Kritik an Spahns Pflegereform-Entwurf
Gesundheitsminister will Pläne schnell umsetzen – Verbände für Vollkaskoversicherung
- Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) möchte Nägel mit Köpfen machen. Die von ihm geplante Pflegereform soll von der Koalition möglichst noch vor der Bundestagswahl 2021 beschlossen werden. In der Regierung werde man dies jetzt besprechen, sagte der CDU-Politiker am Montag in Berlin. Idealerweise komme es noch innerhalb dieser Legislaturperiode zur Gesetzgebung. Die Ziele hatte er bereits am Sonntag umrissen: die Pflege-Eigenanteile sollen begrenzt, Pflegekräfte besser bezahlt und Angehörige entlastet werden.
Vom Koalitionspartner SPD kamen Lob und Kritik. Generalsekretär Lars Klingbeil verlangte eine stärkere Berücksichtigung des Einkommens. Die Ulmer Bundestagsabgeordnete Hilde Matheis (SPD) sagte am Montag der „Schwäbischen Zeitung“, der Plan könne „nur ein erster Schritt zu einer grundlegenden Reform im Pflegebereich sein, an deren Ende eine solidarische Pflegebürgerversicherung steht, in die alle einzahlen und alle Leistungen aus der Versicherung getragen werden, also eine
Vollkaskoversicherung für Pflegebedürftigkeit“.
Verbraucherschützer und Sozialverbände argumentierten ähnlich. Sie begrüßten die Pläne im Grundsatz, äußerten aber Zweifel, ob die Reform wirklich zur finanziellen Entlastung der Betroffenen führen wird. Angela Querfurt vom Paritätischen Wohlfahrtsverband BadenWürttemberg erklärte am Dienstag: „Der Eigenanteil müsste viel deutlicher begrenzt werden, um Pflegebedürftige wirksam vor Armut zu schützen.“Auch sie forderte perspektivisch den Ausbau der Pflegeversicherung
zu einer einheitlichen Vollkaskoversicherung.
Nach Spahns Plänen soll der Eigenanteil für die reine Pflege künftig für längstens 36 Monate maximal 700 Euro im Monat betragen. Im Schnitt lagen die Kosten dafür zuletzt bei 786 Euro, in Baden-Württemberg und Bayern sogar bei rund 950 Euro. Zusätzlich müssen Betroffene oder Angehörige jedoch auch noch für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen der Heime zahlen. Insgesamt wurden im bundesweiten Schnitt 2015 Euro pro Monat fällig, im Süden 2300 Euro.
- Seit Jahren klagen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen über wachsende Belastungen. Pflege in Deutschland wird immer teurer und immer weniger bezahlbar. Mit einer Reform des Pflegesystems möchte Jens Spahn jetzt dagegen vorgehen.
Was hat Jens Spahn vor?
Seit Jahren müssen Pflegebedürftige immer mehr aus eigener Tasche für ihre Pflege zahlen. Damit die Kosten nicht weiter steigen und kalkulierbar bleiben, möchte der Bundesgesundheitsminister die Ausgaben deckeln. Er möchte, dass Heimbewohner maximal 700 Euro im Monat für ihre Pflege zuzahlen müssen. Und das für längstens 36 Monate. Der Vorschlag ist Teil einer Pflegereform, die Spahn auf den Weg bringen will. Darin sieht er auch eine bessere Bezahlung von Pflegekräften vor.
Was ist der Eigenanteil?
Wer pflegebedürftig ist und in ein Pflegeheim einzieht, bekommt Pflegegeld. Je höher der Pflegegrad, desto mehr Geld fließt aus der Pflegekasse. Das reicht aber nicht immer für alle Leistungen, die ein Betroffener in Anspruch nimmt. Für diesen Rest muss der Pflegebedürftige selbst aufkommen. Im bundesweiten Schnitt lag die monatliche Zuzahlung zuletzt bei 786 Euro. Diese Summe schwankt regional aber sehr stark. In BadenWürttemberg müssen Heimbewohner im Schnitt 1062 Euro im Monat aufbringen. Denn der Eigenanteil deckt unter anderem die Personalkosten. Die sind im Süden Deutschlands höher als anderswo, gute Pflegekräfte bekommt nur, wer höhere Löhne zahlt. Viele Pflegekräfte finden nämlich in wirtschaftsstarken Regionen wie dem Südwesten auch gut bezahlte Jobs in anderen Bereichen. Damit allein ist es nicht getan: Der Eigenanteil wird nicht nur durch die Kosten für die Pflege bestimmt. Hinzu kommen Rechnungen etwa für die Unterkunft und Lebensmittel sowie Investitionen in den Heimen. Bundesweit liegt diese Summe im Schnitt bei 2015 Euro, in BadenWürttemberg sogar bei 2354 Euro.
Wie viele Menschen im Südwesten sind von der Reform betroffen?
In Baden-Württemberg liegt die sogenannte Pflegequote, also der Anteil Pflegebedürftiger an der Ge1062 samtbevölkerung, mit 3,6 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Diese Zahl schließt alle rund 400 000 Menschen mit ein, die sowohl durch Angehörige, ambulante Pflegedienste und Pfleger in Heimen betreut werden. Der Vorstoß von Spahn soll aber nur letztere Gruppe entlasten. Nach Angaben des Statistischen Landesamts lebten 2017 96 181 Menschen in Baden-Württemberg in Pflegeheimen. In der Region ist am meisten der Ostalbkreis mit 2850 Menschen in vollstationären Einrichtungen betroffen. In Kreis Sigmaringen gab es 2017 nur knapp über 1000 Heimbewohner. Aktuelle Zahlen gibt das Landesamt Ende dieses Jahres bekannt.
Die meisten Heimbewohner haben die Pflegegrade drei oder vier. In diesen Fällen zahlt die Pflegeversicherung 545 beziehungsweise 728 Euro Pflegegeld. Der Eigenanteil liegt im Schnitt bei 1062 Euro. Sollte er auf 700 Euro gedeckelt werden, würde der Bund die Differenz (also
abzüglich des Pflegegelds) übernehmen. Laut Angaben von Jens Spahn koste die Deckelung der Eigenanteile den Staat rund drei Milliarden Euro.
Welche Reaktionen gibt es zu Spahns Vorhaben?
Grundsätzlich erntet Jens Spahn parteiübergreifend viel Zustimmung. Der Vorstoß greift einigen aber auch zu kurz. Lars Klingbeil, der Generalsekretär des Koalitionspartners SPD, forderte am Montag in der „Bild“Zeitung eine stärkere Berücksichtigung des Einkommens bei den Pflegekosten. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, lobte, dass Spahn überhaupt ein Konzept vorlege. „Jens Spahn bewegt sich, endlich passiert etwas, das ist gut“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Hunderttausende Pflegeheimbewohner und deren Familien warten auf eine Kostensenkung.“Was Spahn vorschlage, sei „aber maximal ein Reförmchen. Das sollte nur der erste Schritt sein.“Das Pflegeheim dürfe nicht länger zur „Armutsfalle“werden, mahnte Bartsch. Die Pflegekosten sollten deshalb deutlich niedriger sein als die Renten. Harte Kritik kommt vor allem von der FDP. Die Partei warnte vor Steuererhöhungen. „Bald droht uns der Pflege-Soli“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr der „Bild“. „Ohne massive Steuererhöhungen ist die Deckelung der Beiträge kaum machbar“, so Dürr weiter. Diese seien in der Krise aber ein fatales Signal. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, die Hälfte der Bundesländer erreiche den Höchstbetrag der 700 Euro gar nicht. Die Stiftung fordert, dass die Pflegeversicherung alle Kosten für die reine Pflege tragen müsse. Schließlich kämen für den Heimbewohner noch die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen hinzu.