Heilsames Heidentor
Naturdenkmal bei Egesheim war einst ein Kultplatz.
- Die Feierlichkeiten und Veranstaltungen zu 1250 Jahre erste urkundliche Erwähnung von Egesheim müssen wegen Corona abgesagt beziehungsweise auf das kommende Jahr verschoben werden. Damit fällt zunächst einmal auch die Entdeckertour zum Heidentor zwischen Egesheim und Reichenbach aus. Wir bieten hier eine gewissermaßen „virtuelle“Entdeckertour in die Geschichte des eindrucksvollen Natur- und Kulturdenkmals.
Im Volksmund heißt das sechs Meter hohe und drei Meter breite natürliche Felsentor „Heidentor“. Es befindet sich am Plateaurand des Bergrückens Oberburg in zirka 925 Metern Höhe über dem Meeresspiegel. Der traditionelle Name „Heidentor“spricht dafür, dass die Egesheimer wohl früher schon ahnten, dass die Vorfahren aus vorchristlicher Zeit – die „Heiden“eben – diesen besonderen Ort, ähnlich wie den „Götzenaltar“bei Böttingen, als Kultort genutzt haben. Diese Ahnung konnte im späten 20. Jahrhundert auch archäologisch bestätigt werden.
Der Theologe und Germanist Anton Birlinger schrieb in seinem Buch „Volksthümliches aus Schwaben“(Freiburg 1861): „In der Nähe von Egesheim ist ,Oberburg', darauf ein Felsen in Gestalt eines Scheuertores. Daneben ist eine Quelle. Der Fels heißt ,Heidentor’. ,Hainrain’ heißt ferner ein Platz dort und da ist die altberühmte Quelle, ,Millbrönnle’ genannt. Aus diesem Millbrönnle holt man seit alters Wasser für Krankheiten. - In der Nähe ist auch 'Hebersloch', wo es nicht geheuer ist.“Auch die Tatsache, dass man der heute nicht mehr sichtbaren Quelle heilsame Wirkung zuschrieb, und die Gegend in der Nähe als „nicht geheuer“galt, zeigt, dass man diesem Areal auf dem Berg besondere Qualitäten zuschrieb.
In der Tat scheint das Tor und seine Umgebung schon vor vielen Jahrhunderten – genauer gesagt in den sechs Jahrhunderten vor der Zeitenwende, also vor mehr als 2000 Jahren – als Kultplatz genutzt worden zu sein.
Von der Oberburg gibt es Keramikfunde aus der Zeit der älteren Bronze- und jüngeren Urnenfelderzeit (etwa 1300 bis 100 vor Christus), die auf kleinere Hofsiedlungen auf dem Bergplateau hinweisen.
1990 kamen bei unbefugten Schürfungen am Steilhang unterhalb des Heidentors mehrere Bronze- und Eisenfibeln zum Vorschein. Fibeln sind Gewandnadeln, die dem Prinzip der Sicherheitsnadel entsprechen, nur größer sind als moderne Sicherheitsnadeln. Die illegalen Grabungen zwangen die Archäologen dazu, das Gebiet zwischen 1991 und 1993 nach professionellen Standards zu untersuchen, um die archäologische Situation des vermuteten Kultplatzes abzuklären.
Dabei fand man oberhalb des Heidentors bis zum Plateaurand der Oberburg zahlreiche Keramikscherben aus der Bronze- bis zur Frühlatènezeit (ca. 450 bis 380 v. Chr.). Die meisten stammen aber aus der späten Hallstattzeit (ca. 620 bis 450 v. Chr.). In dieser Zeit siedelten in Südwestdeuschland verwandte Volksstämme, die man später unter dem Namen der „Kelten“zusammenfasste.
„Nach Ausweis der Funde“, so Archäologe Hartmann Reim, „wurde der Kultplatz auf der Oberburg zu Beginn des 6. Jahrhunderts vor Christus erstmals von Menschen aus der näheren Umgebung zu gemeinschaftlichen Speise- und Trankopfern aufgesucht. Die Zeremonien dürften auf dem Bergplateau unmittelbar oberhalb des Felsentores stattgefunden haben.“
Die Keramikgefäße, die beim gemeinsamen Kultmal verwendet wurden oder die pflanzliche Opfergaben enthielten, wurden dabei rituell zerschlagen. Es waren meist Miniaturgefäße, darunter sehr kleine, „fingerhutartige“Formen. Unverbrannte Tierknochen sind wohl Überreste des Kultmals. Im Verlauf der Späthallstattszeit, also etwa um 500 vor Christus, scheint sich der Opferplatz beim Heidentor zum Kultbezirk für eine größere Region entwickelt zu haben.
„Wir wissen ziemlich sicher“, so der Vor- und Frühgeschichtler Thomas Stöllner einmal im Interview mit dem Heuberger Bote, „dass in der späten Hallstattzeit, so um 550 (vor Chr.) mit den Niederlegungen von Gewandnadeln und Fibeln, Perlen und Schmuck begonnen wurde. Die meisten Gaben wurden aber außerhalb des Tores am Hang oder auf Zweigen der Bäume niedergelegt, kleine Votivgefäße dagegen aber innerhalb des Tores. Daraus lässt sich eine Art Kultablauf rekonstruieren, dass die Leute dieses Tor durchschreiten und einzelne Objekte vorher ablegen mussten. Woher aber die Leute gekommen sind, muss man in einem größeren Zusammenhang sehen und es vielleicht räumlich zwischen Heuneburg und oberem Neckartal einzugrenzen. Man muss aber aufgrund von rund 500 Kleinfunden davon ausgehen, dass es keine großen Frequenzen waren.“
Die Archäologen glauben anhand ihrer Funde feststellen zu können, dass mit Beginn der Frühlatènezeit die Sachopfer Einzelner die bis dahin dominierenden gemeinschaftlichen Opfer abgelöst haben.
Neben Keramik und Metallgegenständen sind auch Perlen und Schmuck gefunden worden, darunter vasenförmige Glasperlen aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts vor Christus, die aus Griechenland oder Italien stammen dürften, und vielleicht aus dem Beutegut eines keltischen Söldners stammen könnten.
Unter den gefunden Metallgegenständen sind zwar auch Geschossbolzen und kleine, eiserne Miniaturlanzenspitzen. Doch überwogen solche, die aus dem persönlichen Besitz von Frauen stammen, insbesondere die vielen Fibeln. Da diese meist im geschlossenem Zustand, also mit in die Nadelrast eingehängter Spitze, gefunden wurden, vermuten die Archäologen, dass sie wohl zusammen mit Kleidungsstücken, Hauben, Schleiern oder Bändern absichtlich niedergelegt worden seien.
Von den alten Griechen ist bekannt, dass sie die Kleidungsstücke von Kranken oder Wöchnerinnen verschiedenen Gottheiten weihten. Das Gewand, so der Vorgeschichtsforscher Georg Kossack (1923-2004), trat „an die Stelle der Person, die es trug, und wenn Krankheit an ihm haftete, erwartet man Heilung von der Gottheit, der es übergeben wurde“.
Welcher Gottheit die Gaben am Heidentor übergeben wurden, lässt sich natürlich nicht mehr feststellen. Vielleicht aber war es eine, von der man sich Heilung versprach. Die Quellen im Umfeld der Oberburg, denen man bis in unsere Zeit hinein heilkräftige Wirkung zuschreibt, könnten, so vermutet Archäologie Hartmann Reim, in diese Richtung hinweisen.
Quelle: Hartmann Reim: „Felstürme, Höhlen, heilige Zeichen: Zur Sichtbarkeit des Religiösen in der frühkeltischen Eisenzeit Südwestdeutschland“, in: Die frühe Eisenzeit zwischen Schwarzwald und Vogesen, Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg Band Nr. 66.
Vom Rathaus Egesheim aus ist ein 5,7 Kilometer langer Rundweg rund um den Oberberg und zum Heidentor beschildert und markiert. Die Rundwanderung dauert etwa zwei Stunden und es gilt dabei, 250 Höhenmeter zu überwinden.