Zurück ins Leben
Immer mehr Menschen gelten nach einer Corona-Infektion als geheilt – Ihre Genesung und ihre Geschichten machen Mut für die Zukunft
Wer in diesen Tagen Hans Bösmüller trifft, kommt in einen seltenen Genuss. Er erlebt eine Vertrautheit, die uns vor Kurzem noch so selbstverständlich war wie der Griff zum Kaffee am Morgen. Und die trotzdem schlagartig aus unserem Leben verschwand: der Händedruck. „Sehr gerne gebe ich Ihnen die Hand“, sagt der 59-Jährige, packt kräftig zu und lacht, weiß er doch, dass sich körperliche Nähe in Zeiten von Corona wie eine Kostbarkeit anfühlen kann. Bösmüller, Professor für Pathologie am Universitätsklinikum Tübingen, vermag diesen Luxus ohne Bedenken zu teilen, weil er nach seiner Covid-19-Erkrankung inzwischen geheilt ist und damit nicht nur immun gegen das Virus, sondern auch für andere nicht ansteckend. „Nun bekomme ich Aufmerksamkeit wie nicht einmal in der Blüte meiner Jugend“, sagt er.
Das ist gut so, auch im übertragenen Sinne. Denn der Fokus liegt derzeit noch auf Zahlen, die eine bittere Sprache sprechen. Immer mehr Menschen infizieren sich, immer mehr Menschen sterben an Covid-19, die Welt befindet sich in einem Taumel, der nur eine Richtung zu kennen scheint, nämlich abwärts. Die Betonung liegt auf scheinbar, denn auch immer mehr Menschen gelten als genesen und geheilt, mehr als 50 000 sollen es Schätzungen zufolge schon sein. Sie alle stehen für die Hoffnung auf eine Zukunft, die glücklicherweise schon begonnen hat.
Hans Bösmüller gehörte zu den ersten Coronainfizierten in Deutschland. Der Österreicher, ausgestattet mit Ironie und Schmäh („Ich habe einen rot-weiß-roten Migrationshintergrund“), ließ sich bereits am 25. Februar mit Verdacht auf Covid-19 in der Notaufnahme des Tübinger Klinikums einliefern, zusammen mit seiner Tochter Christina. Die 24-Jährige war zuvor von einer Kurzreise aus Mailand zurückgekehrt. „Bei der Begrüßung haben wir uns umarmt“, sagt Bösmüller. Anschließend wurde gemeinsam Abend gegessen und sich am nächsten Morgen verabschiedet. „Das hat gereicht.“Damit die Tochter das aus Italien mitgebrachte Virus auf den Vater überträgt. Zunächst unbemerkt, klar, denn die Gefahr ist unsichtbar, sie entfaltet ihre Wirkung schleichend.
Bösmüller bekam erst Erkältungsbeschwerden, wurde auch nicht misstrauisch, als später der Nacken schmerzte. Plötzlich spielte jedoch sein Geschmackssinn verrückt. Manches mundete seifig oder wie nach ranziger Butter. Anderes wiederum nahm er überdeutlich wahr, der Kaffee etwa schmeckte nach verbrannten Röststoffen, die geräucherte Makrele nach Rauch. Und der Käsekuchen, den er so liebt, erschien ihm extrem süß. „Das war alles sehr überzeichnet, wie ein Geschmacksverstärker.“
Nach der Diagnose Corona verbrachte er die Zeit auf der Isolierstation zusammen mit seiner Tochter, er mit meist weniger starken Symptomen, sie gänzlich ohne. Dafür mit seelischem Schmerz. „Über die sozialen Medien wie Facebook und Instagram erlebte meine Tochter einen Shitstorm“, sagt der Vater. „Du bringst alle in Gefahr“, schrieben die Leute, oder „Wie fühlt es sich an, wenn man eine Krankheit nach Deutschland einschleppt?“Heute könne die Tochter auch die positive Seite der Beschimpfungen sehen – nämlich als eine „natürliche Freundesselektion“. Hans Bösmüller dagegen erlebte nur Solidarität, manche schrieben ihm aus Spaß, sie seien stolz, ihn zu kennen. Andere meinten: „Steck mich an!“Groß war die Freude, als er seine Arbeit in der Pathologie wieder aufnahm, da gab es nicht nur einen Handschlag, sondern auch Umarmungen. Und bis heute viele Anfragen von Kollegen. „Alle wollen mein Blut“, sagt Bösmüller, der seinen Lebenssaft bereitwillig gibt. Denn bei ihm haben sich schützende Antikörper gegen das Virus gebildet. Diese Immunität der Genesenen soll sich bei der Antikörpertherapie auf andere Patienten übertragen. Das altbekannte Verfahren wird nun für Corona am Uniklinikum Erlangen erforscht, die „Schwäbische Zeitung“berichtete. Im Erfolgsfall lässt sich so eine Infektion verlangsamen oder sogar ganz unterbinden. Ähnliches erhoffen sich Mediziner von dem Malariamittel Hydroxychloroquin. Das Bernd Limberger aus Mannheim schon einnehmen durfte.
Der 46-jährige Ingenieur war zur falschen Zeit am falschen Ort – nämlich im österreichischen Ischgl. Inzwischen ein Synonym für einen unverantwortlichen Umgang mit dem Coronavirus. Auf der Rückfahrt im Auto, wie er der „Schwäbischen Zeitung“am Telefon erzählt, hörten er und seine Freunde Nachrichten über Infizierungen in dem Skiort. „Wir haben noch gesagt: ,Gut, dass wir auf dem Heimweg sind’.“Da war es aber schon zu spät.
Wenige Tage später fühlte er sich schlapp, müde, abgekämpft. Schließlich kamen Beklemmungen in der Brust dazu, das Atmen fiel ihm schwer. Als Limberger in der Notaufnahme des Uniklinikums Mannheim eintraf, hieß es: „Gut, dass Sie gekommen sind.“Die Ärzte führten ihm über eine Nasenbrille Sauerstoff zu und verabreichten Hydroxychloroquin. Große kontrollierte
Studien über die Wirksamkeit des Malariamittels bei Corona gibt es nicht, eine davon läuft am Uniklinikum Tübingen, Ergebnisse stehen noch aus. „Im Labor zeigt es tolle Ergebnisse“, sagt Siri Göpel, Oberärztin am Klinikum. Doch das müsse nicht viel bedeuten, ist der menschliche Körper deutlich komplexer als die Bedingungen in einem Reagenzglas. „Unsere Hoffnungen sind aber groß“, betont Göpel. Die Hoffnung, auch den Menschen mit schweren Krankheitsverläufen zu helfen. Wenn der Hustenreiz immer stärker wird, wenn Betroffene an Atemnot leiden und das Bewusstsein verlieren. Wenn Erkrankungen wie Asthma, Diabetes oder Herzprobleme dem Körper bereits vor der Corona-Infektion alle Reserven abverlangen. „Es wäre schon ein Erfolg, wenn wir durch Hydroxychloroquin die Zahl der Intensivpatienten halbieren könnten“, sagt Siri Göpel. Das würde die Intensivstationen entlasten und Menschenleben retten. „Wir würden dann die Chance erhöhen, dass jeder einzelne Patient auch die Behandlung bekommt, die er braucht.“
Momentan ist dies noch landesweit gegeben, auch am Klinikum Stuttgart, dem größten Krankenhaus
in Baden-Württemberg. „Die Kapazität an Intensiv- und Beatmungsplätzen haben wir deutlich ausgeweitet“, sagt Dr. Gregor Paul, der die Corona-Stationen leitet. Das Angebot, so Paul, sei auch dringend nötig: „Denn häufig verschlechtert sich der Gesundheitszustand von zuvor noch stabilen Patienten innerhalb weniger Minuten deutlich.“
Diese Beobachtungen hat auch Pathologe Bösmüller gemacht, wenn auch nicht bei sich selber. „Ich war völlig unbedarft und bin naiv in die Krankheit reingestolpert“, sagt er, „wie ein klassischer Antiheld.“Der, nun, angefüllt mit „Superkräften“, sprich Antikörpern, dem unsichtbaren Feind trotzt. „Heute würde ich der Krankheit mit wesentlich mehr Angst begegnen“, sagt der 59-Jährige. Weil im Wissen, dass sich nicht jeder Krankheitsverlauf mit dem einer Grippe vergleichen lässt. Und in der Gewissheit, dass man vieles über das neue Virus eben noch nicht weiß. „Das Unbekannte ist das Beängstigende“, sagt Bösmüller. Der nun hilft, diese Leerstellen zu schließen.
Der Pathologe obduziert Patienten, die an Corona gestorben sind. Um herauszufinden, wie sich die Lunge durch die Erkrankung verändert, welche Organe das Virus noch befällt, welche nicht. Und an welchen Stellen im Körper es sich wohl fühlt und welche es meidet. „Da ich immun bin, kann ich entspannt mit den Untersuchungen umgehen“, sagt Bösmüller. Und Erkenntnisse sammeln, die vielleicht zur Heilung von Erkrankten beitragen.
Auch Bernd Limberger aus Mannheim will etwas zurückgeben. Inzwischen erfüllt er die strengen Kriterien des Robert-KochInstituts (RKI) für eine Heilung, auch die zwei Untersuchungen auf das Coronavirus im Abstand von 24 Stunden fielen bei ihm negativ aus. „Ich habe mir von Anfang gesagt: Wie manage ich das Projekt: ,Gesund werden’“, sagt der Ingenieur und lacht. Das Projektziel ist erreicht, jetzt fragt er sich: „Was kann ich mit meiner Freiheit tun?“
Sein Bewusstsein für das eigene Dasein wolle er in Zukunft schärfen, in Körper und Seele mit sensiblen Antennen hineinhorchen. Und dabei trotz seiner Immunität weiter den schützenden Abstand zu den Mitmenschen halten, schon aus Respekt. „Wir alle sind gerade in einer ernsthaften Situation“, sagt der 46-Jährige, der sich in einem Plasmaspendezentrum sein wertvolles Blut abzapfen lassen will. „Hey, bei mir ist die Krankheit glimpflich verlaufen“, sagt Bernd Limberger. So soll es anderen auch ergehen.
Ist dieses „Projektziel“ebenfalls erreicht, freut er sich auf sein Hobby, Limberger ist Kassenwart beim „Mannheimer Grillverein 2012“, möchte mit Freunden wieder Steaks und Bacon auf den Rost legen, wann auch immer das sein wird. Hans Bösmüller ist da schon etwas weiter. „Der Kaffee schmeckt mir wieder“, sagte er. Und, noch wichtiger, auch der Käsekuchen zergeht auf der Zunge. Süß, aber nicht zu süß.
„Ich habe mir von Anfang gesagt: Wie manage ich das Projekt: ,Gesund werden’.“
Bernd Limburger hat sein Ziel erreicht und ist geheilt
„Ich war völlig unbedarft und bin naiv in die Krankheit reingestolpert.“
Dr. Hans Bösmüller über seine Covid-19-Erkrankung