Kliniken geben ihren Ärzten dabei eine Orientierungshilfe an die Hand. Die Oberschwabenklinik etwa hat der Fairness halber für den internen Gebrauch eine Liste erstellt, anhand derer die Ärzte an den drei Standorten entscheiden, welche Fälle aktuell noch operiert werden. Andere Krankenhäuser haben das nicht. An den Sana-Kliniken im Landkreis Biberach entscheiden die verantwortlichen Chefärzte der einzelnen Fachbereiche.
Wie viele und welche Operationen werden verschoben?
„Operationen, die nicht zeitkritisch sind und bei denen der Termin variabel ist, ohne dass der Patient Schaden nimmt – sogenannte Elektiveingriffe – werden verschoben“, heißt es etwa vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm. „Erforderliche Eingriffe, zum Beispiel Tumoroperationen, oder Notfalleingriffe im Rahmen der Rettung, werden weiterhin ohne Einschränkungen durchgeführt.“Für das Bundeswehrkrankenhaus bedeutet das, dass derzeit etwa die Hälfte der Operationen zugunsten der Versorgung von Corona-Patienten verschoben wird. An der Uniklinik Ulm waren es in der vergangenen Woche ungefähr 300 Operationen weniger als im Vorjahreszeitraum. An den Sana-Kliniken Biberach wurden bis auf wenige Ausnahmen alle planbaren Operationen verschoben, an der Oberschwabenklinik mit den Standorten Ravensburg, Wangen und Bad Waldsee sind es bisher rund zwei Drittel – Tendenz steigend. Aber: „Zum Teil entscheiden Patienten auch von sich aus, dass sie wegen der aktuellen Situation nicht operiert werden wollen“, sagt Annette Baumer von der BWKG.
Wann sollen die Operationen nachgeholt werden?
Schwer zu sagen. Die Klinik in Wangen vergibt derzeit Nachholtermine ab Juli. Ob die eingehalten werden können, weiß jedoch keiner. Die meisten Krankenhäuser bitten ihre Patienten, sich nicht selbst um einen neuen Termin zu bemühen, sondern abzuwarten. „Sobald wir unsere Kliniken wieder im Normalmodus betreiben können, kontaktieren wir die betroffenen Patienten und machen neue Termine aus“, heißt es etwa in einer Pressemitteilung des Alb-Donau-Klinikums in Ehingen.
Was ist mit Kontroll- und Vorsorgeuntersuchungen beim Hausoder Facharzt?
„Wir empfehlen im Moment, von diesen Untersuchungen Abstand zu nehmen“, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. „Auf den jährlichen Termin beim Frauenarzt zum Beispiel sollte im Augenblick verzichtet werden, sofern es keine Beschwerden oder einen anderen dringenden Grund dafür gibt.“Viele solcher Termine werden von den Praxen selbst abgesagt. Wer seinen Arzt trotzdem sprechen möchte, kann anfragen, ob Sprechstunden per Video oder Telefon angeboten werden. „Das wird jetzt verstärkt genutzt“, sagt Sonntag. Viele Ärzte bitten Patienten darum, sich auch bei akuten Beschwerden zunächst telefonisch in der Praxis zu melden.
Während händeringend nach medizinischem Personal gesucht wird, wollen Arztpraxen in Kurzarbeit gehen. Wie passt das zusammen?
Die KVBW hat bei Ärzten nachgefragt, ob sie sich vorstellen könnten, gegebenenfalls im Krankenhaus auszuhelfen. „Da gab es auch einiges an Rücklauf“, sagt Sonntag. „Die Ärzte setzen sich jetzt direkt mit den Krankenhäusern in Verbindung. Die Frage ist nur: Welche ärztliche Kapazität brauchen die Krankenhäuser im Moment? Es gibt mit Sicherheit Potenzial. Aber wie groß das ist, ist schwer einzuschätzen.“Praxen, die wegen Corona finanzielle Einbußen haben, werde man in jedem Fall unterstützten, sagt Sonntag. „Wir sehen im Augenblick aber noch keine existenzielle Bedrohung.“
Warum sind Zahnärzte besonders betroffen?
Höchste Infektionsgefahr, wenig Hilfe vom Staat: Zahnärzte trifft die
Krise doppelt. Zum einen ist für sie die Gefahr einer Ansteckung besonders groß, weil sie ihren Patienten sehr nahe kommen müssen und deshalb dringend auf die knapp werdende Schutzausrüstung angewiesen sind. Zum anderen bangen Zahnärzte wegen des Patientenrückgangs um ihre Existenz und sind im von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgelegten „Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz“nicht berücksichtigt. Während die Kassenzahnärztliche Vereinigung BadenWürttemberg (KZVBW) zuversichtlich ist, den Mangel an Schutzausrüstungen demnächst in den Griff zu bekommen, wiegen die wirtschaftlichen Folgen schwerer. „Der Patientenrückgang ist derzeit in den Praxen insgesamt massiv“, sagt Florian Wahl von der KZVBW. „Als Freiberufler tragen die Zahnärzte das volle Risiko und stellen gleichzeitig die Versorgung sicher. Es ist deshalb völlig unverständlich, dass Zahnärzte von den finanziellen Hilfsmaßnahmen ausgeschlossen wurden. Zahnärzte müssen unter diesen Schutzschirm, sonst wird es weitreichende negative Konsequenzen für den Berufsstand und somit für die zahnärztliche Versorgungssituation in Baden-Württemberg haben.“