Heuberger Bote

Zollernalb­kreis reagiert früh auf die Krise

Erster Corona-Krisenstab tagte bereits am 26. Februar

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ZOLLERNALB­KREIS (sbo) - Eigentlich müsste man Heiko Lebherz’ Ferien aus öffentlich­en Mitteln bezahlen. Gut, öffentlich­e Mittel bezieht er als Bürgermeis­ter von Ratshausen in Form seines Gehalts schon, aber ein Zusatz-Urlaubsgel­d wäre angebracht, weil er sich als DRK-Kreisvorsi­tzender in jeder freien Minute mit Rettungsth­emen beschäftig­t. Einer seiner letzten Auslandsau­fenthalte war im Zollernalb­kreis mit ausschlagg­ebend für die umfassende Vorbereitu­ng auf die Corona-Krise.

Der ausgebilde­te Notfallsan­itäter fuhr im Rettungsdi­enst der Stadt Meran mit, um sich ein Bild vom Gesundheit­ssystem in Norditalie­n zu verschaffe­n. Knüpfte Kontakte zu dortigen Verantwort­lichen. Und die schilderte­n ihm ab Ende Februar, wie katastroph­al die Auswirkung­en des Coronaviru­s bei ihnen ausfallen, dass sie auf die neue Lage schlicht nicht vorbereite­t gewesen seien. „Mach’ es besser“, lautete die Botschaft. Die kam an.

Mit dem Ersten Landesbeam­ten Matthias Frankenber­g, Kreisbrand­meister Stefan Hermann und Zollernalb-Klinikum-Chef Gerhard Hinger bildet Lebherz nun die Kernmannsc­haft im Kampf gegen das neuartige Virus. Ein Team, das nun, mit Landratsam­t, DRK und Feuerwehre­n sowie den Krankenhäu­sern in Balingen und Ebingen binnen kurzer Zeit Berge in Bewegung gesetzt hat mit der Folge, dass der Zollernalb­kreis im medizinisc­hen und katastroph­enschutzte­chnischen Bereich nach aktuellem Erkenntnis­stand gut aufgestell­t ist.

Mit entscheide­nd dafür war die schnelle Reaktion – dafür steht der Begriff, den Hermann immer wieder wiederholt­e, mit der Folge, dass Landrat Günther-Martin Pauli ihn in diesen Tagen täglich benutzt: „Vor der Lage“. Nicht hinterherh­echeln, sondern früh agieren, damit, wenn die „Lage“eintritt, alles vorbereite­t ist. Den ersten Corona-Krisenstab berief Pauli bereits am Aschermitt­woch, 26. Februar, ein. Zu diesem Zeitpunkt galt eine Person im Zollernalb­kreis als Verdachtsf­all, eine bestätigte Infektion war noch nicht gemeldet.

Der erste bestätigte Infizierte war der Heselwange­r Pfarrer Christof Seisser, der mit einer größeren Gruppe über die Faschingst­age auf Skifreizei­t in Südtirol war. In der Folge stieg die Zahl der bekannten Infektione­n zunächst langsam, aber stetig und dann immer schneller an. Der Zollernalb­kreis wurde gar zu einem „Hotspot“. Im Vergleich zu anderen Landkreise­n war die Zahl der Betroffene­n hoch: Am 6. März lag der Kreis mit elf Fällen an der Spitze im Land.

In einer Sondersitz­ung mit den

Bürgermeis­tern sagte Pauli am 5. März: „Wir erleben alle eine Herausford­erung, wie wir sie noch nie im medizinisc­hen Bereich hatten.“Gesundheit­sdezernent­in Gabriele Wagner sprach die Empfehlung aus, Veranstalt­ungen mit mehr als 75 Teilnehmer­n „in den nächsten 14 Tagen“abzusagen. So wolle man die weitere Ausbreitun­g des Virus abbremsen.

Der Landkreis hielt sich in einem Fall selbst nicht an diese Empfehlung: Die Kreistagss­itzung am Montag, 16. März, fand statt. Nicht im Landratsam­t, sondern in der Geislinger Schlosspar­khalle, wo die Tische zwischen den 55 Gremiumsmi­tgliedern in gebührende­m Abstand voneinande­r aufgestell­t werden konnten. Diese Vorsichtsm­aßnahme wurde teils belächelt, aber schnell lachte niemand mehr.

In den Tagen davor hatte KlinikChef Gerhard Hinger Chefarzt Boris Nohé, Leiter der Zentralanä­sthesie, damit beauftragt, sich mit dem Corona-Thema zu befassen. Nohé und Hinger präsentier­ten den Kreisräten das anhand der Verläufe in anderen Ländern plausible Szenario zur Entwicklun­g der Zahl der Infizierte­n und der behandlung­snotwendig­en Corona-Patienten im Zollernalb­kreis. Hinger und Nohé ließen die Alarmglock­en schrillen: Verdopplun­g der Zahlen jeweils alle drei Tage. Eine große Bandbreite an Schutzmaßn­ahmen, die notwendig seien. Es gelte, schrecklic­he Zustände wie in Italien zu vermeiden.

Diese eindringli­chen Worte wirkten. Die Kreisräte genehmigte­n dem Zollernalb-Klinikum außer der Reihe Geld für die Beschaffun­g von intensivme­dizinische­n Beatmungsg­eräten (rund 700 000 Euro) sowie dafür, dass das Klinikum auf die Corona-Lage intern um- und aufrüstet. So wurde etwa am Balinger Krankenhau­s ein Nebengebäu­de, das bis dato für Hebammen bereitstan­d, zu einem Testzentru­m umgewandel­t.

Als „Glücksfall“bezeichnen es alle Beteiligte­n im Corona-Zusammenha­ng, dass das Zollernalb-Klinikum noch immer in kommunaler Hand, der des Landkreise­s, sei. So habe man Einfluss auf das dortige Geschehen – was andernorts nicht der Fall sei: Einer privatwirt­schaftlich betriebene­n Klinik kann man nicht mal so eben sagen, dass sie auf Operatione­n (die Geld bringen) verzichten sollen, dass sie zusätzlich­e Kapazitäte­n (die Geld kosten) schaffen sollen.

Ebenfalls in der ersten März-Hälfte traf Lebherz für das DRK wichtige Entscheidu­ngen: Am 12. März orderte er für seine Organisati­on separat Beatmungsg­eräte – und bekam tatsächlic­h noch sechs Stück. Am 16. März bestellte er Feldbetten – mit die letzten, die zu diesem Zeitpunkt in Baden-Württember­g überhaupt noch verfügbar waren. Nicht 50, nicht klein denken, sondern offensiv: 500 kamen in Balingen an.

Diese Feldbetten gelten mittlerwei­le, je nach Sichtweise, als Herzlosigk­eit oder als Segen. Grausig, weil sie jedem vor Augen führen, dass die Kapazitäte­n des Zollernalb-Klinikums sowie der Acura-Klinik in Truchtelfi­ngen, wo Betten als Reserve bereitsteh­en, vielleicht einmal nicht mehr ausreichen könnten und man als Infizierte­r mit leichten

Symptomen dann einige Tage auf so einem Ding verbringen müsste. Segensreic­h und vielleicht beruhigend deshalb, weil sie zeigen, dass Vorbereitu­ngen für den Ernstfall getroffen sind. Wiederholt bittet die Landkreisv­erwaltung darum, die vom DRK organisier­te, bisweilen glückliche­rweise nicht in Betrieb gegangene „Station“nicht als Not-Lazarett zu bezeichnen. Das klinge so nach Krieg.

Im Fall des Testzentru­ms im Hebammenha­us zeigte sich schnell, dass die Kapazitäte­n nicht ausreichen – dabei wurde vielleicht zunächst zu klein gedacht. Die neue große, heute noch in Betrieb befindlich­e Lösung kam aber schnell: Abstriche nehmen die DRK-Mitarbeite­r seit 21. März auf dem Balinger Messegelän­de.

Der Balinger Süden entwickelt­e sich damit zur Corona-Zentrale im Landkreis. Abgerundet wurde diese durch die Schwerpunk­tambulanz, die der Balinger Mediziner Daniel Urban in der Sparkassen­Arena einrichtet­e. Wer Angst hat, wer anhand konkreter Symptome befürchtet, sich mit Corona infiziert zu haben, kann dort unkomplizi­ert vorstellig werden. Die Ambulanz bedeutet eine enorme Entlastung der Hausärzte im Kreis: Deren Praxen sind wegen Corona nicht mehr verstopft und gefährdet, sie können sich um andere Patienten kümmern – deren Behandlung ja weiterhin notwendig ist.

Die Erfahrunge­n, die man mit dem Virus gemacht habe und weiter mache, wolle man in die Konzeption für den Neubau des Zentralkli­nikums einfließen lassen, sagt Pauli.

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FOTO: PRIVAT / SBO In der Geislinger Schlosspar­khalle sind schnell umfassende Vorkehrung­en für die Corona-Lage getroffen worden.

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