Heuberger Bote

„Wir haben das System angehalten“

Ist Corona Vorbild für Klima-Handeln? Nein, sagt Andreas Huber, aber eine Lehre

- MAHLSTETTE­N

Was die Corona-Krise über den Umgang mit dem Klimawande­l lehren kann.

- Das neuartige Corona-Virus ist höchstwahr­scheinlich von wilden Tieren auf Menschen übergespru­ngen, so wie auch schon zuvor Epidemien auslösende Viren. Menschen, die sich Sorgen um den Zustand der Welt machen, beobachten aufmerksam, was in dieser Hinsicht momentan geschieht. Regina Braungart hat mit dem Geschäftsf­ührer des Club of Rome Deutschlan­d, Andreas Huber, gesprochen. Huber, der in Hamburg lebt, stammt aus Mahlstette­n.

Herr Huber, es ist vielerorts zu hören: Die Natur wehrt sich mit Epidemien wie Corona – weil die Wildtiere, von denen solche Viren übertragen werden, nicht genug Lebensraum mehr haben. Ist das Esoterik oder eine in Ihren Augen akzeptable Hypothese?

Esoterik – so empfinde ich das nicht, denn es ist uns allen immer klar gewesen, dass dieses Höher, Schneller, Weiter so nicht weiter gehen kann. Der Club of Rome hat ja schon 1972 von den „Grenzen des Wachstums“gesprochen. Ich finde es interessan­t, wie wir jetzt die Ursachen suchen. Das ist nicht esoterisch, sondern ein Fakt, der uns immer wieder aufgezeigt wurde: Wir sind mit diesem Ökosystem verbunden und wenn wir zu viel Raum beanspruch­en, bekommen wir auch im Negativen etwas ab. Die andere

Seite ist: Wir fühlen uns mit allen Menschen weltweit verbunden.

Corona schafft Verbundenh­eit:

Wir alle erleben dasselbe. Ich beobachte in dieser Zeit eine nie da gewesene Empathie für alle Menschen dieser Welt, egal ob es die Bundeskanz­lerin ist oder ein Flüchtling auf den griechisch­en Inseln.

Die Welt steht weitgehend still und damit auch die Flugzeug-, Schiffs- oder Automotore­n. Was geht Ihnen bei diesen Beobachtun­gen durch den Kopf?

Der Spruch: „Es wurde immer gesagt, das geht nicht. Bis einer kam, der das nicht wusste, und dann hat er es einfach gemacht.“Immer wieder wurde signalisie­rt, bestimmte Dinge gehen nicht. Und nun erkennen wir zu ersten Mal als Weltgemein­schaft: Auch wenn wir es nicht wollten – wir als Menschen haben das System angehalten. Es ist kein Naturgeset­z oder höhere Mächte, die uns daran hindern. Das ist eine Erkenntnis, die in den kommenden Monaten und Jahren unsere Entscheidu­ngen vermutlich beeinfluss­en wird.

Sie sagten einmal in einem Interview sinngemäß: Wir müssen uns zur Rettung des Klimas und des Planeten daran gewöhnen, dass wir nicht in dem Tempo Ressourcen verbrauche­n können, wie bisher, und erwähnten auch andere Formen des Reisens und Wirtschaft­ens: gleichwert­ig, aber anders. Erleben wir gerade die Blaupause dieses Szenarios? Virtuelle Konferenze­n, virtuelle Museumsbes­uche und Reisen, Familientr­effen übers Netz und anderes gehören jetzt zum Alltag.

Man muss zwei Dinge unterschei­den. Das Was und das Wie. Als Was kann es eine Blaupause sein oder zumindest eine Inspiratio­n. Denn wir erkennen, dass Kurzstreck­enflüge für Meetings nicht sein müssen, weil man sich wunderbar digital treffen kann. Bestimmte Dinge brauchen wir nicht, wir merken, es geht auch anders. Was natürlich keine Blaupause sein kann, ist das Wie. Wie das zustande gekommen ist, mit welcher Geschwindi­gkeit. Ich habe da ein Bild im Kopf: Angenommen, man hätte uns vor zwei Jahren die Bilder von heute gezeigt. Dann hätten wir Masken produziert, wir hätten die Krankenhäu­ser vorbereite­t. Die ganzen Maßnahmen, um Risikogrup­pen zu schützen, hätten wir anders geplant. Der Schaden, den wir jetzt empfinden, wäre nicht so dramatisch gewesen. Es ist genau diese Chance, die wir jetzt haben. Das Was haben wir gelernt, aber das Wie können wir planen, auch wenn wir für den Planeten nicht mehr viel Zeit haben. Mehr auf jeden Fall, als jetzt, wo innerhalb einer Woche die Welt auf den Kopf gestellt wurde.

Die Art und Weise unseres Wirtschaft­ens hat sich jetzt massiv verändert, selbst die OPEC muss Ölförderun­gen drosseln, weil es nicht abgesetzt wird. Gibt es Wissenscha­ftler, die den Klimawande­l

beobachten und untersuche­n: „Was wäre, wenn?“es nicht diese Art des Wirtschaft­ens gäbe? Oder ist die Zeit dafür viel zu kurz?

Satelliten­bilder und Beobachtun­gen lassen annehmen, dass der derzeitige Stillstand positive Auswirkung­en hat. Ich bin aber kein Wissenscha­ftler und kenne keinen, der da gerade forscht. Aber ich will auf jeden Fall verhindern, dass man annimmt, diese Pandemie wäre ein Vorteil fürs Ökosystem. Es geht vielen Menschen gesundheit­lich und wirtschaft­lich sehr schlecht derzeit. Man darf das auf keinen Fall gegeneinan­der aufrechnen. Der Mensch und seine Gesundheit sind wichtig.

Sie haben sicher Kontakt in Ihren weit verzweigte­n weltweiten Netzwerken. Wie reflektier­en diese den derzeitige­n Stopp allen bekannten Lebens und Wirtschaft­ens?

Ja, aber es geht dabei weniger um die ökologisch­en Folgen, sondern darum, was passiert im Nachgang zur Pandemie? Welche Bereiche oder Dienstleis­tungen sollen neu gefördert werden? Oder schieben wir das Alte einfach wieder an? Das ist die große Frage. Internatio­nal wird intensiv diskutiert, dass wir als Menschen wieder ganz andere Dinge wertschätz­en: eine funktionie­rende Infrastruk­tur und Menschen, die uns versorgen, einen starken Staat, ein gutes Gesundheit­ssystem. Dabei wird deutlich: Was sind wirklich die relevanten, systemrele­vanten Jobs und Dinge, die wir stärken müssen. Wir haben den Höhepunkt der Globalisie­rung überschrit­ten und es stellt sich die Fragen: Wie schafft man es, dass einzelne Regionen, Nationen wieder widerstand­sfähiger werden, um auch Krisen zu überstehen. Das sind die großen Themen. Neben der Erkenntnis, dass es tatsächlic­h geht, dass wir das System

gestalten und jetzt auch angehalten haben.

Aber das erste was geschehen ist, ist, dass Grenzen geschlosse­n wurden. Man hatte vorübergeh­end das Gefühl, dass jetzt wieder in die Kleinstaat­erei zurückgeke­hrt wurde, selbst innerhalb Deutschlan­ds. Gauben Sie, dass die Staaten der Welt Grundsätzl­iches lernen für eine gemeinsame Bewältigun­g einer globalen Krise? Ich denke, es gibt zwei Arten von Politikern. Die einen, die sehen, dass die beste Lösung eine globale Koordinati­on wäre. Und andere, die insbesonde­re in den USA sitzen, die denken, die könnten es alleine bewältigen und die Schuld bei anderen suchen, nur nicht bei sich selbst. Die physische Abschottun­g ist etwas ganz anderes als eine Distanzier­ung, die zur Folge hat, dass man sich nicht mehr hilft. Aber die Solidaritä­t etwa zwischen den Staaten der EU, wird auch über geschlosse­ne Grenzen hinweg bestehen. Es wird ein Scheideweg in der Geschichte sein. Rückblicke­nd wird man sagen: Es hat zu mehr Solidaritä­t geführt. Oder: daran sind bestimmte Dinge zerbrochen..

Was denken Sie?

Ich persönlich bin positiv gestimmt. Corona schafft Verbundenh­eit mit uns und mit dem Planeten. Und ich denke, dieses Erkennen und, dass wir diese Welt gestalten, wird zu Entwicklun­gen führen, die vor einem halben Jahr so nicht denkbar gewesen wären.

 ?? FOTO: PRIVAT ??
FOTO: PRIVAT
 ?? FOTO: FRANK RUMPENHORS­T ?? Bild aus Vor-Coronazeit­en. Kondensstr­eifen zeigen an, wo Flugzeuge geflogen sind. Derzeit ist der Himmel vollkommen „unzerkratz­t“. Trotzdem kann die Coronazeit keine Blaupause sein. Man kann aber aus der derzeitige­n Lage viel lernen, meint Andreas Huber, Geschäftsf­ührer des Club of Rome Deutschlan­d, der aus Mahlstette­n stammt.
FOTO: FRANK RUMPENHORS­T Bild aus Vor-Coronazeit­en. Kondensstr­eifen zeigen an, wo Flugzeuge geflogen sind. Derzeit ist der Himmel vollkommen „unzerkratz­t“. Trotzdem kann die Coronazeit keine Blaupause sein. Man kann aber aus der derzeitige­n Lage viel lernen, meint Andreas Huber, Geschäftsf­ührer des Club of Rome Deutschlan­d, der aus Mahlstette­n stammt.
 ??  ??
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Andreas Huber
FOTO: PRIVAT Andreas Huber

Newspapers in German

Newspapers from Germany