Keine Gäste, kein Umsatz, keine Perspektive
Wann Gaststätten im Süden wieder öffnen dürfen, ist weiter unklar – Wirte fordern einen Rettungs- und Entschädigungsfonds
- Normalerweise sieht Silvia Göppinger abends nur selten fern. In der Regel muss die Wirtin des Hotels und Restaurants Schwedi in Langenargen am Bodensee um diese Uhrzeit die hungrigen und durstigen Gäste in ihrem Restaurant versorgen. Doch am Mittwochabend saß sie gespannt vor dem Fernseher. Einerseits, da ihre Gaststätte seit vier Wochen wegen der Corona-Schutzmaßnahmen geschlossen ist und sie dadurch Zeit hatte, vor allem aber deshalb, weil sie sich von der Pressekonferenz der Bundeskanzlerin zu den Lockerungsmaßnahmen eine neue Perspektive erhoffte. Wann dürfen die Gaststätten wieder öffnen, unter welchen Bedingungen? Doch Antworten auf diese für Tausende Wirte so wichtigen Fragen gab es am Mittwoch nicht. Darüber sei noch nicht beraten worden, sagte Angela Merkel (CDU), es wäre „spekulativ“bereits jetzt von einem möglichen Wiedereröffnungsdatum zu sprechen. Und ihr Nebensitzer, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), meinte gar, die Wiederaufnahme des Gastgewerbes sei wegen der erheblichen Infektionsrisiken „der Teil, der am entferntesten ist“.
Dementsprechend enttäuscht schaltete Silvia Göppinger den Fernseher frühzeitig aus. „Dass sie kein konkretes Datum nennen können, wann wir wieder öffnen können, war mir eigentlich schon vorher klar. Aber dass unsere Branche nicht mal eine Erwähnung wert war und keine Tendenz genannt wurde, tut schon sehr weh“, sagt die Wirtin am Tag danach.
Dabei wird gerade das Gastgewerbe von den aktuellen Maßnahmen hart getroffen. Viele Wirte kämpfen aufgrund der ausbleibenden Einnahmen
um ihre Existenz. „Ein Drittel unserer Betriebe steht auf der Kippe. Wenn die Politik nicht sofort handelt, rechnen wir mit rund 10 000 Firmenpleiten in unserer Branche allein in Baden-Württemberg“, erklärt Fritz Engelhardt, Landesvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Baden-Württemberg. Das wäre rund ein Drittel der 30 000 Betriebe im Südwesten. Die Ergebnisse der Bund-Länder-Beratungen seien für die Branche mit mehr als 235 000 Erwerbstätigen im Land enttäuschend und entmutigend gewesen.
Bereits direkt am Mittwochabend hat sich der Dehoga Bayern mit einem Brandbrief an den Ministerpräsidenten Markus Söder gewandt. „Wir werden durch staatliche Anordnung daran gehindert, selbständig unseren Lebensunterhalt zu verdienen und unsere Betriebe zu erhalten. Wir benötigen dringend weitere Unterstützung! Wir brauchen ein sofortiges Rettungspaket. Nur so lässt sich eine Insolvenzwelle und Massenarbeitslosigkeit verhindern“, heißt es in dem Schreiben, das Präsidentin Angela Inselkammer und Landesgeschäftsführer Thomas Geppert im Namen von mehr als 40 000 Betrieben mit 447 000 Erwerbstätigen in Bayern unterzeichnet haben.
Das Gastgewerbe sieht sich als hauptbetroffene Branche der Krise: „Im Gegensatz zu anderen Branchen waren unsere Betriebe die ersten, die geschlossen wurden, und werden die letzten sein, die wieder öffnen dürfen.“Der Dehoga könne zudem nicht akzeptieren, „dass unserer Branche auf den Skizirkus in Ischgl, das Starkbierfest in Tirschenreuth oder den Karneval in Heinsberg reduziert wird“. Das Gastgewerbe sei sehr viel vielschichtiger, und es spreche nichts dagegen, kleinere Restaurants, Hotels,
Cafés oder Biergärten bald wieder zu öffnen, heißt es im Brief an Söder. „Bitte wenden Sie den differenzierten Blick, den Sie bei Schulen zeigen, auch für unsere Branche an.“
Diesem Appell schließt sich auch der Verband der Privaten Brauereien Deutschland an. „Wenn der Lockout in anderen Branchen aufgehoben wird, würden auch wir gerne wieder mitspielen“, sagt Geschäftsführer Stefan Stang im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die Brauereien sind derzeit doppelt getroffen: Zum einen fehlt der wichtige Absatzmarkt in der Gastronomie, zum anderen sind Großveranstaltungen bis mindestens 31. August verboten und fallen dadurch aus. „Ich verstehe nicht, warum der Gastronomie gar keine Chance gegeben wird.“Wie der Dehoga betont auch Stang, dass die Betriebe allesamt bereit wären, die notwendigen Hygienemaßnahmen mitzutragen. Das Verbot der Feste könne er aus gesundheitlichen Aspekten zwar nachvollziehen, nicht jedoch, warum pauschal alle Veranstaltungen ohne eine Definition der erlaubten Größe verboten seien, zugleich aber weiter über die Ausrichtung des Oktoberfests diskutiert werde. „Das kapiert doch kein Mensch.“Der Brauereiverband rechnet damit, dass alle Veranstaltungen mit mehr als 25 Menschen als Großveranstaltungen eingestuft und damit verboten werden. „Das trifft uns sehr“, sagt Stang.
Bei den Politikern ist der Unmut der Gastronomen und Brauer mittlerweile mit voller Wucht angekommen. So ließ sich Markus Söder am Donnerstag zumindest zum kleinen Mutmacher hinreißen, es gebe „eine kleine Hoffnung“, dass Restaurants und Hotels an Pfingsten – also Ende Mai – wieder geöffnet werden können. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte Verständnis für die Kritik, „aber verstehen Sie auch uns: Ein Virus ist nicht gerecht.“Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) versprach zudem, weiter Soforthilfe und andere Unterstützung zu leisten.
Auf diese Hilfen pocht auch der Dehoga. Aus zahlreichen Mitgliederrückmeldungen wisse man, dass die Liquidität in vielen Unternehmen nur noch für wenige Wochen reiche. „Wir akzeptieren, dass die Politik zur Pandemie-Eindämmung extreme Einschränkungen von unserer Branche erwartet, aber sie muss im Gegenzug auch für entsprechende Unterstützung sorgen“, sagt Südwest-Dehoga-Geschäftsführer Fritz Engelhardt. Als Teil des Rettungspakets für die Gastro-Branche forderte der Dehoga unter anderem die Bildung eines „Rettungsund Entschädigungsfonds“mit direkten Finanzhilfen. Ein weiterer Baustein müsse die Herabsetzung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent im Gastgewerbe sein – auch dort, wo vor Ort konsumiert wird. Bislang gilt dort der höhere Steuersatz von 19 Prozent.
Auch Silvia Göppinger hofft auf weitere Unterstützung vom Staat. Nachdem die Familie im Winter mehr als eine Million Euro in einen Küchenumbau investiert haben, hat sie keine eigenen Rücklagen mehr. „Wir sind darauf angewiesen, was wir von der Bank bekommen.“Zwar sind die Göppingers dankbar für die bereits erhaltene Hilfe, diese reiche aber bei Weitem nicht aus. „Die Soforthilfe war direkt mit der ersten Lohnzahlung wieder weg.“Laut eigenen Berechnungen könnte das Hotel und Restaurant Schwedi „mit schwerem Herzen“noch bis einschließlich Juli unter den aktuellen Beschränkungen durchhalten. „Ich bin von Grund auf Optimistin“, sagt Silvia Göppinger. „Aber ich weiß von vielen Kollegen, dass es ihnen noch viel schlechter geht.“