Ein klein wenig Normalität Von Uwe Jauß
In Bregenz lässt sich die Wirkung der ersten österreichischen Lockerungen während der Corona-Krise beobachten – Die Menschen schöpfen Hoffnung
BREGENZ - Die ins Bläuliche gehenden Augen von Kerstin Laubmann strahlen. Vermutlich gilt dies auch fürs ganze Gesicht der Bregenzer Boutiquen-Inhaberin. Von der Nase abwärts ist es aber nicht zu sehen. Eine weiße Gesichtsmaske verdeckt vorschriftsmäßig Nase und Mund. Aber dieses CoronaAccessoire hemmt ihre gute Laune nicht, während sie durch den Laden im Zentrum der Vorarlberger Hauptstadt wandert. „Endlich kommt wieder etwas Normalität ins Leben“, meint sie munter. „Die Menschen schöpfen Hoffnung.“
Laubmann profitiert von den ersten Lockerungen der österreichischen Corona-Maßnahmen am Dienstag. Unter anderem dürften Läden bis zu einer Fläche von 400 Quadratmetern seitdem wieder aufmachen – nach vier Wochen strikter Schließung. Das Nachbarland macht vor, was Deutschland in ähnlicher Form ab nächster Woche plant. Beim Besuch in der Fußgängerzone von Bregenz lassen sich rasch erste Folgen ausmachen: Die Leute wirken meist fröhlich entspannt – vergleichbar mit der Gefühlslage, wenn winterliche Düsternis dem Frühling weicht. Dies fällt auch deshalb so auf, weil einige Kilometer jenseits des Bodensees im bayerischen Lindau noch eher verbissene Mienen auf den Straßen feststellbar sind.
„Die Lockerung macht einfach Sinn“, glaubt Laubmann. Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine Koalitionsregierung aus Konservativen und Grünen hatten sie für gerechtfertigt gehalten, weil nach ihrer Sicht der Anstieg der Infektionszahlen ausreichend an Geschwindigkeit verloren hat. So waren am Donnerstag 14 370 Infizierte gezählt worden, die Zunahme lag dabei in den vergangenen Tagen jeweils unter einem Prozent. Deshalb sei es auch an der Zeit, die Wirtschaft wieder hochzufahren, sagt eine Kundin in der Boutique. Sabine Mäser nennt sich die Frau. Sie argumentiert: „Es gibt schließlich ein Leben nach Corona.“
Dass das Virus jedoch nach den Lockerungen nicht einfach ins Nirgendwo entschwunden ist, wird im Umfeld von Röcken, Negligés oder Hosenanzügen durch die Gesichtsmasken deutlich. Auch Mäser hat sich eine umgebunden. Vorschrift. Kunde wie Ladenbesitzer oder Personal müssen den Schutz tragen. Dies wurde bereits die vergangenen Wochen in den österreichischen Supermärkten vorexerziert: Dort liegen die Masken sogar am Eingang aus. „Das Aufsetzen wird kontrolliert“, berichtet Laubmann. Dafür seien sogar Polizeistreifen unterwegs.
Ihre Warnung ist erfolgt, als man als Deutscher unbedacht und unbedeckt den Ladeneingang durchquert hat – gefolgt von einem Handzeichen Laubmanns, eine Maske hochzunehmen. Aber selbst da wurde der Rat schmunzelnd gegeben. Es scheint eben ein GuterLaune-Tag zu sein. Dazu trägt sicher auch bei, dass die Fußgängerzone um Kornmarktplatz, Leutbühel und Kaiserstraße die vergangenen Tage wieder an Farbigkeit gewonnen hat. Diverse Läden haben Markisen zum Schutz vor den Sonnenstrahlen ausgefahren. Darunter sind Warenangebote im Freien: hier Lederhandtaschen an einem Ständer, dort vielleicht Kleidung und so weiter. Thomas Steiner hat ein immenses Angebot an Lesestoff hinausgeräumt. Er betreibt die Buchhandlung Ländlebuch. „Die vier Wochen waren schon bitter“, lauten seine Worte. Dies gelte selbst, wenn der Bücherverkauf via Onlineshop berücksichtigt würde.
Steiner geht von einem Umsatzverlust von 80 Prozent aus. Dass dies aufzuholen sei, glaubt der Buchhändler nicht. So sei bei ihm das Geschäft schleppend angelaufen. Wobei das, was läuft, fast schon erwartbar ist: Kinderbücher, um die Langweile der Kleinen zu bekämpfen. Sie sind in Österreich nicht nur seit Mitte März daheim. Sie müssen es auch weiterhin bleiben. Bis Mitte Mai, lautet die Ansage der Bundesregierung in Wien. Deren erste Lockerungen sind eben doch vorsichtig. Verkündet hat sie Kanzler Kurz noch Tage vor Ostern. Zum Startschuss am Dienstag warnte er aber sogleich, dass ihr Bestand durchaus von den weiteren CoronaEntwicklungen abhängt: „Die Krise ist noch nicht überstanden.“
Vermutlich haben seine Mitbürger jedoch eine weitere seiner Bemerkungen lieber gehört: Es könne nun „eine neue Normalität“gewagt werden. Diese stellt sich konkret folgendermaßen dar: Supermärkte, Lebensmittelgeschäfte oder Apotheken waren von den vierwöchigen Schließungen nicht betroffen. Nun dürfen neben kleinen Läden auch Bau- und Gartenmärkte wieder offen haben. Letztere sind offenbar am ersten Tag der Lockerung nach Ostern tatsächlich fast gestürmt worden. Die „Vorarlberger Nachrichten“berichten von langen Schlangen vor den Märkten. Verschiedene Chefs werden zitiert, dass die Leute endlich Ware wollten, um ihre Gärten für den Frühling
zu rüsten: Geranien, Töpfe, Blumenerde oder einfach auch Heimwerkermaterial. Also ein Kaufen aus Nachholbedarf. So etwas hat es auch bei Läden in der Fußgängerzone gegeben. „Hochwertiger Essig und hochwertiges Öl waren gefragt – Ware, die der Supermarkt nicht hat“, berichtet Alexandra Lokan, die im Spezialitätengeschäft „vom Fass“arbeitet. Die Kunden hätten wohl wieder ihren gewohnten Standard gewollt.
Ein paar Meter weiter erzählt Daniel Vallazza von der Parfümerie Medusa, bei ihm sei am Dienstag vor allem Make-ups und Cremes gut verkauft worden. Doch bereits am Mittwoch „ist das Geschäft ruhiger geworden“– eine Beobachtung, die allgemein von Ladenbetreibern gemacht wird. Vallazza führt dies darauf zurück, dass nach wie vor Cafés und Gasthäuser geschlossen seien: „Es fehlt Laufkundschaft, die zum Flanieren und Konsumieren unterwegs ist.“In nächster Zeit wird die Gastronomie auch keine Leute in die Stadt ziehen. Ähnlich wie bei Schulen und Kindergärten gilt ein Öffnungsverbot bis Mitte Mai.
Mancher Laden hat wohl aus Furcht vor spärlichem Besuch lieber die Tür noch geschlossen gehalten. Bei Reisebüros eine sehr naheliegende Entscheidung. Andere Geschäftsleute sind gleich nach dem ersten Tag daran gegangen, ihre Öffnungszeiten zu reduzieren. „Das reicht im Moment auch“, heißt es im Baxx’s, wo sich Handtaschen und Koffer kaufen lassen. Wobei durchaus Passanten unterwegs sind. Nicht so viele, wie es während normaler Frühlingstage wären. Daran dürfte aber nicht nur die fehlende Möglichkeit, rasch einen Kaffee oder ein Bier zu trinken, schuld sein. Neben den Lockerungen wurde nämlich vergangenes Wochenende ebenso verkündet, dass die Ausgangsbeschränkungen der Menschen länger andauern. Die Wohnung darf demnach nur mit triftigem Grund verlassen werden.
Bis Ende April soll diese Ausgangsregelung auf jeden Fall noch gelten. Frische Luft schnappen ist übrigens erlaubt, Einkaufen sowieso. Der Abstand soll aber gewährt bleiben. Was nach Augenschein meist funktioniert. Im Gegensatz zu den Läden sind aber auf den Gassen, Straßen oder Plätzen wenig Menschen mit Gesichtsmaske zu sehen. Vorgeschrieben ist sie hier auch nicht. „Ich habe meine Zeitung außen am Kiosk gekauft. Da brauche ich mir nichts umbinden“, grantelt Josef Huber, sichtbar ein in höhere Jahre gekommener Rentner.
Er hat sich zum Lesen des Blattes auf der Uferpromenade niedergesetzt, der Schauseite von Bregenz. Etwas nach Westen zu ist das Gelände der Seefestspiele. Wie im vergangenen Jahr steht „Rigoletto“von Giuseppe Verdi auf dem Programm. Die Saison soll nach Plan am 22. Juli beginnen. Ob dies wirklich der Fall sein wird, soll bis Ende Mai geklärt werden, verkündet die Festspielleitung. Am anderen Ende der Promenade befindet sich der Hafen – inklusive der wegen Corona an die Kette gelegten Schiffe der Vorarlberger Weißen Flotte. Am Ticket-Büro hängt ein Hinweis auf das Virus. Unklar ist, wie es mit den Schiffen weitergeht. Grundsätzlich wäre ihr Betrieb auf dem Bodensee international. Die Grenze bleibt aber bis auf Weiteres zu. Ausnahmen gibt es bloß für wenige – für Pendler zum Beispiel.
Hingegen existiert eine auf den 1. Mai terminierte Lockerungshoffnung für all jene Geschäfte, die wegen ihrer Größe jenseits von 400 Quadratmetern diese Woche noch geschlossen bleiben mussten. Ebenso sollen dann Einkaufszentren und Friseure wieder öffnen dürfen. „Vielleicht treibt dies bereits mehr Menschen in die Fußgängerzone“, hofft Daniela Orler, Verkäuferin im Haushaltswaren-Geschäft Frühauf. Sie hat dieser Tage erlebt, dass die Kunden „ganz viel Backsachen“kaufen wollten – fast schon wieder krisentypisch, nachdem in Supermärkten das Hamstern von Mehl festgestellt wurde. Orler teilt aber die Erfahrung anderer Kollegen aus dem Einzelhandel, dass die weiteren Tage nach der Lockerung am Dienstag ruhiger geworden sind: „Es geht halt ein bisschen was. Aber dies ist ja schon schön, ein Zeichen, dass es aufwärtsgeht. Und wenn Kundschaft kommt, hat man wenigstens wieder soziale Kontakte.“
In der Tat: Neben recht vielen aufgelockerten Mienen sind in den wieder geöffneten Läden häufig Menschen anzutreffen, die viel Zeit zum Reden haben. In der Boutique von Kerstin Laubmann haben sich später drei Kundinnen um die Inhaberin versammelt. Mehr dürfen den kleinen Laden nicht zusammen betreten. Nur eine Person pro 20 Quadratmeter, besagt die behördliche Bestimmung. Für eine angeregte Gesprächsrunde reicht es. Dem Gestikulieren nach haben sich das Trio und Laubmann viel zu sagen. Vier lange Wochen war schließlich geschlossen gewesen.