Bescheinigung für Medizintechnik-Firmen
Medical Mountains stellt Unternehmern Formular aus, wonach die Arbeit systemrelevant ist
- Von spanischen Verhältnissen ist Deutschland noch entfernt. Bisher dürfen die deutschen Bürger noch zu ihrer Arbeitsstelle fahren. Die Tuttlinger Cluster-Initiative Medical Mountains will es gar nicht bis zu einer Einschränkung kommen lassen. Sie stellt den Unternehmern eine Bescheinigung aus, wonach die Arbeit ihrer Angestellten systemrelevant ist. Auf Unterstützung aus dem Landes-Sozialministerium wartet der Verband aber noch.
Am Samstag hat die spanische Regierung die Ausgangsbeschränkungen für ihre Bürger weiter verschärft. Alle nicht „lebenswichtigen“Fabriken sind geschlossen. Die Mitarbeiter sollen zwei Wochen – bei Fortzahlung des Gehaltes – zu Hause bleiben, um die weitere Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Mit 110 238 Infektionen und 10 003 Toten gehört das Land zu den am heftigsten von der Lungenkrankheit betroffenen Regionen.
Noch darf in Tuttlingen jeder seiner Arbeit nachgehen. Viele Firmen haben zusätzlich zu den gängigen Hygieneund Vorsichtsmaßnahmen wie häufiges Händewaschen – an die sich ohnehin jeder halten sollte – eigene Vorkehrungen getroffen. Neben Mitarbeitern im Home-Office hätten Firmen auch bei Schreibtisch-Jobs auf zwei Schichten umgestellt, damit sich die Mitarbeiter nicht zu nah kommen, berichtet Julia Steckeler, eine der Geschäftsführerinnen von Medical Mountains.
Ob das auch weiterhin so ist, stellt sie ein wenig in Frage. Schließlich ist die Fluktuation von Menschen in Tuttlingen groß. Mit fast 17 000 Einund 5 000 Auspendlern besteht ein reger Austausch über die Ortsgrenzen hinaus. Eine Kontrolle auf dem Weg zum beziehungsweise das Abhalten vom Erreichen des Arbeitsplatzes hätte durchaus größere Auswirkungen. Deshalb stellt Medical Mountains den Medizintechnik-Unternehmen eine Bescheinigung aus, dass die Mitarbeiter in systemrelevanten Firmen beschäftigt sind. Gerade bei den produzierenden Betrieben sei dies notwendig, damit immer ausreichend Produkte für die Medizin zur Verfügung stehen.
Auf dem Formular, das Medical Mountains anhand des Paragrafen 6 in der Verordnung des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz zur Kritischen Infrastruktur erstellt hat, steht, dass die jeweilige Firma „einen wesentlichen Beitrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung leistet und damit zur Kritischen Infrastruktur zu zählen ist. Medical Mountains beruft sich dabei auf den Abschnitt eins, wonach „die Versorgung mit unmittelbar lebenserhaltenden Medizinprodukten, die Verbrauchsgüter sind“zu den kritischen Dienstleistungen im Sektor Gesundheit zählt. Die Versorgung werde, so heißt es im Verordnungstext, in den „Bereichen Herstellung und Abgabe erbracht“. Medical Mountains weist in dem vorgefertigten Schreiben, das vom Unternehmen durch das Eintragen der Personalnummer des Mitarbeiters, dem Firmenstempel sowie einer Unterschrift des Geschäftsführers vervollständigt wird, darauf hin, dass bei Ausfall oder Beeinträchtigung der Unternehmen „nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen für die medizinische Produktionsund damit die Patientensicherheit eintreten“würden.
Um dies zu verhindern und die Versorgung mit Medizinprodukten für die Bevölkerung sicherzustellen, hat Medical Mountains selbst gehandelt. Eine Anfrage beim Sozialministerium des Landes blieb, so Steckeler, ebenso wie die Nachfrage unserer Zeitung ungehört. „Mir wäre es auch lieber gewesen, das Land hätte gesagt, wir unterstützen das. Ich möchte jetzt aber nicht mehr warten. Wir machen damit ja nichts Falsches“, sagt sie.
Ein Freifahrtschein, dass Kinder in einer Notgruppe aufgenommen werden können, ist das ausgestellte Formular nicht. „Da gibt es klare Vorgaben. Für den Kindergarten wird das Schreiben nicht reichen“, sagt Steckeler. Zur kritischen Innfrastruktur gehören beispielsweise Mitarbeiter im medizinischen Bereich, aus der Verwaltung und Justiz oder vom Notfall- und Rettungswesen.