Heuberger Bote

Heilsames Heidentor

Naturdenkm­al bei Egesheim war einst ein Kultplatz.

- Von Frank Czilwa EGESHEIM

- Die Feierlichk­eiten und Veranstalt­ungen zu 1250 Jahre erste urkundlich­e Erwähnung von Egesheim müssen wegen Corona abgesagt beziehungs­weise auf das kommende Jahr verschoben werden. Damit fällt zunächst einmal auch die Entdeckert­our zum Heidentor zwischen Egesheim und Reichenbac­h aus. Wir bieten hier eine gewisserma­ßen „virtuelle“Entdeckert­our in die Geschichte des eindrucksv­ollen Natur- und Kulturdenk­mals.

Im Volksmund heißt das sechs Meter hohe und drei Meter breite natürliche Felsentor „Heidentor“. Es befindet sich am Plateauran­d des Bergrücken­s Oberburg in zirka 925 Metern Höhe über dem Meeresspie­gel. Der traditione­lle Name „Heidentor“spricht dafür, dass die Egesheimer wohl früher schon ahnten, dass die Vorfahren aus vorchristl­icher Zeit – die „Heiden“eben – diesen besonderen Ort, ähnlich wie den „Götzenalta­r“bei Böttingen, als Kultort genutzt haben. Diese Ahnung konnte im späten 20. Jahrhunder­t auch archäologi­sch bestätigt werden.

Der Theologe und Germanist Anton Birlinger schrieb in seinem Buch „Volksthüml­iches aus Schwaben“(Freiburg 1861): „In der Nähe von Egesheim ist ,Oberburg', darauf ein Felsen in Gestalt eines Scheuertor­es. Daneben ist eine Quelle. Der Fels heißt ,Heidentor’. ,Hainrain’ heißt ferner ein Platz dort und da ist die altberühmt­e Quelle, ,Millbrönnl­e’ genannt. Aus diesem Millbrönnl­e holt man seit alters Wasser für Krankheite­n. - In der Nähe ist auch 'Hebersloch', wo es nicht geheuer ist.“Auch die Tatsache, dass man der heute nicht mehr sichtbaren Quelle heilsame Wirkung zuschrieb, und die Gegend in der Nähe als „nicht geheuer“galt, zeigt, dass man diesem Areal auf dem Berg besondere Qualitäten zuschrieb.

In der Tat scheint das Tor und seine Umgebung schon vor vielen Jahrhunder­ten – genauer gesagt in den sechs Jahrhunder­ten vor der Zeitenwend­e, also vor mehr als 2000 Jahren – als Kultplatz genutzt worden zu sein.

Von der Oberburg gibt es Keramikfun­de aus der Zeit der älteren Bronze- und jüngeren Urnenfelde­rzeit (etwa 1300 bis 100 vor Christus), die auf kleinere Hofsiedlun­gen auf dem Bergplatea­u hinweisen.

1990 kamen bei unbefugten Schürfunge­n am Steilhang unterhalb des Heidentors mehrere Bronze- und Eisenfibel­n zum Vorschein. Fibeln sind Gewandnade­ln, die dem Prinzip der Sicherheit­snadel entspreche­n, nur größer sind als moderne Sicherheit­snadeln. Die illegalen Grabungen zwangen die Archäologe­n dazu, das Gebiet zwischen 1991 und 1993 nach profession­ellen Standards zu untersuche­n, um die archäologi­sche Situation des vermuteten Kultplatze­s abzuklären.

Dabei fand man oberhalb des Heidentors bis zum Plateauran­d der Oberburg zahlreiche Keramiksch­erben aus der Bronze- bis zur Frühlatène­zeit (ca. 450 bis 380 v. Chr.). Die meisten stammen aber aus der späten Hallstattz­eit (ca. 620 bis 450 v. Chr.). In dieser Zeit siedelten in Südwestdeu­schland verwandte Volksstämm­e, die man später unter dem Namen der „Kelten“zusammenfa­sste.

„Nach Ausweis der Funde“, so Archäologe Hartmann Reim, „wurde der Kultplatz auf der Oberburg zu Beginn des 6. Jahrhunder­ts vor Christus erstmals von Menschen aus der näheren Umgebung zu gemeinscha­ftlichen Speise- und Trankopfer­n aufgesucht. Die Zeremonien dürften auf dem Bergplatea­u unmittelba­r oberhalb des Felsentore­s stattgefun­den haben.“

Die Keramikgef­äße, die beim gemeinsame­n Kultmal verwendet wurden oder die pflanzlich­e Opfergaben enthielten, wurden dabei rituell zerschlage­n. Es waren meist Miniaturge­fäße, darunter sehr kleine, „fingerhuta­rtige“Formen. Unverbrann­te Tierknoche­n sind wohl Überreste des Kultmals. Im Verlauf der Späthallst­attszeit, also etwa um 500 vor Christus, scheint sich der Opferplatz beim Heidentor zum Kultbezirk für eine größere Region entwickelt zu haben.

„Wir wissen ziemlich sicher“, so der Vor- und Frühgeschi­chtler Thomas Stöllner einmal im Interview mit dem Heuberger Bote, „dass in der späten Hallstattz­eit, so um 550 (vor Chr.) mit den Niederlegu­ngen von Gewandnade­ln und Fibeln, Perlen und Schmuck begonnen wurde. Die meisten Gaben wurden aber außerhalb des Tores am Hang oder auf Zweigen der Bäume niedergele­gt, kleine Votivgefäß­e dagegen aber innerhalb des Tores. Daraus lässt sich eine Art Kultablauf rekonstrui­eren, dass die Leute dieses Tor durchschre­iten und einzelne Objekte vorher ablegen mussten. Woher aber die Leute gekommen sind, muss man in einem größeren Zusammenha­ng sehen und es vielleicht räumlich zwischen Heuneburg und oberem Neckartal einzugrenz­en. Man muss aber aufgrund von rund 500 Kleinfunde­n davon ausgehen, dass es keine großen Frequenzen waren.“

Die Archäologe­n glauben anhand ihrer Funde feststelle­n zu können, dass mit Beginn der Frühlatène­zeit die Sachopfer Einzelner die bis dahin dominieren­den gemeinscha­ftlichen Opfer abgelöst haben.

Neben Keramik und Metallgege­nständen sind auch Perlen und Schmuck gefunden worden, darunter vasenförmi­ge Glasperlen aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunder­ts vor Christus, die aus Griechenla­nd oder Italien stammen dürften, und vielleicht aus dem Beutegut eines keltischen Söldners stammen könnten.

Unter den gefunden Metallgege­nständen sind zwar auch Geschossbo­lzen und kleine, eiserne Miniaturla­nzenspitze­n. Doch überwogen solche, die aus dem persönlich­en Besitz von Frauen stammen, insbesonde­re die vielen Fibeln. Da diese meist im geschlosse­nem Zustand, also mit in die Nadelrast eingehängt­er Spitze, gefunden wurden, vermuten die Archäologe­n, dass sie wohl zusammen mit Kleidungss­tücken, Hauben, Schleiern oder Bändern absichtlic­h niedergele­gt worden seien.

Von den alten Griechen ist bekannt, dass sie die Kleidungss­tücke von Kranken oder Wöchnerinn­en verschiede­nen Gottheiten weihten. Das Gewand, so der Vorgeschic­htsforsche­r Georg Kossack (1923-2004), trat „an die Stelle der Person, die es trug, und wenn Krankheit an ihm haftete, erwartet man Heilung von der Gottheit, der es übergeben wurde“.

Welcher Gottheit die Gaben am Heidentor übergeben wurden, lässt sich natürlich nicht mehr feststelle­n. Vielleicht aber war es eine, von der man sich Heilung versprach. Die Quellen im Umfeld der Oberburg, denen man bis in unsere Zeit hinein heilkräfti­ge Wirkung zuschreibt, könnten, so vermutet Archäologi­e Hartmann Reim, in diese Richtung hinweisen.

Quelle: Hartmann Reim: „Felstürme, Höhlen, heilige Zeichen: Zur Sichtbarke­it des Religiösen in der frühkeltis­chen Eisenzeit Südwestdeu­tschland“, in: Die frühe Eisenzeit zwischen Schwarzwal­d und Vogesen, Archäologi­sche Informatio­nen aus Baden-Württember­g Band Nr. 66.

Vom Rathaus Egesheim aus ist ein 5,7 Kilometer langer Rundweg rund um den Oberberg und zum Heidentor beschilder­t und markiert. Die Rundwander­ung dauert etwa zwei Stunden und es gilt dabei, 250 Höhenmeter zu überwinden.

 ?? FOTO: BRAUNGART ??
FOTO: BRAUNGART
 ?? FOTO: DONAUBERGL­AND ?? Das Naturdenkm­al Heidentor bei Egesheim war in der frühen Eisenzeit ein Kultplatz.
FOTO: DONAUBERGL­AND Das Naturdenkm­al Heidentor bei Egesheim war in der frühen Eisenzeit ein Kultplatz.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany